E. K. Busch - Einer von Zweien

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Zynisch blickt Konrad zurück auf sein Leben. Er ist um einen nüchternen Ton bemüht, kämpft jedoch wie stets mit seinem melancholischen Gemüt. Überhaupt gleicht sein ganzes Leben einem einzigen Kampf und nun, mit fast freißig Jahren, ist er allmählich müde. Alles hat er getan, um über den Zwillingsbruder zu triumphieren, keine Anstrengung war ihm zu groß, keine Lüge wog zu schwer. Doch zu oft ist er von einer Rolle in eine andere geschlüpft, schließlich hat er sich selbst in seinem Spiel verloren. Dabei könnte Konrad, der doch längst mit Gott gebrochen hat, durchaus zufrieden sein. Nach dem Medizinstudium erschleicht er sich ein Vermögen. Bald ist eine schöne Geliebte gefunden und man treibt von einem Amüsement zum nächsten. All die Mühen scheinen entlohnt. Wenn da nur nicht der Zweifel wäre, an den Gefühlen der düsteren Schönheit. Denn wer könnte schon einen lieben wie ihn?

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E. K. Busch

Einer von Zweien

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Inhaltsverzeichnis

Titel E. K. Busch Einer von Zweien Dieses eBook wurde erstellt bei

Prolog Prolog Unzählige Male hatte ich mich häuten müssen. Es war nicht immer qualvoll und schmerzlich gewesen. Manchmal hatte ich es selbst kaum bemerkt oder das Abstreifen der brüchigen Hülle gar genossen, die da trocken am ganzen Leib gescheuert hatte. Für einen kurzen Moment dann hatte ich jedes Mal in dem Glauben geschwelgt, endlich ein Gesicht zu besitzen. Dann war ich voller Hoffnung gewesen auf ein eigenes Leben, so viel Verwüstung und Schuld ich auch zurückgelassen haben mochte. Fast dreißig Jahre hatte ich dabei mit einer einzigen Maskerade zugebracht und Gott mit meinem inbrünstigen Spiel unterhalten. Doch nun hatte ich es endlich eingesehen. Meine Existenz ein Fehler der Natur. Nichts weiter. Eine Fehlkalkulation. Als ich oben auf dem Hügel angelangt war, verschnaufte ich einen Moment. Beim Anblick meiner tiefen Spuren im Schnee huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Es war auf eine lächerliche Weise beruhigend, solche Spuren zu hinterlassen. Man hatte das Gefühl, von Bedeutung zu sein für die Welt. Dann warf ich das Seil über einen dicken Ast. Die Windungen schmiegten sich einer trägen Schlange gleich an das Holz. Ich brauchte einen Moment, mich hinaufzuziehen, wo mein Bein doch etwas steif war so früh in der morgendlichen Kälte. Die Raben verließen krächzend die Äste und stoben Richtung Wald davon. Schwarze Schwingen, die sich flatternd hoben und senkten. Ich griff das Seil und kletterte weiter hinauf in das kahle Geäst. So hoch ich konnte. Von dort oben hatte man eine gute Sicht auf das verlassene Haus, das einmal meine Heimat hatte werden sollen in einem längst verlorenen Kapitel meines Lebens. Und ließ man den Blick auf das jämmerliche Dorf schweifen, so konnte man mein Elternhaus erahnen. Dieses schiefe und verschneite Dach dort hinten zwischen den anderen schiefen Dächern, die sich entlang der schmalen Straße aufreihten wie spitze Zähne in einem schlechten Gebiss. In diesem Haus hatte mich Mutter zur Welt gebracht. Mich und ihn. Und als ich mir die Schlinge um den Hals legte, dachte ich bei mir, dass der Tod doch lediglich jenen unsäglichen Fehler wettmachen würde, den Gott oder der Zufall da vor fast dreißig Jahren begangen hatte. Denn es hatte zwei gegeben, wo nur einer hätte sein dürfen.

I

II.I

II.II

II.III

III.I

III.II

IV

V.I

V.II

Impressum

Prolog

Unzählige Male hatte ich mich häuten müssen. Es war nicht immer qualvoll und schmerzlich gewesen. Manchmal hatte ich es selbst kaum bemerkt oder das Abstreifen der brüchigen Hülle gar genossen, die da trocken am ganzen Leib gescheuert hatte. Für einen kurzen Moment dann hatte ich jedes Mal in dem Glauben geschwelgt, endlich ein Gesicht zu besitzen. Dann war ich voller Hoffnung gewesen auf ein eigenes Leben, so viel Verwüstung und Schuld ich auch zurückgelassen haben mochte. Fast dreißig Jahre hatte ich dabei mit einer einzigen Maskerade zugebracht und Gott mit meinem inbrünstigen Spiel unterhalten. Doch nun hatte ich es endlich eingesehen. Meine Existenz ein Fehler der Natur. Nichts weiter. Eine Fehlkalkulation.

