Nach dieser einschlägigen Erfahrung hatte ich zunächst eine gehörige Menge Respekt vor Pferden. Reiter kennen dieses Gefühl. Wenn man beim Reiten einmal vom Pferd fällt, sollte man sofort wieder aufsteigen und dort weitermachen, wo man gerade aufgehört hat (sofern das natürlich noch geht). Aber nun zurück zu Levin.
Eines Tages hörte eine Bekannte davon, dass wir ein Pferd haben. Sofort wurde ein Termin vereinbart. Sie wollte unbedingt bei Levin mitmachen.
Wir trafen uns also auf dem Pferdehof, holten Levins Halfter und gingen auf die Koppel, diesen zu holen. Ach ja, da war ja noch etwas Entscheidendes. Einen Tag zuvor hatte ich herrlich duftende Himbeer-Leckerlis für Pferde in der Hosentasche gehabt. Aus diesem Grund ging ich quasi mit einem super nach Himbeeren duftenden Hintern auf die Koppel, was natürlich einigen Pferden nicht entging. Zur Herde gehörte damals auch ein etwas spät gelegter grauer Wallach, welchen wir aber noch nicht so kannten. Dieser wurde von seinem Besitzer entgegen aller guten Regeln immer auf der Koppel mit Leckerlis gefüttert und hatte auch sonst ein etwas ruppiges Benehmen. Nun ja, wir gingen also mit Halfter bewaffnet und absolut selbstbewusst zu Levin, der sich auch sichtlich freute uns zu sehen. Hinter uns, sozusagen im Gänsemarsch, folgten einige andere Pferde der Duftspur meines Hinterns, was uns aber zunächst nicht beunruhigte. Waren dieses doch gut alles erzogene Tiere. Levin zeigte sich von seiner ganz charmanten Seite und senkte sogar den Kopf, damit wir ihm das Halfter anlegen konnten. Wir waren so sehr damit beschäftigt, dass wir gar nicht bemerkten, wie sich von der Seite her auch dieser zuvor erwähnte graue Wallach näherte. Meine Bekannte hatte nun endlich Levin glücklich an der Führleine, als „Graui“ diesem plötzlich mit angelegten Ohren in den Hals biss. Levins Reaktion erfolgte natürlich sofort. Er sprang seitlich nach vorne weg. Spätestens ab jetzt wussten wir um die glorreiche Funktion eines Panikhakens. Ein Lob dem Erfinder. Anschließend kam der „Beißer“ mit immer noch mit nach hinten angelegten Ohren auf uns zu und biss meiner Bekannten hinten in den Kragen des Pullovers. In diesem Moment schmolz unser selbstbewusstes Auftreten zu gar nichts mehr dahin und wir traten, verfolgt von „Graui“, dicht am Elektrozaun den ungeordneten Rückzug an. Dieser schien sich einen Spaß damit zu machen, meine Bekannte immer wieder vor sich her zu schubsen. Auf halben Weg zum Ausgang der Koppel stellte sich uns nun auch noch ein wahrer Riese namens Big-Boy in den Weg. Nur zu eurem Verständnis, Big-Boy ist das größte Pferd auf dem ganzen Hof und ich kannte seinen Charakter damals noch nicht. Versetzt euch mal in unsere Situation. Hinter uns der „Schubser und Beißer“ und vor uns „Gigantus“… In diesem Moment dachten wir ehrlich bereits daran, über den Elektrozaun auf die Nachbarkoppel zu springen oder so. Aber dann kam es anders, wofür ich Big-Boy heute noch dankbar bin. Er blieb zunächst mit dem Kopf zu uns in unserer „Fluchtspur“ stehen so dass wir genau auf ihn zuliefen. Als wir bis auf ca. drei Meter vor ihm waren, machte er einen Schritt nach rechts, so dass wir zwischen dem Koppelzaun und ihm flüchtender Weise hindurch gehen konnten. Als wir vorbei waren, machte er sozusagen wieder dicht und versperrte „Graui“ dadurch den Weg. Als dieser dann in seiner Reichweite war, versetzte er ihm mit seinem Vorderhuf einen gewaltigen Schlag vor die Brust. Ich muss gestehen, irgendwie kam in mir so ein bisschen Schadenfreude gemischt mit einem Gedanken an Blutwurst und „Stinkefinger“ auf. Anschließend „eskortierte“ uns Big-Boy in gebührendem Abstand bis zum Ausgang. Nun standen wir beide da mit einem Führstrick ohne Halfter und Pferd, sozusagen mit nix. Nach einer „Beschwerdenote“ an die Chefin, welche diese lächelnd zur Kenntnis nahm, kam sie dann mit auf die Koppel und wir konnten unseren Levin endlich holen. Hier wurde uns von ihr auch die Situation erklärt. „Durch meinen „Himbeerhintern“ dachte „Graui“ ich hätte Leckerlies in der Tasche und da er es ja so von seinem Besitzer gewohnt war, wollte er diese natürlich haben. Die Essenz aus der ganzen Geschichte: Möchtet ihr auf einem Pferdehof mal jemanden richtig Ärgern, steckt ihm vorher heimlich die herrlichen „Himbeerleckerlies“ in die Hosentasche und lasst diesen dann ein Pferd von der Koppel holen. Passt dabei aber auf, dass genug Pferde auf dieser Koppel stehen und ihr vor allem als Beobachter vor dem Elektrozaun bleibt. Ihr und „das arme Opfer“ haben garantiert viel Spaß dabei… Ach so, ab da war Big-Boy mein persönlicher Freund und ich verstehe mich heute noch gut mit ihm.
