„I-Ich weiß es nicht“, war das Einzige, das ich darauf antworten konnte, denn ich wusste es wirklich nicht. Ich hatte angenommen, sie hätten ihn, genauso wie Mutter, erschossen, doch anscheinend war dem nicht so.
„Gott verdammt!“ Der ältere Mann schoss vor Wut in die Wiese direkt neben mich und ich presste mich enger an Katharina. Die Waffe wurde wieder auf uns gerichtet und wir zitterten unaufhaltsam. „Ihr wisst es, ihr Drecksplagen! Ihr wisst es oder“ – Er griff Katharina grob am Haar und zog sie gewaltsam aus meinen Armen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Nun hielt er ihr die Waffe an den Kopf und starrte mich hasserfüllt an. „Oder ich schieße deiner kleinen Schwester ihren beschissenen Schädel weg. Und du“ – Er beugt sich warnend zu Katharina, die verängstigt ihren Kopf von seinem weghielt und wimmerte – „Du wirst mir sagen, wo er ist oder ich schieße deiner großen Schwester den Kopf weg.“
Vor lauter Verzweiflung kniete ich mich hin und bettelte ihn vergeblich an. „Bitte … Wir wissen nicht, wo er ist, Gott, bitte …!“ Mir flossen die Tränen wie Bäche über die Wangen und ich beugte mich nach vorne auf den Boden, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen und Unterwürfigkeit zu zeigen. Ich würde alles tun, um Katharina zu schützen. „Bitte …“
Es war kein Laut mehr zu hören, außer dem kalten Märzwind, der durch die kahlen Bäume strich. Katharinas stockender Atem durchbrach ab und zu die Stille. Es war Folter nicht zu wissen, ob man den nächsten Moment überleben würde. Doch ich wusste, wenn sie Katharina töten würden, würde ich sie anbetteln, mir auch das Leben zu nehmen.
„Steh auf.“ Der ältere Mann stieß Katharina harsch in meine Richtung und ich fing sie auf, damit sie sich nicht die Beine aufschlug. „Ich sagte, steh auf!“
Ich reagierte, ohne nachzudenken und tat sofort, was er sagte, stellte mich kerzengerade hin, strich schnell mein verschmutztes Kleid glatt und sah ihm direkt in die Augen. Was kam nun?
Sein rechtes Auge war etwas zugekniffen und ich bemerkte, dass er dunkelbraune Augen hatte. Er kam mir drohend gefährlich einen Schritt näher, hielt seine Waffe zu Boden. „Nun“, sagte er ruhig, „dann gibt es nur eine Möglichkeit.“ Ein bitteres Lächeln spiegelte sich auf seinen Lippen und dann sah er nach links. „Leutnant Theodore. Herkommen.“
Ein blonder, schmaler junger Mann kam aus der Masse getreten und sah unwissend zwischen dem Mann und mir hin und her. Er sah zu nett aus, um einer von ihnen, diesem barbarischen Haufen zu sein.
„Hier her“, befahl der Mann unfreundlich und zeigte mit seinem Finger zwischen Pete, diesem Grobian, und mir hin und her. „Los, Bewegung!“
Der junge Mann tat wie ihm befohlen und stellte sich zwischen den älteren und mich. Noch bevor ich diesen Soldaten überhaupt in die Augen sehen konnte, wurde ihm von dem älteren die Waffe in die Hand gedrückt und auf mich gerichtet.
Ich schluckte schwer und ich schwor, der Junge tat es mir gleich, als er mir nun das erste Mal in die Augen sah.
Doch sein Befehlshaber hielt weiterhin seine Hand in die Höhe, direkt in meine Richtung und raunte ihm zu: „Erschießen ist die einzige Möglichkeit. Nicht wahr, Leutnant?“
Mein Herz raste schneller und mir blieb nichts anderes übrig, außer in die Augen des blonden Jungens zu sehen und zu beten, dass er es nicht tun würde. Ich wollte nicht sterben, nicht so, nicht hier, nicht vor Katharina.
„Major“, traute sich der junge Mann zu sagen, nahm aber nicht seinen Blick von mir, „sie ist – sie hat damit doch nichts zu tun.“
Sein Major sah mir nun auch ins Gesicht und sein rechter Mundwinkel hob sich, als ich leise „Bitte“ hauchte. „Du hast Recht, Junge. Ich habe eine viel bessere Idee.“
Nun wurde die Waffe auf meine kleine Schwester gerichtet, die stocksteif neben mir stand und nach meiner Hand griff.
