1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 „Gaiana versprach, auf mich zu warten, und ihre Brüder standen mit ihrer Ehre dafür ein, dass sie bis dahin unberührt bliebe. Ich ging leichten Herzens, dachte nur an Abenteuer und ferne Länder und blickte nicht zurück.“ Rayol versank in Gedanken, und Moamin Doriah ließ ihm ein paar Augenblicke.
„Ich erlernte die Kunst der blutigen Läuterung von einem wandernden Zwergenschmied. Beim Alten Tengris, hatte dieser Kerl eine Kraft! Aber bald zog es mich zurück nach Chasar. Ich Troll brauchte drei Monde, bis ich begriff, dass dieses Ziehen in meiner Brust Heimweh und Sehnsucht nach Gaiana war. Nach und nach beschlich mich Angst, daheim etwas verändert vorzufinden, einen Fehler gemacht, Gaiana trotz der Brüder schutzlos zurückgelassen zu haben. Ich machte mich auf den Weg, aber es dauerte vier weitere Monde, bis ich zurück nach Chasar kam.“
Aus dem Protokoll des Büttels wusste Doriah, dass dem Mädchen Gewalt angetan worden war, als der Schmied von seinen Wanderjahren zurückkehrte.
„Gaianas Familie hegte keinen Groll gegen mich. Der Vater hatte ihnen erklärt, warum Wanderjahre für einen Waffenschmied so bedeutsam sind. Noch am Tag meiner Rückkehr gaben sie ein Fest, zu dem alle Gesellen der Werkstatt und die Nachbarn eingeladen wurden. Ein Lamm wurde geschlachtet, der Wein floss in Strömen. Sogar einen Trupp Akrobaten und Spielleute hatten sie kommen lassen. Als wir einen Moment unbeobachtet waren, bedeckte Gaiana mein Gesicht mit heißen Küssen und schwor, sich für mich aufgespart zu haben. Mein Glück war vollkommen, aber der Abend sollte eine böse Wendung nehmen.
Die Gaukler und Akrobaten waren verwegen, gelenkig, geschickt mit ihren Schwertern beim Schattenfechten und vor allem hinterlistig, weil sie nur auf Diebstahl und Raub aus waren. Weiß der Gehörnte, wo sie herkamen! Ihr Anführer war ein rothaariger, sehniger Mann, hochgewachsen, mit kraftvollen Bewegungen und durchbohrten Wangen, dem Zeichen, dass er schon einmal für eine Fälschung bestraft worden war. Zum Schluss ihrer Vorführung jagten sie auf ihren Reitkamelen durch die Gasse, in der das Fest stattfand. Aus den Sätteln bückten sie sich nach abgelegter Kleidung, Waffen und allem, was von Wert schien. Ehe wir uns versahen hob der Anführer in vollem Galopp auch Gaiana in seinen Sattel. Die wilde Jagd ging bis zum Ende der Gasse, und wir alle hielten es für einen Scherz. Erst als die Reiter mit meiner Verlobten nicht wiederkamen, ahnten wir, dass etwas nicht stimmte.
Natürlich stiegen Gaianas Brüder und ich sofort auf die Kamele und Dromedare, die wohlhabende Nachbarn herbeigeholt hatten. Aber es dauerte lange, bis wir die Spur der Halunken aufnahmen und ihr Nachtlager weit außerhalb der Stadt fanden. Wir schlichen uns an den Kreis der erbärmlichen Zelte heran. Die Kerle saßen um ein Feuer, brieten eine stinkende Hammelkeule und ließen eine Flasche Taufifusel kreisen. Gaiana war nicht auszumachen, aber als wir sahen, dass ein Mann aus einem der Zelte kam, ein paar unflätige Worte über sein …“, Rayol Jamsillah kam ins Stocken, „… über seinen dreckigen Schwengel grölte und grausames Gelächter erntete, schwante uns Fürchterliches. Ein anderer Mann ging auf das Zelt zu, in dem wir Gaiana vermuten mussten, und nestelte bereits an seinem Hosenbund. Erbarmungslose Wut verdrängte alle Vorsicht, wir zogen unsere Schwerter und rannten brüllend auf das Gesindel zu. Den Mann, der sich als nächster an Gaiana vergehen wollte, hieb ich mit einem einzigen Schlag entzwei. Die anderen Schweine waren so überrascht, dass wir vier von ihnen ohne Gegenwehr töteten. Danach stand das Verhältnis nur noch zwei zu eins gegen uns. Wir waren blind vor Verzweiflung und spürten keine Schmerzen. Die beiden älteren Brüder fielen, aber ich tötete noch fünf von diesen Hunden. Mit dem Jüngsten Rücken an Rücken schlug ich um mich, und als nur noch der Anführer übrig war, schwang er sich auf sein Kamel und floh.“
Hauptmann Doriah hatte schon oft Männer im Blutrausch erlebt und konnte sich gut vorstellen, wie der Schmied mit seinen gewaltigen Kräften unter diesen Verbrechern gewütet hatte. Gegen einen solchen Berserker hätte auch der härteste Mann seiner Garde schlechte Chancen gehabt.
Rayols Augen sahen an einen weit entfernten Ort. „Er ritt geradewegs in die Arme der Stadtwache, die von der Familie alarmiert worden war. Ich ging zu dem Zelt hinüber, das die schrecklichen Schandtaten bedeckt hatte, und fand meine liebliche Gaiana in zerfetzten Kleidern und mit blutigem Schoß. Ihre Augen waren offen, aber sie sprach nicht, sie sah mich nicht, sie erkannte auch nicht ihren kleinen Bruder, der aus vielen Wunden blutete. Gaianas Vater stand auf einmal hinter mir, und ich übergab ihm seine Tochter, denn in diesem Moment packten mich die Wachen.
