„Danke CONTROL“, bestätigte der Pilot. „Ich übergebe!“
Fernando Luca, der Pilot, lehnte sich zurück, schob seinen Pneumosessel ein Stückchen nach hinten und drehte sich mit diesem dann zu seinem Passagier um.
„Damit ist mein Job für heute getan, Generalmanagerin Reed“, sagte er zu seiner Chefin. „Den Rest erledigt CONTROL. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug!“
„Perfekt, wie immer, Mr. Luca!“, antwortete die vor wenigen Tagen 45 Jahre alt gewordene Frau freundlich. „Schnell, und vor allem angenehm ruhig!“
„So, wie Sie es bevorzugen!“
Ein akustisches Signal zeigte an, dass die Endphase des Landeanfluges begann. Das Beiboot näherte sich einer geöffneten Plattform, auf deren stahlgrauem Metallboden eine leuchtend rote '85' aufgemalt war, und bremste stark ab. Etwa einen Meter über dem Grund kam das silbern glänzende Ellipsoid zum Stillstand und fixierte sich mittels Traktorfelder im Mittelpunkt der 50 Meter durchmessenden Stahlscheibe. An ihrem Rand leuchteten gelbe Blinklichter auf. Sie markierten die Ränder der beiden Hälften der Druckluftkuppel, die sich nun aus den Seiten des Landefeldes nach oben hoben, aufeinander zubewegten und sich innerhalb von nur zwei Minuten über der SILVERJET schlossen. Als der vakuumdichte Verschlusszustand hergestellt worden war, flammte helles Licht aus mehreren großen Scheinwerfern auf und tauchten das Kuppelinnere in gleißende Helligkeit. Zeitgleich liefen starke Pumpen an, die den Innenraum mit Normal-Atmosphäre fluteten. Hätte der Pilot die Außenmikrofone aktiviert, wäre ein rasch anschwellendes Pfeifen und Rauschen vernehmbar gewesen. So zeigte lediglich ein Lichtsignal auf dem Display an, dass außerhalb des Beibootes nun Normaldruck herrschte.
Gleichzeitig sank nun die Landeplattform auf ihrem hydraulischen Teleskop-Lager in die Tiefe der sublunaren Kavernen PORT TESECOS. Am untersten Punkt angekommen, wurde die SILVERJET von Traktorfelder durch das weitläufige, riesenhafte Transportröhrensystem vollautomatisch zu einem freien und passenden Hangarplatz manövriert. Nach weiteren 10 Minuten hatte das silberne Raumboot dann seine endgültige Parkposition erreicht.
„Da wären wir wieder einmal, Chefin“, kommentierte der Pilot den Vorgang und öffnete mit einem Fingerdruck die Zugangsröhre des Flugkörpers, woraufhin sich an deren unterem Ende automatisch Trittstufen, die bis zum Boden reichten, aus dem Korpus hervor schoben.
Generalmanagerin Reed nahm ihr Buch und erhob sich aus ihrem Sessel.
„Grüßen Sie Ihre Frau von mir, Mr. Luca. Bis zum nächsten Mal dann!“, verabschiedete sie sich von dem Piloten. Der tippte sich grüßend an die Stirn.
„Ich werde den Gruß gerne ausrichten. Auf Wiedersehen, Generalmanagerin!“
Die TESECO-Chefin kletterte durch die Röhre nach draußen und begab sich dann ohne Eile zum nächsten Ausgang. Durch einige kurze Korridore ging sie anschließend zum nächsten Haltepunkt der LTS-Direktverbindung von PORT TESESO zum Hauptquartier in der Kuppel 1 der Mondhauptstadt. Im Haltepunkt warteten einige leere Transportfahrzeuge auf Passagiere. Sie wählte eine Einpersonen-Kabine, und bereits während sie Platz nahm, fädelte das Gefährt in die Vakuum-Hochgeschwindigkeitsröhre ein, nahm Fahrt auf und raste Luneville entgegen. Die Fahrt währte gerade mal sieben Minuten, da entstieg die schlanke Frau bereits im Tiefbahnhof des HQ-TESECO wieder ihrem Gefährt. Obwohl es von hier aus einen speziellen Expressaufzug in die Chefetage gab, wählte sie einen der Antigrav-Lifte, dem sie schon in der dritten Etage des Hochhauses wieder entstieg. Sie schlug anschließend den Weg zur dort befindlichen Kantine ein. Da es nach allgemeiner Mondzeit erst 05.30 Uhr, also früh am Morgen war, begegneten ihr noch nicht sehr viele Mitarbeiter. Die Verwaltungsetagen begannen erst um 08.30 Uhr mit ihrer Arbeit. Davor befanden sich bloß die Angehörigen der Einsatzleitung, der Koordination, Kommunikation und der Notfallbereitschaft im Haus. Kate Reed genoss diese ruhigen Minuten, bevor sich hier die Hektik und Emsigkeit eines summenden Bienenstocks entfaltete. Und auch in der großen Kantine, die 24 Stunden am Tag geöffnet hatte, verloren sich höchstens eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen an den vielen Tischen.