„Erschieß sie “, raunte der böse, alte Mann und brachte meinen Herzschlag zum Stolpern.
Was? Sie sollte erschossen werden? Himmel, bitte, das durfte nicht passieren. Nicht Katharina, nicht meine kleine Schwester. Ich zog sie enger an mich heran und sie vergriff sich in meinem Kleid. Mehr blieb uns nicht übrig.
Die Spannung war entsetzlich.
„Sie ist noch ein Kind“, sagte der Blonde mit zitternder Stimme und man sah ihm an, wie sehr er litt. „Ein Kind.“
Doch sein Major wollte die angestaute Wut, die die Flucht meines Vaters in ihm hinterlassen hatte, an uns auslassen. Deshalb verlangte er brüllend: „Verdammt, erschieß sie, oder ich lasse dich hier verrotten! Sie sind deutscher Abschaum!“ Als der junge Mann sich immer noch nicht regte, riss ihm sein Befehlshaber die Waffe aus der Hand. „Dann mach ich es eben selbst!“
Er schubste ihn zur Seite und ich drückte Katharinas Kopf hastig an meine Brust und drehte ihm den Rücken zu, damit ihr nichts geschah. Ich kniff meine Augen zu und wartete auf den Tod.
Der Schuss ertönte gemischt mit einem Schrei.
Für einen kurzen Moment dachte ich, es wäre vorbei, doch es war noch lange nicht vorbei.
Ich öffnete meine Augen wieder, drehte mich aber nicht um, als ich eine feste Stimme hörte. Diese gehörte jedoch nicht dem Major.
„Gott verdammt, Schluss damit!“, rief jemand wütend, was mich dazu brachte, mich langsam umzudrehen, damit ich sehen konnte, wie der Mann, der mich im Schrank fand, die Hand des Majors zu Boden drückte, damit er nicht auf uns schießen konnte. Er riss ihm die Waffe aus der Hand und ging einen Schritt zurück in unsere Richtung. „Der Plan war Dorner zu finden und nicht seine Töchter zu erschießen! Das hier ist Bullshit!“
Ich kam nicht mal auf den Gedanken Katharina loszulassen, stattdessen starrte ich nur den breiten Rücken des Mannes an, der sich vor uns stellte und den Major anschrie.
Der Major starrte den Mann mit den Zähnen knirschend und mit tödlichen Blicken an und spannte sich komplett an. „Du verdammter, kleiner Bastard“, presste er hervor. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich das Sagen habe und nicht du? “
„Das ist mir vollkommen egal“, antwortete dieser mutig. „Wir sollten lieber Dorner suchen und nicht unsere Zeit derart verschwenden!“
„John“, mischte sich der Kurzhaarige ein, der vorhin James genannt worden war. Er hob beruhigend die Hände. „Mach dich nicht unglücklich und stell dich zur Seite.“
„Deine große Fresse, geht mir dermaßen auf die Nerven“, meckerte der Major und zeigte auf zwei seiner Männer. „Los, schafft ihn mir aus dem Weg, wir müssen endlich weiterkommen.“
Die zwei Männer gingen nur mit Widerwillen auf den Mann namens John zu und wollten ihn ergreifen, doch dieser wehrte sich und versuchte seine Arme zu entreißen, was ihm aber misslang.
„Verdammt, das hier ist reine Zeitverschwendung!“, fluchte John und ihm wurde gleichzeitig die Waffe entrissen und dem Major zugeworfen. „Dorner kann bereits in alle Himmelsrichtungen verschwunden sein, denkt ihr nicht nach?“
Der Major ließ sich nicht von dem Tumult aus der Ruhe bringen, sondern zielte mit der Waffe seelenruhig auf uns. „Es wird Zeit den Dreck zu beseitigen“, sagte er. „Sieh genau hin, Montgomery.“
„Ich weiß, wo unser Vater ist!“
Der Major hielt inne und sofort kehrte wieder Ruhe ein, sogar der Mann, der uns beschützte, war still, sah mich nur perplex an.
Mit zitterndem Atem sah ich eingeschüchtert zu dem Monster, das uns erschießen wollte und hoffte, dass das hier kein Fehler sein sollte. „I-Ich weiß, wo er ist“, wiederholte ich leise und hielt Katharina fest in meinen Armen.
„Wo?“, fragte der Major gefährlich leise und hob die Waffe an. „Sag mir wo.“
„I-Ich kann euch hinbringen.“
Er kniff die Augen skeptisch zu. „Wieso sollte ich dir das wohl jetzt glauben? Du lügst mir was vor, um am Leben zu bleiben.“
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