Als ich oben auf dem Hügel angelangt war, verschnaufte ich einen Moment. Beim Anblick meiner tiefen Spuren im Schnee huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Es war auf eine lächerliche Weise beruhigend, solche Spuren zu hinterlassen. Man hatte das Gefühl, von Bedeutung zu sein für die Welt. Dann warf ich das Seil über einen dicken Ast. Die Windungen schmiegten sich einer trägen Schlange gleich an das Holz. Ich brauchte einen Moment, mich hinaufzuziehen, wo mein Bein doch etwas steif war so früh in der morgendlichen Kälte. Die Raben verließen krächzend die Äste und stoben Richtung Wald davon. Schwarze Schwingen, die sich flatternd hoben und senkten. Ich griff das Seil und kletterte weiter hinauf in das kahle Geäst. So hoch ich konnte. Von dort oben hatte man eine gute Sicht auf das verlassene Haus, das einmal meine Heimat hatte werden sollen in einem längst verlorenen Kapitel meines Lebens. Und ließ man den Blick auf das jämmerliche Dorf schweifen, so konnte man mein Elternhaus erahnen. Dieses schiefe und verschneite Dach dort hinten zwischen den anderen schiefen Dächern, die sich entlang der schmalen Straße aufreihten wie spitze Zähne in einem schlechten Gebiss. In diesem Haus hatte mich Mutter zur Welt gebracht. Mich und ihn. Und als ich mir die Schlinge um den Hals legte, dachte ich bei mir, dass der Tod doch lediglich jenen unsäglichen Fehler wettmachen würde, den Gott oder der Zufall da vor fast dreißig Jahren begangen hatte. Denn es hatte zwei gegeben, wo nur einer hätte sein dürfen.

I

Meine früheste Erinnerung reicht zurück in mein viertes Lebensjahr; davor ist nichts als Schwärze. Es scheint mir wunderlich, dass da ganze Jahre in einem einzigen trüben Sumpf versunken sind, während mir meine späteren Erlebnisse mit einer strafenden Genauigkeit in den Sinn kommen wollen.

Die Wintersonne schien durch das Schaufenster und Mutter malte mit ihrem Putzlappen weiße Streifen auf die Scheibe. Schaumig und schmierig waren diese Streifen. In der Sonne verschwanden sie bereits nach wenigen Sekunden. Fred und ich beobachteten Mutters gleichmäßige Bewegungen, dieses Auf und Ab durch die Scheibe hindurch. Um ihren Kopf gebunden trug die hagere Frau ein Tuch von einem verwaschenen Grün. Ein blasses Blumenmuster fand sich auf dem Stoff. Mutter trug dieses Tuch nur beim Saubermachen, ob beim Kehren, Wischen, Wedeln. Es ließ sie wie eine dieser Hexen in den Bilderbüchern aussehen. Die etwas krumme Nase und die wirren Haarsträhnen, die sich wie dunkle Tentakel unter dem Stoff hervorwagten, vervollständigten das Bild. Ihre Haut jedoch glich Porzellan, weiß und makellos und von einer milchigen Härte.

Vater befand sich hinten im Laden und stellte die Suppendosen ins Regal. Die bunten Bilder hatten Reihe in Glied zum Gang zu blicken. Blechsoldaten. Mutter hatte genaue Anweisung gegeben. Der Mann sang leise vor sich hin und klopfte mit seinen ausgetretenen Lederschlappen den Takt. Hatte er gute Laune, so war er am Singen. Uns Kindern ein Naturgesetz. Und da Vater mit beinahe unbezwingbarer Lebensfreude gesegnet war, hing fast immer ein leises Brummen in dem kleinen Raum mit den überfüllten Regalen. Dann wusste man nicht, in welchem Winkel er sich verbarg. Und wenn gleich ich später feststellen sollte, dass Vaters Gesang einem einzigen Brummen gleichkam, so liebten Frederik und ich es damals, seiner Stimme zu lauschen. Denn sie war ebenso Teil dieses Mannes wie sein in diesen Jahren noch ganz und gar dunkler Vollbart, sein breites Kreuz und sein mächtiger Bauch.

Frederik und ich waren damals vier Jahre alt. Wir waren Zwillinge und blieben es trotz all meiner Mühen. Und so saßen wir also beide auf dem Fußboden, die kurzen Beine von den kurzen Armen an den Körper gezogen. Dunkelbraunes Haar, blaue Augen, die krumme Nase der Mama und insgesamt sehr klein und schmächtig. Einer genau wie der andere. Selbst ich vermag es nicht, uns auf den alten Fotografien zu unterscheiden. Denn eines bleibt auf diesen Bildern verborgen: Freds stetiges Gezappel. Denn während ich Mutter gelassen zu beobachten wusste, wippte er unermüdlich hin und her. Er langweilte sich. Dabei hätte es des Gezappels überhaupt nicht bedurft. Ich wusste immer, was Fred spürte. Keine Gestik, keine Mimik war von Nöten.

„Lass uns doch Mama beim Wischen helfen,“ schlug ich daher vor. Denn ich war ein wahres Muster an Tugendhaftigkeit, dass es mich heute selbst zu grauen vermag.

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