„Ja, du hast dein Band gerettet“, ertönte eine bekannte Stimme hinter mir und die Person, zu der sie gehörte, kam näher. Ich wusste sofort, dass es Major Pattons war, der auf uns zuschritt. Er stellte sich nur eine Armlänge von Katharina und mir entfernt hin und hielt die Hände hinter seinem Rücken. Es wunderte mich, dass er so ruhig war und nicht losbrüllte, da ich den Ablauf der Aktion durcheinandergebracht hatte.
„Mutig bist du ja“, sprach er weiter und ich sah ängstlich zu ihm auf, hoffte gleichzeitig, er würde Katharina nicht den Tee wegnehmen. „Das muss ich dir lassen. Einfach so in den Fluss springen … Alleine. Das hätte böse enden können.“
Ich sagte nichts darauf. Ich fürchtete mich zu sehr vor ihm.
Er kniff die Augen zusammen und ich schaute instinktiv auf meine Füße. Sein Blick schüchterte mich ein. Und als ob er meine Gedanken lesen konnte, sagte er: „Ich bin hier, um dir eine Information zu überbringen.“
Langsam sah ich wieder zu ihm auf und schluckte.
Kurz schwieg er noch, versuchte mich wohl mit seinen Augen einzuschüchtern „Nicht nur
Montgomery wurde deinetwegen verletzt, sondern es musste einer meiner Männer in diesem verdammten Fluss sein Leben lassen.“
Oh, nein … Nein, bitte nicht. Das war der perfekte Zeitpunkt, um zu beten. Um zu beten und zu beichten und um Vergebung zu bitten.
Ein mörderisch teuflischer Ausdruck schlich sich auf Major Pattons Gesicht. „Du weißt, was das bedeutet. Bist ja ein schlaues Weib. Richtig?“
Ich schwieg. Ich wusste nicht genau, welche Strafe er sich für mich ausgedacht hatte, aber dass er sich an mir rächen würde, war mir, seinem Gesichtsausdruck nach, sehr klar.
„ Richtig ?“
„Ja“, hauchte ich schnell als Antwort und krallte vor Furcht meine Finger in den nassen Stoff meines Kleides. „Ja …“
„Gut.“ Major Pattons wandte sich ausdruckslos von mir ab, sah zu Katharina, dann wieder zu mir. „Vielleicht überlege ich es mir anders, wenn du dich verdammt nochmal nicht widersetzt und nur das tust, was von dir verlangt wird. Du wirst es früh genug erfahren.“
Ich schaute ihm mit wild pochendem Herzen und tief ausatmend hinterher. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich die ganze Zeit die Luft den Atem angehalten hatte, weil ich solche Angst davor hatte, er würde mich in seiner Wut sofort angreifen. Bei ihm rechnete ich mit allem. Major Pattons war für mich zu dieser Zeit der Teufel, der um mich kreiste und bewachte wie ein Hund.
Ich spürte, wie mir von hinten eine Decke um die Schultern gelegt wurde, und ich zuckte erschrocken zusammen, weil ich so in Gedanken versunken war.
Javad tauchte neben mir auf und hielt mir eine weitere dampfende Tasse entgegen. Katharina hatte die andere immer noch zwischen ihren kleinen Händen, deswegen nahm ich sie dankbar entgegen. „Ich kenne Pattons noch nicht lange“, meinte er nachdenklich und leise. „Aber ich glaube, heute wird nichts mehr passieren. Du kannst dich erstmal entspannen.“
Ich konnte seinen Worten keinen Glauben schenken und starrte in die Tasse, aus der mir der heiße Dampf die Wangen wärmte. „Wahrscheinlich wartet er nur auf den richtigen Moment, um seinen sadistischen Plan umzusetzen.“
Javad antwortete daraufhin nichts mehr. Vielleicht gab er mir insgeheim Recht. Schließlich war er schon länger mit seinem Kommandanten zusammen und kannte ihn somit besser. Ich konnte nur hoffen, dass Pattons sich Zeit ließ, und vielleicht … naja wer wusste das schon. Meine Gemütsverfassung war nicht gerade die beste, nach diesem Erlebnis. Ich vermisste meine Eltern. Sie waren mein ganzes Leben lang, der feste Halt für Katharina uns mich. Und nun fühlte ich mich ganz allein.
