„Ist schon in Ordnung, meine Dame“, sagte Thoo freundlich zu der Frau. „Cindy hat doch recht!“
Und wieder an das Mädchen gewandt, fuhr er fort: „Ja, Cindy. Wir haben viele Dinge nicht gleich richtig verstanden und haben aus einer großen Dummheit heraus eine Sonne gesprengt. Das tut allen Noraki unendlich leid. Glaubst du mir das?“
Das Mädchen trat einen Schritt zurück, stemmte ihre Händchen in die Hüfte, legte den Kopf schräg und schaute Thoo aus zusammengekniffenen Augen an.
„Das mit der Sonne war echt doof von euch ...“, sagte sie dann und brachte ihren Kopf wieder in eine normale Position. „Aber dann habt ihr uns vor den blöden, schwarzen Schiffen gerettet. Darum mag ich euch!“
Bevor Thoo-Aran-Akima irgend etwas darauf erwidern konnte, trat die kleine Cindy an ihn heran und umarmte ihn herzlich. Völlig verblüfft erwiderte Thoo die Umarmung des Mädchens.
„D... danke, kleine Cindy!“, stotterte er, überwältigt von der ihm entgegengebrachten Sympathie. „Ich mag Dich auch!“
Als dann noch um ihn herum die anwesenden Menschen zu applaudieren begannen, eine Geste, die auch den Noraki nicht unbekannt war, traten ihm vor Rührung und Überwältigung Tränen in die drei Augen. Da er wusste, dass dies auch den Menschen gegeben war, fühlte er auf einmal eine tiefe Verbundenheit mit diesen zweiäugigen Norakiden. Besser hätte er im Sonnensystem der Erde gar nicht empfangen werden können. Er spürte in diesem Moment, dass alles Trennende zwischen beiden Völkern überwunden werden konnte.
„Nun ist aber gut, Cindy“, sprach da wieder die Mutter des Mädchens und legte ihr ihre Hand auf die kleine Schulter. „Du machst den netten Herrn ja ganz verlegen!“
„Ist gut, Mami!“, rief das kleine Mädchen und entließ Thoo wieder aus ihren Armen.
Der erhob sich auch wieder und wischte sich rasch die Tränen aus seinen Augenwinkeln.
„Sie haben da eine ganz liebe kleine Tochter!“, sagte er zu der Frau.
„Danke, das ist nett von Ihnen“, erwiderte diese lächelnd. „Und: willkommen im Sonnensystem!“
Dann nahm sie ihre Tochter an die Hand, die Thoo-Aran-Akima schnell noch einmal zuwinkte, bevor die beiden dann in der Menschenmenge verschwanden.
Dem Noraki war mit einmal befreiend leicht um seine Herzen geworden. Nach diesem unerwartet herzlichen Empfang auf dem Erdmond sah er der kommenden Aufgabe, bei der er viele irdischen Wochen lang fast ausschließlich unter Menschen verbringen würde, wesentlich optimistischer entgegen, als vor Antritt seiner Reise hierher.
„Thoo-Aran-Akima?“, vernahm er da eine fragende, männliche Stimme hinter sich.
Der Noraki wandte sich um und erblickte zwei Männer, deren Alter er allerdings mangels Erfahrung nicht einzuschätzen in der Lage war. “Ja, der bin ich“, gab er sich zu erkennen.
Der eine der beiden, der im Gegensatz zu seinem Begleiter ein unbehaartes Gesicht hatte, verschränkte beide Hände mit den Handrücken nach außen vor seiner Brust, und neigte leicht den Kopf – es war die norakische Art der Begrüßung, wie Thoo angenehm berührt registrierte.
„Mein Name ist Malte Thorson“, stellte sich der Mann vor, nachdem Thoo die Begrüßung auf die gleiche Art erwidert hatte. „Mein Begleiter Frank Beaujeune und ich kommen im Auftrag des Ministeriums für außerplanetare Angelegenheiten. Wir dürfen Sie abholen und in Ihre Unterkunft begleiten. Minister Botulesi wird Sie in wenigen Stunden persönlich begrüßen und willkommen heißen. Und in fünf Erd-Standardtagen wird die künftige Crew der N'YAN NOR einander vorgestellt, bevor dann alle in die zweimonatige Schulungs- und Trainingsphase eintreten werden. Wären Sie so freundlich uns zu begleiten?“
„Ich bedanke mich für den Empfang“, entgegnete Thoo. „Mein Gepäck ...?“
„Wird bereits zu ihre Unterkunft in Luneville gebrachte“, erklärte Frank Beaujeune. „Wenn wir mit Ihnen dort eintreffen, wird es da bereits auf Sie warten.“
„Wirklich gut organisiert!“, lobte der Noraki. „Dann lassen Sie uns mal gehen!“
Die ungleiche Gruppe brach auf und unter angeregtem Geplauder steuerten sie den LTT-Bahnhof des Raumhafens an. Thoo-Aran-Akimas Abenteuer unter den Menschen hatte begonnen ...
