Stark bekam große Augen, wurde leichenblass und stieß erschrocken die Luft aus, denn mit solch einer Maßnahme hatte er nun überhaupt nicht gerechnet.
„Tom … bitte ...“, begann er aufgeregt herum zu stottern. „Das … das kannst du doch nicht machen!“
„Ich kann und das war noch nicht alles!“, entgegnete der Kommandant ungerührt. Und wieder ans Bordbuch gerichtet, fuhr er fort: „Ich ordne ferner an, dass sich Agent Stark einem Counseling zu unterziehen hat, mit dem Ziel, sein psychisches Gleichgewicht und seine Belastbarkeit wiederherzustellen. Eine Verweigerung dieser Maßnahme hat automatisch die Versetzung in den Innendienst zu Folge, was auch eintritt, wenn er nicht im erforderlichen Maß am Counseling mitarbeitet. Ferner wird angeordnet, dass sich Agent Stark von MeDoc einen strikt einzuhaltenden Ernährungsplan erarbeiten lässt, um auch seinen Metabolismus in den gesundheitlich optimalen Zustand zurückzuführen. Carna – Ende!“
Die blaugrauen Augen Carnas richteten sich wieder auf den Submaster der PRINCESS II und hatten dabei wieder ein wenig von der Härte verloren, die noch bis eben seinen Blick beherrscht hatte.
Der sichtlich geschockte Kanadier musste sich am Korpus der Automatenküche abstützen und rang mühsam nach Worten.
„Tom ...“, würgte er schließlich hervor, „... Tom, nein … hör doch ...“
„Nein, du hörst zu, Glenn!“, wurde er von Carna jedoch sogleich mit strenger Stimme unterbrochen, um dann wesentlich sanfter fortzufahren: „Ich dachte wirklich, dass ich dir damals in Las Venus genügend ins Gewissen geredet und du dich danach wieder gefangen hättest. Und ja – während unseres Abenteuers mit AISCHONGAN schien es auch wirklich so zu sein. Doch da hattest du einfach nicht die Zeit, tagelang ins Grübeln zu verfallen … Nein, warte – ich rede und du hörst zu!“, rief er, als Glenn eine Zwischenbemerkung machen wollte. „Doch seit unserer Rückkehr und nach dem ganzen Ärger mit der Keph'Tauren-Flotte merkte ich mehr und mehr, dass du einfach nicht verwunden hast, Tanya nicht davon abgehalten zu haben, sich den Kindern der Sterne anzuschließen. Vor allem auch nicht, dass sie jeden Kontakt mit dir verweigert. Das nagt an dir. Es höhlt dich immer mehr aus, und du wirst langsam, aber sicher ein dumpf vor sich hingrübelnder, unangenehmer Mensch. Noch schlimmer: man kann sich nicht mehr auf dich verlassen! Du frisst unmäßig und säufst wie ein Loch, bist schlecht gelaunt und aggressiv gegen dich und andere. Doch ohne Hilfe kommst du da nicht mehr raus! Diese Hilfe wirst du jetzt verdammt noch mal annehmen! Tust du das nicht, ist kein Platz mehr für dich in dieser Crew – denn deine Unzuverlässigkeit könnte uns anderen in einer ernsthaften Situation das Leben kosten! Das kann ich als Crewmaster nicht riskieren. Und auch nicht als dein Freund … vor allem auch nicht, weil wir möglicherweise vor einer unserer größten Herausforderungen stehen und in Situationen geraten könnten, wo ich jeden von euch zu mehr als 100 % brauchen werde!“ Tom machte eine kurze Pause und schaute dabei Glenn ohne mit der Wimper zu zucken an. „Es ist deine Entscheidung ...“, schloss er dann seinen Appell an seinen Kollegen und Freund.
Der von der Figur her etwas stämmigere Kanadier atmete schwer und hielt dem prüfend-forschenden Blick Carnas einige Momente lang stand. Doch dann senkte er den Kopf und die Anspannung wich aus seinem Körper, wie Luft aus einem Ballon. Seine Schultern sackten abwärts und der Mann glich von einer Sekunde zur anderen nicht mehr einer zum Zerreißen gespannten Feder, sondern eher einem Häufchen Unglück in Person. Dann brach sich die angestaute Verzweiflung ihre Bahn. Glenn konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und sein Körper wurden von Schluchzern geschüttelt. Spontan trat Tom an seinen Freund heran und umarmte ihn fürsorglich.
