Unter Wasser hörte ich den mörderhaft lauten Schlag, als der Baum auf den Stamm prallte und sah zu, wie Stamm samt Baum, fortgetrieben wurden.
Ja, dieser Aufprall hätten unseren Tod bedeutet.
Allerdings schwammen auch wir mit den Köpfen mal über, mal unter Wasser. Deshalb stieß ich mich am Grund ab, um zur Wasseroberfläche zu gelangen.
Annemarie, die ihre Arme um meinen Hals geschlungen hatte, hustete. Immer wieder peitschte uns das Wasser ins Gesicht, weswegen das Atem holen schwer war.
Mit einem Arm drückte ich das Mädchen an mich und mit der anderen ergriff ich eine Wurzel, die aus dem Hang am Ufer herausragte, damit wir nicht weiter mitgezogen wurden. Es war schwer uns beide zu halten, doch in solchen Situationen mobilisieren sich Kräfte, die man nicht einmal ahnt.
Da unser Kampf vom Ufer aus beobachtet wurde, mussten wir nur noch darauf warten, bis sie uns rauszogen.
Ich ergriff das Seil, dass zu uns herunterbaumelte, band es um meine Taille, um Annemarie nicht loslassen zu müssen und war erleichtert, als die Kameraden uns an Land zogen.
Wir rutschten eng aneinander festhaltend, über die Böschung nach oben und schon lagen wir im Uferschlamm. Pitschnass und zitternd presste ich Annemarie immer noch auf meinen Körper. Einige Decken wurden über uns geworfen, Stimmen redeten aufgeregt durcheinander und der Regen schien kein Ende zu nehmen. Ich richtete meinen Oberkörper langsam auf, bemerkte, dass meine Seite elendig schmerzte und das Mädchen auf meinem Bauch, rollte sich zusammen wie ein Embryo. Die Hände hatte sie in mein Shirt gekrallt, das Gesicht an meine Brust gedrückt. Ihre Schultern zuckten. Sie weinte also doch.
Was sollte ich jetzt mit diesem heulenden Elend anfangen? Ich konnte sie unmöglich trösten, immerhin hatte sie sich selbst in solch eine gefährliche Situation gebracht. Aber als sie so weiter schluchzte, dachte ich daran, dass ihr Weinen vielleicht mehr galt, als der Tatsache, dass sie eben fast das Zeitliche gesegnet hatte.
Die Männer hatten sich nach unserer Rettung, wieder ihren eigentlichen Aufgaben zugewandt, und es tat gut, einfach ein bisschen Ruhe zu haben. Ich wickelte sie fest in eine der Decken ein, damit sie sich nicht noch eine Lungenentzündung holte. Unauffällig versuchte ich in ihr Gesicht zu schauen, doch das war weiterhin nach unten gerichtet.
Meine Gedanken kehrten zu Major Pepper zurück, der mir einmal, als wir zusammen einen Kaffee tranken, von den Dorners erzählte. Es war nicht sonderlich viel, was ich wusste, aber es war klar, dass unser Kommandant, Major Pattons, noch eine Rechnung mit Annemaries Vater offen hatte. Pepper meinte, dass Pattons wohl unglaublichen Hass gegen Dorner hegte. Von den Mädchen hat er nicht viel erzählt, warum auch? Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass ich einmal im Leben dieser Mädchen, eine Rolle spielen würde, aber das Schicksal hat seine Strippen gezogen und so hielt ich Annemarie Dorner im Arm, während sie etwas ähnliches wie Beistand bei mir suchte. Dennoch, niemand in unserer Truppe wusste, was ich über Dorner wusste, und so sollte es auch bleiben.
Schließlich wurde mir klar, dass sie wohl gerade hunderte Gründe hatte zu weinen.
So strich ich ihr vorsichtig nasse Haar aus dem Gesicht und flüsterte: „Ich halte dich, … keine Angst. Ich halte dich fest.“
Annemarie Dorner
In dem Moment, als ich zu Atem kam, den kalten Wind spürte, der um meinen nassen Körper zog, fing mein Körper an zu zittern und die Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten.
Kurz vergaß ich, wer John war und ließ einfach zu, dass mein Körper sich an ihn schmiegte. Ich wollte nicht, dass er mich losließ. Ich fühlte mich sicher an seiner Brust, und drückte mich noch fester an ihn. Meine Instinkte sagten mir, dass er vielleicht doch einer der Guten war.
„Annemarie“, holte mich eine tiefe Stimme aus meinen Gedanken. Ich klapperte mit den Zähnen, und spürte Johns kalte Hand auf meinem Armen. James kniete sich neben uns mit noch einer trockenen Decke eine Decke unter seinem Arm. Neben ihm war ein weiterer Mann, der auch ein rotes Kreuz auf seinem Helm trug. „Kommt, ihr müsst aus den nassen Klamotten raus und euch aufwärmen.“
Ich nickte frierend, begriff die ganze Situation nicht und nahm die vielen Männer um uns herum kaum wahr.