Irgendwann einmal muss jedes Pferd zum Hufschmied. Nicht jedes lässt dieses dann so einfach über sich ergehen. Teils aus Angst oder aber auch aus Prinzip nicht. So, wie mir das vorkam, kannte Levin gar keinen Hufschmied. Er gab zwar beim Putzen mittlerer Weile die Hufe sehr gut, aber dann kam plötzlich der Onkel mit den Zangen und Feilen… Zunächst neugierig, gab er den ersten Vorderhuf. Das funktionierte wunderbar. Auch der zweite Vorderhuf – alles gut. Wir waren erstaunt. Aber dann… man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Seinem Alter entsprechend probiert er sich gerne mal aus. So auch hier. Dass die Arbeit ein paar Momente später wegen allgemeinen Lachkrämpfen unterbrochen werden musste, ahnte hier noch keiner. Bei den Hinterhufen benötigt der Hufschmied Hilfe. Da Levin die Hufe zwar ohne Probleme nach hinten hebt, aber dauerhaft nicht selbst hochhält, wurde ihm ein breiter Riemen um den Huf gelegt, mit den jemand dann den jeweiligen Huf sozusagen stützend hochhalten muss. Da ich, sagen wir mal, körperlich etwas eingeschränkt bin, bat ich einen der „schweren Jungs“, dieses doch zu übernehmen. Nach einer Weile bemerkte ich, dass der ehrenamtliche „Hufhalter“ immer mehr Schweißperlen auf der Stirn hatte und seine Gesichtsfarbe sich langsam von normal auf rosarot änderte. Auf meine diesbezügliche Frage, ob das denn so anstrengend ist, antwortete er lächelnder weise: „Das eigentlich nicht, aber dein Pferd stützt sich hier langsam immer mehr auf.“ Das rief den „Feilenonkel“ auf den Plan. Er legte sein Werkzeug bei Seite und deutete uns an, das Feld zu räumen nach dem Motto: „Haltet mal kurz Abstand.“ Dann nahm er den breiten Lederriemen und bratzte Levin voll eine auf die linke Hinterhand. Durch die Breite des Riemens tat es ihm nicht weh, aber es kam hier auch nur auf den Knall an. Danach ging er wieder seelenruhig an die Arbeit und sagte zu mir: „Beruhige ihn vorne mal ein bisschen.“ Die ersten Worte, die mir daraufhin einfielen, waren „Siehst du, jetzt hast du Pöpöchen voll bekommen.“ Nun ja, die Reaktion erfolgte nicht sofort, aber dann… Es wurde langsam hinten das Werkzeug abermals weggelegt und das Hinterbein erneut abgestellt. Daraufhin entfernten sich die beiden „Onkels“ in Richtung Stalltür und brachen in ein schallendes Gelächter aus. Kaum, dass diese sich beruhigt hatten, wurden sie von jemanden gefragt, warum sie denn so lachten, was erneut einen Lachkrampf auslöste. Ab diesem Tag war und ist Levin beim Hufschmied sozusagen fast ein „Vorzeigemodel“. Jedes Mal, wenn nun der „Feilenonkel“ kam, erzählten wir über Gott und die Welt, aber „Pöpöchen voll“ löst immer noch Gelächter aus.
Im Winter sind viele Pferde nur tags über auf der Koppel und werden allabendlich in den Stall geholt. Da ich berufstätig bin und aus diesem Grund oftmals nur am späten Nachmittag zu Levin kann, helfe ich öfters mal mit, eben diese Pferde in ihre Boxen in den Stall zu bringen. Zu diesen Pferden gehört auch das älteste auf dem Pferdehof. Es ist eine Stute mit dem schönen Namen Direxonia, von allen aber kurz „Direx“ genannt. PS: Nur um die Besitzerin zu ärgern, ich weiß, dass Direx vorher „Gisela 2“ hieß.
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