„Weiß … weißt du, dass es sich anfühlt, als wäre Tanya gestorben?“ Glenn schüttelte seinen Kopf, löste sich aus der Umarmung, und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Der Mensch, der sie war, wurde mir von den Kindern der Sterne genommen, und ich konnte sie nicht davor bewahren ...“
„Nicht immer treffen Menschen rationale Entscheidungen ...“, versuchte Carna, das Gespräch ein wenig von der emotionalen Schiene weg zu führen.
„Da steckt mehr dahinter, Tom ...“, schniefte Glenn. „Tanya ist mir regelrecht entglitten. Ihr Wesen veränderte sich in so kurzer Zeit derart dramatisch, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Dass ich das nicht rechtzeitig gemerkt habe, das macht mich so was von fertig ...“ Dem Kanadier versagte die Stimme und er musste ein paar Mal heftig schlucken.
Der Kommandant schwieg mit verständnisvoller Miene und wartete, bis sich Glenn wieder etwas gefasst und beruhigt hatte. Dieser atmete ein paar mal tief durch und als er seinen Vorgesetzten wieder in die Augen schaute, hatte sein Blick das unstete Flackern der letzten Tage wieder verloren.
„Ich habe den Eintrag in meine Personalakte verdient, Tom!“, stellte er dann mit fester Stimme selbstkritisch fest. „Ich habe mich gehen lassen. In letzte Zeit war ich mir selbst fremd geworden, aber ohne deinen festen Arschtritt wäre ich wohl noch tiefer in mein Selbstmitleid versunken. Ohne professionelle Hilfe werde ich mit der Situation nicht fertig, das sehe ich jetzt ein. Und ich möchte auf keinen Fall in den Innendienst versetzt werden! Die PRINCESS … ihr … ihr seid meine Freunde, meine Familie! Danke, dass du mir die Pistole auf die Brust gesetzt hast!“
Carna nickte freundlich und reichte Glenn freundschaftlich die Hand, welche der sofort ergriff und den festen Händedruck erwiderte.
„Ich musste das tun, eben um dich nicht zu verlieren!“, sagte er mit Nachdruck. „Du warst an einem Punkt angelangt, wo gutes Zureden nicht mehr half. Also höchste Zeit, eine Grenzlinie zu ziehen, um wenigstens zu versuchen, dich vor deiner Selbstzerstörung zu bewahren! Und jetzt gehe in deine Kabine, mache dich etwas frisch und sei in einer Dreiviertelstunde wieder in der Bordmesse. Es gibt etwas Wichtiges zu verkünden und eine Entscheidung muss getroffen werden! Und zwar von uns alle gemeinsam!“
Die beiden Männer, Kollegen und Freunde nickten sich noch einmal zu, dann verließ Glenn die Bordküche, um seine, im nächsttiefer liegenden Deck, befindliche Kabine aufzusuchen, während Tom das tat, weswegen er eigentlich in die Bordküche gegangen war, nämlich eine Kleinigkeit zu Mittag zu essen.
Gegen 13.30 Uhr Bordzeit fand sich dann nach und nach die komplette PRINCESS-Besatzung in der Bordmesse des Schiffes ein und wartete gespannt auf die vom Commander angekündigten Neuigkeiten. Einzig Glenn fehlte noch, doch dann trat auch er in die Messe, und die Tür schloss sich hinter ihm.
„Gut, wir sind vollzählig!“, stellte der Commander fest. „Setzt dich bitte, Glenn. Nun, dann ...“
„Bitte warte, Tom!“, bat der Submaster seinen Chef. „Bevor du loslegst, möchte ich noch was los werden ...“
Carna schaute seinen Stellvertreter einen Moment lang fragend an, doch dann nickte er und gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er das Wort hatte.
Glenn schloss kurz seinen Augen, atmete einmal tief durch und als er die Lider wieder öffnete, konnten seine Kollegen sehen, dass seine Augen feucht schimmerten.
„Ich möchte ...“, begann er mit rauer Stimme, „... nein, ich muss mich bei euch allen entschuldigen! In den letzten Tagen habe ich mich zunehmend wie ein total verblödetes Arschloch benommen. Doch ...“, fügte er etwas lauter hinzu, als leiser Widerspruch ertönte. „Doch, es ist so, war so und da gibt es nichts zu beschönigen! Die Sorge um Tanya … das hat mich aufgefressen. Ich weiß, ihr wolltet mir helfen – ihr habt es oft genug versucht. Und ich Depp habe die Hilfe überheblich abgewiesen, weil ich meinte, alleine damit fertig zu werden. Das war falsch, das sehe ich jetzt ein!“
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