Es wurde bereits dunkel, der Regen hörte mit der Zeit auf. Die Soldaten hatten in der Zwischenzeit im Wald ein Lager aufgebaut. Trockenes Holz fanden sie unter den dichten Tannen und sammelten es auf. Als es dann dunkel wurde, sah man hier und dort kleine Feuer, die rauchlos brannten. Alle waren müde von der Anstrengung des Tages, und so saßen sie einfach zusammen, aßen ihre Sandwiches und tranken warmen Tee. Die Stimmung war sehr bedrückt, weil wahrscheinlich alle daran dachten, dass einer ihrer Kameraden an diesem Tag gestorben war, ohne mit dem Feind gekämpft zu haben.
Seit einer gefühlten Ewigkeit starrte ich in die lodernden Flammen des Feuers, welches vor Katharina und mir in einem kleinen Steinkreis, brannte. Javad, der Sanitäter und ein paar andere Soldaten, die aber nicht sprachen, saßen bei uns.
Ich hatte diese Gruppe hierhergeführt. Wegen mir musste dieser Soldat sterben. Also war ich schuld. Oder doch nicht? Schließlich wusste ich doch gar nicht den Weg, es war reiner Zufall, dass uns der Fluss dazwischenkam. Aber das Schuldgefühl ließ sich durch diese Überlegungen auch nicht verringern.
Diese Männer, die hier bei uns am Feuer saßen, sollten uns bestimmt bewachen. Doch wohin hätte ich mit Katharina schon gehen sollen?
Plötzlich drang ein lauter, gequälter Schrei aus einem Zelt unweit von uns. Er kam aus dem Zelt, in dem Licht brannte. Es gab eine kleine Lichtquelle, wegen der man von außen die schemenhaften Umrisse von zwei Männern sehen konnte, die sich gebeugt mit irgendetwas beschäftigten.
Dann wieder ein Schrei, diesmal kürzer und erstickter.
Das lenkte mich von meinen düsteren Gedanken ab. Was passierte dort? Und wieso scherte sich niemand darum, außer ich? Absolut keiner von den Männern um mich herum, hielt es auch nur für nötig dorthin zu sehen, von wo aus die leidenden Schreie kamen.
„Anscheinend war es doch schlimmer, als er dachte“, sprach Javad als erstes und ich sah ihn an. Sein Gesicht leuchtete durch das flackernde Feuer, in das er resigniert sah. „Ständig meinte er, es wäre auszuhalten.“ Er lachte bitte auf. „Typisch für ihn.“
„Für wen?“, fragte ich flüsternd. „Und was meinst du?“
„John.“ Nun sah auch Javad zum Zelt. „Er rennt schon seit Tagen mit dieser Stichwunde herum, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich entzünden, und ordentlich schmerzen würde. Jetzt darf er die Konsequenz aus seiner Unvernunft in vollen Zügen genießen.“
John lag dort in diesem Zelt und war derjenige, der vor Schmerzen schrie? Wie grauenvoll musste die Peinigung sein, dass er wirklich so leiden musste? Ich stellte es mir grässlich vor.
Wieder blickte ich zu dem Zelt, aus dem nun ein Mann lief, der sich die Hände über den Bauch hielt und auf uns zukam. Sein Ausdruck verriet, dass er ebenfalls Schmerzen hatte. „Mein Gott“, knurrte er. „Ich hasse diesen Mist.“
Wieder blickte ich zu dem Zelt hinüber, aus dem nun einer der Männer schlüpfte. Er hielt sich gequält die Hände auf den Magenbereich.
„Hey!“ rief ihm Javad zu, während der Mann näher zu unserem Feuerplatz kam. „Was ist? Hat deiner Periode eingesetzt?“
„Wenn es nur das wäre“, antwortet der Sanitäter. „Aber wenn ich bei so einer Operation den Assistenten machen muss, dann schlägt mir das immer auf den Magen. Mir ist kotz übel, und John ist auch nicht der einfachste Patient. Habt ihr noch einen Whisky für mich?“ Der Mann setzte sich in unsere Runde und tatsächlich tauchte aus einer Tasche ein Flachmann auf.
Aber mein Blick schwenkte immer wieder zu dem Zelt, in dem John lag und von wo vorhin die Schmerzensschreie kamen.
„Geh nach ihm schauen“, holte mich Javad aus meiner Starre und ich blickte überrascht zu ihm. Er nickte zum Zelt. Konnte er meine Gedanken lesen? „Na los, geh schon, Pattons muss davon ja nichts erfahren.“
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Wollte er mich testen? Ich kannte diesen Mann nicht, und war mir nicht sicher, ob er mich einfach ins Messer laufen lassen wollte, bekam jedoch kein Ton heraus.
„Mach endlich.“
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