sie ab, um ihre Pferde zu führen. So verlangte es die Tradition des
Pferdevolkes, damit die Tiere stets frisch genug für eine kraftvolle Attacke
blieben.
Hatmerlemin war es, der es zuerst sah. »Dort rechts. Zehn Längen über
dem Grund.«
Kormund ärgerte sich, dass er die deutlichen Zeichen nicht als Erster
bemerkt hatte. »Ich kann es sehen, guter Herr Hatmerlemin. Helle
Bruchkanten. Die Witterung hat die Felsen gelöst, worauf sie gebrochen und
herabgestürzt sind. Langsam jetzt, und haltet Euch von der Wand fern, Ihr
guten Herren, es mag sein, dass sich noch weitere Brocken lösen.«
Geröll bedeckte einen Teil des Talgrunds, hier und da ragten ein paar
größere Felsen empor. Zwischen den Gesteinsmassen lagen weißliche Bündel
auf dem grünen Sommergras und tränkten es mit Blut.
»Bei den Finsteren Abgründen«, fluchte einer der Pferdelords erbittert,
»die Herde muss vollkommen überrascht worden sein. Warum sind sie nicht
geflüchtet?«
Sie trabten zu den Opfern des Steinschlags hinüber. Rund zehn Schafe
waren von den Steinen erschlagen worden, und andere mussten verletzt
worden sein, denn Blutspuren führten in verschiedene Richtungen.
Kormund gab das Zeichen mit der Wimpellanze, und der Streiftrupp hielt
an. Der erfahrene Scharführer stützte eine Hand auf das Sattelhorn, an dem
der grüne Rundschild hing, und beugte sich im Sattel vor. »Die Felsen sind
fast sauber, kein Staub vom Bruch, und die Blutflecken sind verwaschen. Es
muss während der Nacht geschehen sein, als der kurze Regensturm tobte. Die
Tiere haben das Herabbrechen der Steine nicht gehört.«
»Ein verdammtes Elend«, brummte Hatmerlemin. »Das ist ein übler
Verlust für die Herde. Sie muss zu Timmins Gehöft gehören. Es befindet sich
in dem kleinen Seitental dort vorne.«
Kormund richtete sich auf und nickte. »Wird schwer für den guten Herrn
Timmins werden, den Schaden auszugleichen. Ist ein guter Mann und braver
Pferdelord. Er kommt mit seiner Familie nur gerade eben über die Runden.
Das ist wahrlich ein harter Schlag.« Er wandte sich im Sattel und sah die
Männer an. »Unser Weg führt ohnehin an seinem Gehöft vorbei. Ich denke,
wir werden dem guten Herrn die üble Kunde überbringen müssen.«
Die Schar trabte auf Kormunds Zeichen hin wieder an. Nur wenig später
öffnete sich das kleine Seitental und gab den Blick auf Timmins Gehöft frei.
Hitze flimmerte über dem Kochschlot auf dem steingedeckten Dach, und als
Timmin den Hufschlag des Streiftrupps hörte, trat er mit freundlichem
Lächeln vor das Haus, gefolgt von seiner Frau und den beiden halbwüchsigen
Kindern.
»Willkommen, Ihr Schwertmänner der Hochmark.« Timmin wies auf
Tränke und Haus. »Ihr seid uns willkommen, Pferdelords. Was gibt es Neues
in der Mark? Guter Herr Kormund, Ihr macht ein betrübtes Gesicht. Gibt es
schlechte Kunde?«
Kormund rammte den Bodendorn seiner Lanze in die Erde und schwang
sich aus dem Sattel. »Es tut mir leid, guter Herr Timmin, aber ich überbringe
tatsächlich schlechte Nachricht. Drüben, im vorderen Tal, haben sich in der
Nacht Steine gelöst und Eure Schafe getroffen. Wohl zehn von ihnen sind tot,
die anderen vor Schreck davongerannt, aber die wird man rasch wieder finden
können.«
Timmins Frau sah die Männer schockiert an, und das Gesicht ihres Mannes
verfinsterte sich. »Das sind üble Neuigkeiten, guter Herr Kormund.«
Der Scharführer warf einen Blick auf seine Männer, die ebenfalls absaßen,
um die Pferde zu versorgen. »Ein schwerer Schlag, guter Herr. Ich weiß, wie
sehr Ihr und Eure Familie für das Gedeihen der Herde geschuftet habt. Sie hat
sich gut entwickelt, ich konnte es über die Jahreswenden selbst erleben, und
nun ist Eure Arbeit dahin. Doch wir werden Euch helfen, die lebenden Tiere
zu finden.«
»Die Wolle der toten Schafe ist recht üppig«, meinte einer der anderen
Reiter. Er nahm den hohen Helm mit dem blauen Rosshaarschweif der
Schwertmänner Garodems ab und wischte sich Schweiß von der Stirn. »Wenn
Ihr Euch beeilt, Timmin, werdet Ihr sie noch handeln können. Es wird nicht
viel einbringen, aber für einen neuen Bock mag es langen.«
»Ach, Ihr guten Herren«, seufzte Timmins Frau. »Ein Bock, und mag er
noch so gut sein, wird nicht reichen als Grundstock für eine neue Herde.«
»Ein paar Schafe werden wir noch finden«, wandte Hatmerlemin ein.