Ich konnte erst wieder klar denken, als ich drei Tage später vor dem Büttel stand. Ich leugnete meine Taten nicht, und als ich hörte, dass Gaiana in den vergangenen Tagen weder die Augen geschlossen, noch ein Wort gesagt hatte, war mir mein Leben gleichgültig. Im Hospital des Jungen Tengris hatte man nichts für sie tun können und dem Vater der vielfach geschändeten Tochter empfohlen, auf die Zeit zu vertrauen. Für den sechsfachen Totschlag wurde über mich das Todesurteil verhängt. Dem kleinen Bruder musste nach dem Kampf eine Hand abgenommen werden, und er ging ohne weitere Strafe aus.“
Das bärtige Gesicht Rayols verbarg seinen Schmerz, aber Moamin Doriah vermochte hinter diese Maske zu sehen. Er konnte die Rachetat nachvollziehen, hätte selbst vielleicht nicht anders gehandelt. Aber der Schmied hatte gegen das Gesetz verstoßen, indem er sich zum Richter und Henker erhoben hatte. Ewige Blutrache war der Grund für die endlosen Unruhen der letzten Jahre und war von der Familie der Shahim geächtet worden.
Die Männer schwiegen eine Weile, dann ergriff der Hauptmann das Wort. „Du hast das Recht selbst in die Hand genommen und sechs Männer erschlagen.“
„Ich leugne es nicht.“
„Diese Verbrecher verdienten den Tod und hätten nach einer ordentlichen Verhandlung am Dorn gezappelt, bis ihnen die Augäpfel geplatzt wären. Auch wenn du gegen das Gesetz verstoßen hast, halte ich dich für einen ehrlichen Mann. Für das, was sie deiner Verlobten angetan haben, gibt es keine passende Strafe.“
Der Schmied nickte mit unendlichem Hass in den Augen. Wehe dem letzten Vergewaltiger, wenn er ihn in seine Pranken bekam. Doriah verschwieg, dass der Anführer der Gauklertruppe entkommen war, denn jetzt kam es darauf an, Rayol Jamsillah auf seine Seite zu ziehen. „Ich könnte dich vor dem Tod bewahren.“
„Der Tod ist mir egal. Ich konnte meine Geliebte nicht schützen, jetzt erträgt sie ein schlimmeres Schicksal als den Tod. Wäre ich nicht auf Wanderschaft gegangen, hätte es kein Fest gegeben. Ohne Fest keine Akrobaten. Und Gaiana hätte diese stinkenden Tiere nicht auf sich ertragen müssen. Für mich gibt es im Diesseits nichts mehr. Hängt mich an den Dorn oder schlagt mir den Kopf ab, es soll mir gleich sein.“
Eine schlichte Feststellung, ohne die Absicht, Mitleid zu erheischen, erkannte Moamin Doriah. Und deshalb ist er genau der Mann, den ich brauche. „Gerade weil der Tod dir gleichgültig ist, brauche ich, braucht der Khan deine Dienste.“
„Warum gerade meine? Ich bin weder Soldat noch Spion.“
„Das will ich dir erklären, aber lass mich ein wenig ausholen.“ Der Hauptmann sah sich in seinem kargen Raum und, bis sein Blick auf der Landkarte von Shuyuk hängenblieb. „Bis vor einigen Jahren hat ein Großgrundbesitzer namens Ssadec Tabar immer wieder gegen den Ilkhan in Gidda und den Khan von Chasar intrigiert und böse Gerüchte in Umlauf gesetzt. Mehrmals hat Halef ibn Shahim ihn ermahnt, aber er hat keine Ruhe gegeben und wurde schließlich von seinem Land vertrieben. Er floh und fand Unterschlupf in der Nähe von Shuyuk, am Fuße des Tengriswalls. In ganz Scimmien warb er Söldner, Beutelschneider und Totschläger an. Sogar aus den Greiflanden fanden Männer und Frauen zu ihm. Es heißt, er herrsche wie ein König über seine Horde in einem verschwundenen Tal. Zunächst vermutete ich, er sei zu einem der vielen Wegelagerer geworden. Aber inzwischen weiß ich, dass auch ehemals ehrbare Handwerker, Bauern und Reisige in die engen, verwinkelten Täler im Westen ziehen. Offenbar strebte Tabar nach mehr als Beute und Reichtum. Dieser selbsternannte Räuberkönig will der neuen Ordnung möglichst viel Schaden bereiten, um sich so für den Verlust von Stand und Land zu rächen. Dabei ist der Frieden nach den Erbfolgekriegen immer noch äußerst brüchig und eher ein unsicherer Waffenstillstand, wie du weißt. Ob dieser sogenannte Räuberfürst seinen Reichtum mit den Armen und Elenden teilt, wie oft behauptet wird, oder ob das nur Blendwerk ist, um seine Anhänger gefügig zu machen, kann ich nicht abschätzen. Doch Tabar schickt unablässig Meuchelmörder, Räuber und Erpresser aus. Einflussreiche Personen in den Dörfern und Städten im Norden werden beseitigt oder korrumpiert. Ein Flechtwerk von Anhängern ist entstanden, das ihm immer frechere Schritte erlaubt. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn wir diesen Mann weiter schalten und walten lassen?“
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