Die TESECO-Chefin wählte einen Sitzplatz in einer Ecke des Raumes aus, und orderte über den Tisch-Servo Kaffee, Rühreier, Toast, Butter, zwei Croissants und etwas Marmelade. Innerhalb weniger Minuten kam ein eiförmiger Servierroboter auf seinem Antigravfeld angeschwebt und kam leise summend neben ihrem Tisch zum Stillstand. Die obere Hälfte des Robots kippte nach hinten, und aus der entstandenen Öffnung schob sich das Tablett mit dem Bestellten auf GM Reeds Tisch.
„Ihre Bestellung, Madame“, säuselte eine wohl modulierte Männerstimme aus einem unsichtbaren Lautsprecher des Gerätes. Und da GM Reed, wie alle TESECO-Mitarbeiter, ihr persönliches Multikom-Armband trug, folgte noch der Hinweis: „Die Rechnung wird ihrem Hauskonto belastet. Ich wünsche guten Appetit!“
Damit klappte das Oberteil des Servos wieder zu und die Maschine surrte wie eine emsige Biene davon.
GM Reed gab Milch und Zucker in ihren Kaffee und beschäftigte sich dann mit ihrem Rührei. Sie aß ohne Hast und mit Genuss. Als sie bei den Croissants angelangt war und eines davon gerade mit etwas Marmelade bestrich, hörte sie eine angenehme Männerstimme, die ihr einen Guten Morgen wünschte. Sie sah auf und erblickte die schlanke Gestalt ihres persönlichen Sekretärs Engin Ültay. Wie immer sah er blendend aus, wie aus dem Ei gepellt. Und selbst in seiner dunkelblauen TESECO-Uniform schien es, als wäre er kein Sekretär, sondern ein männliches Model auf dem Weg zu einem Fotoshooting. Kein Wunder, denn neben seiner sportlichen Gestalt besaß der Istanbuler auch ein ausnehmend hübsches, männlich-markantes Gesicht, in dem seine ausdrucksvollen, warmen braunen Augen ein dominierendes Merkmal darstellten.
Die TESECO-Chefin zog ihre Stirn kraus. „Guten Morgen, Engin“, erwiderte sie dann den Gruß. „Und es ist mir wie immer ein Rätsel, wie Sie schon so früh am Morgen so fantastisch frisch aussehen können. Sie lassen mich damit alt aussehen, und das missbillige ich auf das Schärfste! Setzen Sie sich bitte! Möchten Sie sich auch etwas bestellen?“
„Nein danke, ich habe bereits gefrühstückt“, lehnte er ab und nahm Platz. „Und? Gut erholt?“
„Das bin ich, in der Tat!“, bejahte Ültays Chefin diese Frage und biss genussvoll von ihrem Croissant ab. Und nachdem sie den Bissen mit einem Schluck Kaffee hinunter gespült hatte, fuhr sie fort: „Nach all den Ereignissen der letzten Monate fühlte ich mich mehr als urlaubsreif. Irgendwann ist der beste Akku eben mal leer. Und ob Sie es glauben oder nicht: ich konnte wirklich total abschalten!“
„Das ist in der Tat erstaunlich!“, kommentierte ihr Sekretär die Worte seines Gegenübers. „Sie haben nicht einmal an die Firma gedacht?“
„Gelegentlich natürlich schon“, gab GM Reed zu. „Wenn man so eine Organisation leitet, dann spukt das zwangsläufig immer wieder im Kopf herum. Aber ich habe viel gelesen, lange geschlafen, Theater, Konzert und Musicals besucht, habe Ausflüge gemacht und Sport getrieben. Kurz: so erholt habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt!“
„Das freut mich für Sie, Kate“, lautete Ültays aufrichtige Entgegnung. „Verdient hatten Sie sich das auf alle Fälle.“
„Und nun hat mich die tägliche Routine wieder“, seufzte die Leiterin der Sicherheitsorganisation. „Wenn Sie schon mal da sind, dann können Sie mich ja vorab mal ein wenig auf den neuesten Stand bringen!“
„Mache ich … SELENE?“ Die zentrale Optronik TESECOS reagierte sofort auf die direkte Ansprache des Sekretärs.
„Ich höre?“, erklang eine weiche, wohl modulierte Frauenstimme, die durch gerichtete Schallprojektionsfelder nur am Tisch vernommen werden konnte.
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