Am Abend des 30. Juli 2233 traf sich die Besatzung der PRINCESS II in ihrem frisch renovierten und erweiterten Lieblingsrestaurant, dem ehemaligen MARITIM im allseits beliebten SPACE TOWER Lunevilles. Obwohl nun größer als je zuvor, hatte sich das Restaurant seine Eigenart und seine allgemeine Beliebtheit erhalten. Die Räumlichkeiten hier waren so gestaltet, dass man sich vorkam, als befände man sich in einer Höhle am Grunde des Meeres. Alles war von einem märchenhaft-geheimnisvollen, grünblauen Licht illuminiert.
An verschiedenen Stellen hatte man Wrackteile, Amphoren, Schatzkisten und viele andere Accessoires aus der Seefahrt und Meereswelt auf sandigem Untergrund effektvoll angeordnet. In wassergefüllten Säulen stiegen unaufhörlich kleine Luftblasen nach oben. Holoprojektoren ließen exotische Fische und andere Bewohner der See um die Besucher 'herumschwimmen'. Sitzgruppen wurden durch Aquarien, Fischernetze oder originale Schiffsteile räumlich voneinander abgetrennt, was eine angenehme Privatsphäre schuf, die man durch Schaltung eines Schallschutzfeldes noch intimer gestalten konnte, sollte man das wünschen. Nachdem man einige Flächen angrenzender Läden hatte zusätzlich erwerben können und die Restaurantfläche um fast 40 % erweitert hatte, erfolgte eine umfassen Renovierung, und das Restaurant trug nun den Namen „NEPTUNS REICH“. Und nach wie vor galt es als hiesige Besonderheit, dass nur Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert gespielt wurde, was neben dem maritimen Flair für einen gehörigen Schuss Nostalgie sorgte.
„Da wären wir also mal wieder, liebe Freunde!“, eröffnete Carna soeben die Runde, obwohl noch einer im Bunde fehlte: Roy Anthony, der strohblonde, bärtige Brite, verspätete sich offensichtlich ein wenig.
„Abgetaucht in die Tiefen der Meere und das mitten auf dem Mondnordpol. Auf dass es ein fröhlicher Abend werde!“
„Hört, hört!“, rief Nomo und prostete seinen Kollegen, die es ihm gleich taten, zu. „Große Ereignisse in unserem Leben werfen scheinbar immer hier für uns ihre Schatten voraus ...“, sinnierte Harriet, ein wenig in sich gekehrt.
„Du meinst, weil wir morgen das erste Mal als Kommandocrew auf die künftigen Besatzungsmitglieder der Deneb-Expedition treffen werden?“, erkundigte sich Hanne bei ihrer Crew-Kollegin.
„Ja, unter anderem“, sagte Harriet und nickte dazu mit ihrem Kopf. „Irgendwie saßen wir jedes Mal, wenn ein Auftrag irgend etwas Aufregendes für uns brachte, kurz vorher hier zusammen.“
„Und kamen jedes Mal heil wieder zurück!“, rief Nomo aus und hob sein Glas. „Also ist es ein gutes Omen, auf das wir anstoßen sollten. Prost, Gemeinde!“
„He, seit wann wird hier angestoßen, wenn noch gar nicht alle Crewmitglieder am Tisch versammelt sind?“, erklang in diesem Moment die entrüstet klingende Stimme Roy Anthonys durch den Raum.
Die Ankunft des Kommunikationsspezialisten wurde lautstark kommentiert.
„Wer nicht kommt zur rechten Zeit ...“, begann Glenn ein altes Sprichwort von sich zu geben.
„... der muss trinken, was übrig bleibt“, vollendete der Engländer den Spruch leicht verändert. Dann hob er ein längliches Paket, welches er mit sich führte, in die Höhe, und präsentierte es seinen Kollegen. „Das hier hat mich aufgehalten!“
„Und was ist das?“, wollte Hanne neugierig wissen.
Der smarte Engländer zuckte mit seinen Schultern. „Weiß ich auch noch nicht. Auf dem Weg hierher bekam ich vom Postcenter des HQ die Nachricht, dass in meiner Abwesenheit ein Paket für mich eingegangen wäre, das ich jetzt bitte abholen möchte.“
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