Kormund nickte. »Der Horngrundweiler ist reich an Schafen, guter Herr
Timmin. Sprecht mit dem Ältesten und schildert ihm Eure Lage. Man wird
Euch Schafe für die neue Herde geben, und wenn die neuen Lämmer
herangewachsen sind, werdet Ihr Euch schon über den Handel einig.«
Timmin nickte. »Das scheint mir die beste Lösung zu sein. Ein verfluchtes
Pech, Ihr guten Herren. Gestern fing mein Pferd zu lahmen an, und ich habe
nur dies eine. Deshalb war ich nicht draußen bei der Herde.«
»Gebt Euch keine Schuld. Ihr hättet den Steinschlag nicht verhüten
können.« Kormund lächelte tröstend. »Am Ende hättet Ihr gar selbst einen der
Brocken gekostet, und ich glaube, er wäre Euch nicht bekommen. Auf ein
paar Schafe könnt Ihr verzichten, guter Herr, doch nicht auf Euren Kopf.«
Timmin nickte. »Kommt erst einmal herein und stärkt Euch. Viel können
wir Euch nicht bieten, aber mein Heim ist auch das Eure.«
»Habt Dank für das Angebot«, lehnte Kormund freundlich ab. Er wusste,
dass die Familie nicht viel besaß, wollte jedoch Timmins Gastfreundschaft
nicht einfach zurückweisen. »Aber Ihr und Euer Weib würdet uns einen
großen Gefallen tun, wenn Ihr etwas von unseren Vorräten mit zubereiten
könntet. Heute müsste Hatmerlemin für unser Mahl sorgen, und ich
versichere Euch, er ist ein grauenvoller Koch.«
Der Ehre Timmins und den kargen Vorräten der Familie wurde somit
gleichermaßen Rechnung getragen. Die Männer Kormunds machten sich nach
der Mahlzeit daran, die vermissten Schafe zu suchen, und bis zum späten
Nachmittag hatten sie eine Handvoll Tiere zusammengetrieben. Eines von
ihnen war zu stark verletzt und musste geschlachtet werden. Der Reiter, der
die Aufgabe übernommen hatte, reichte das Schaf zu Timmins Frau hinüber,
die es sofort auszuweiden begann.
»Habt Dank für Eure Hilfe, Schwertmänner Garodems«, sagte Timmin, als
die Männer wieder aufsaßen. »Ich werde Euren Rat befolgen, guter Herr
Kormund, und mit den Männern vom Horngrund sprechen.«
»Tut das, man wird Euch sicher einen fairen Handel vorschlagen.«
Kormund nickte der Familie zu, und der Streiftrupp ritt an.
Timmin und die Männer des Horngrundweilers würden sich darauf
einigen, der Familie mit Tieren auszuhelfen, bis die Verluste ausgeglichen
waren, denn die Menschen des Pferdevolkes waren es gewöhnt, einander in
Gefahr oder Not beizustehen.
Kormunds Schar folgte dem Gebirgszug weiter Richtung Süden, und da sie
auch die Täler abritt, brauchte es seine Zeit. Die Hochmark war nicht die
größte Mark des Pferdevolkes, aber sicherlich eine der unübersichtlichsten.
Sie war die einzige, die sich mitten im Gebirge befand, während die anderen
Marken in den fruchtbaren Ebenen lagen.
Als es zu dunkeln begann, suchten die Männer einen geeigneten
Lagerplatz. Sie wählten weichen Grund, auf dem sie bequem ruhen konnten.
Sorgfältig klopften sie den Boden nach Schlangen ab, ließen ihre Pferde
grasen und verzichteten für die Nacht auf ein Feuer. Normalerweise hätten sie
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