„James“, raunte John, dessen Griff um meinen Körper schwächer wurde. Er starrte erschöpft auf einen Fleck im Gras unter uns. „Es gibt … ein Problem.“
James runzelte die Stirn, während der andere Mann mich vorsichtig von Johns Beinen hob und mir die weiche Decke um die Schultern warf. Mein Blick jedoch blieb auf John, der sich nicht bewegte, sondern sich nur mit dem rechten Arm abstützte. Etwas stimmte nicht, es schien, als hätte er Schmerzen.
Und plötzlich sprang James auf. „Verdammt!“, fluchte er und drehte sich zu den Männern, die verteilt umherliefen. „Baut ein Zelt auf! Und mein Rucksack! Ich brauche meinen Rucksack!“
Als er sich wieder neben John kniete und dieser sich auf den Rücken fallen ließ, stach es mir erst ins Auge.
Auf der nassen, ohnehin schon, dunklen Hose, konnte ich deutlich einen großen Blutfleck ausmachen. Er musste sich schlimm verletzt haben, dort im Wasser, an diesem verflixten Baumstamm.
„Du kannst noch alleine laufen, richtig?“, fragte James John, der die Augen schloss und nickte.
„Mach bloß nicht so einen Aufstand“, brummte John, stemmte sich hoch, hielt dabei die Hand auf die Stelle gepresst, worauf diese sofort rot wurde. „Es ist nur-„
„Nein, es ist nicht nur “, unterbrach James ihn harsch und half ihm hoch. Er stützte John und wandte sich an den anderen Sanitäter. „Ich kümmere mich um ihn, helfe du erst ihr und der Kleinen, dann kommst du zu mir.“
Der Mann, der mich umfasst hielt, nickte James zu und zog mich weg, zu einem provisorischem Unterstand. Ein paar große Baumkronen gaben Schutz vor dem Regen und die Soldaten hatten eine Plane zwischen zwei Stämmen aufgehängt, um einen halbwegs trockenen Platz bekommen. Dorthin ging ich mit dem Sanitäter um er ließ mich vorsichtig auf einem Hocker Platz nehmen.
Ich hatte nicht gemerkt, dass John so stark im Fluss verletzt worden war. Wieso hatte er nichts gesagt? Hieß das nun, dass es meine Schuld war, dass er nun blutete? Mir schossen tausend Gedanken in den Kopf. Ich wollte wissen, was mit ihm passiert war und ob es schlimm war oder nicht.
Doch viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, denn ich wurde von dem Sanitäter auf einen Hocker gesetzt, Katharina saß neben mir in der Wiese. Niemand hatte daran gedacht ihr auch eine Decke zu geben. Sie zitterte wie Espenlaub, hockte mit eng an sich gezogenen Knien dort und versuchte sich mit den Armen selbst zu wärmen. Wollten sie, dass sie erfror?
„Hier“, sagte ich deswegen leise zu ihr und legte ihr meine fleckige Decke um die Schultern. Das Klappern meiner Zähne konnte ich leider trotzdem nicht unterdrücken. „D-Damit du es warm hast.“
„ D-Du s-sollst es wa-warm haben“, bibberte sie und wollte die Decke ablehnen, doch da lag sie bereits um die dünne Gestalt meiner Schwester. „A-Anne, du fr-frierst.“
Ich versuchte für sie zu lächeln. „Ich habe mein Band gerettet, ich friere nicht mehr.“
Der Sanitäter kniete sich vor Katharina und mich, hielt mir eine Tasse mit dampfendem Inhalt entgegen. „Hier das sollte euch ein bisschen aufwärmen. Ist nur Tee, und leider nur eine Tasse, aber auf die Schnelle gibt es nicht mehr.“
Dankend nickte ich und griff mir die glühend heiße Tasse. Es war nett von ihm, sich um uns zu kümmern. Anscheinend waren nicht alle so wie Major Pattons und ein paar Einzelne der Kerle.
Ich nahm den ersten Schluck von dem heißen Getränk und stellte fest, dass es Kamillentee war. Das war nicht gerade meine Lieblingssorte, aber im Moment gab es bestimmt keine Auswahl. Jedenfalls floss die heiße Flüssigkeit in meinen Magen und von dort aus flutete eine wunderbare Wärme durch meinen Körper. Ich gab die Tasse an Katharina weiter, die sich erst einmal die Hände daran wärmte, und dann genüsslich den ersten Schluck nahm. Bereuen tat ich meinen Sprung ins Wasser trotzdem nicht. Ich konnte unmöglich ohne mein Haarband sein.
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