hatten es im Boden entdeckt, als sie den Weiler errichteten, und den Ort
danach benannt. Sie hielten es in Ehren, und Pontims Aufgabe war es, das
Horn aufzubewahren und vor Schaden zu behüten.
»Ob es wirklich ein Horn ist?« Nedeam wollte mit den Fingern sanft über
das Material streichen, aber Pontim hielt seine Hand fest und schüttelte den
Kopf.
»Nicht, guter Herr Nedeam. Es ist wahrlich alt und könnte unter der
Berührung leiden. Ja, ich denke schon, dass es ein Horn ist, auch wenn es eine
ungewöhnliche Form hat.«
»Ein merkwürdiges Tier muss das gewesen sein«, brummte Dorkemunt.
Das Horn war vollkommen gerade, dabei jedoch viele Male in sich
verwunden, wie bei dem Gehäuse einer Schnecke. »Ein Hornviech mit zwei
solchen Hörnern würde jedenfalls kaum durch die Talenge passen.«
Nedeam lachte bei der Übertreibung seines Freundes auf, doch Pontim
knurrte leise. »Redet keinen Unsinn, guter Herr. Es wird sie nach vorne
gerichtet getragen haben. Wie jene Waldtiere aus den unteren Marken.«
»Habt Ihr denn das zweite gefunden?«
»Leider nicht.« Pontim schlug das Tuch wieder behutsam über dem
Symbol zusammen. »Nicht einmal den zugehörigen Schädel. Aber beides
muss es gegeben haben. Jedenfalls wüsste ich kein Tier zu nennen, das nur
ein Horn am Schädel trägt.«
Nedeam kratzte sich unsicher im Nacken. »Vielleicht war es eine Waffe,
die jemand verloren hat. Eine Lanze möglicherweise.«
»Wir werden es wohl nie erfahren.« Pontim schloss den Deckel der Truhe
und richtete sich auf. »Sein Träger ist in jedem Fall schon lange tot. Vielleicht
wissen die Herren Elfen, welches Wesen es einst trug.«
Nedeam nickte. »Wir sollten den Hohen Herrn Lotaras aus dem Hause
Elodarion einmal fragen, ob er ein solches Horn kennt.«
»Wenn sich unsere Wege jemals wieder kreuzen sollten.« Dorkemunt
seufzte. »Doch wer vermag schon die verschlungenen Pfade des Schicksals
vorherzusagen?«
»In jedem Fall vermag ich zu sagen, dass Ihr Hunger habt, Ihr guten
Herren«, meldete sich die Frau des Ältesten zu Wort. »Ich kann das Knurren
Eurer Mägen bis hierher hören. Nein, widersprecht mir nicht, Ihr Herren. Erst
wird gegessen, dann könnt Ihr Euren Handel machen.«
»Sie hat recht.« Pontim wandte sich zur Tür, wo nun ein Knabe erschien.
»Geh zu Rufus und sage ihm, die guten Herren Nedeam und Dorkemunt
wollen einen Handel mit ihm schließen. Und Ihr«, er wandte sich zu den
beiden Pferdelords um, »werdet jetzt erst einmal ordentlich zulangen. Wir
haben heute Morgen frisches Brot gebacken und ein Rind geschlachtet.«
Sie saßen im Obergeschoss des Hauses in der Wohnstube der Familie, als
unter ihnen schwere Schritte ertönten und eine kräftige Stimme nach ihnen
rief. »Wo sind sie? Wo sind die Pferdelords, die einen Handel machen
wollen?«
»Sie sind hier oben, guter Herr Rufus«, rief die Frau des Ältesten. »Und
wenn Ihr sie nicht in Ruhe essen lasst, werden sie so vom Fleisch fallen, dass
sie nie wieder einen Handel machen können.«
Die Schritte polterten die Treppen herauf, und das breite Gesicht eines
stämmigen Mannes erschien. »Ah«, rief er erfreut, als er Nedeam und
Dorkemunt erkannte. »Die guten Herren von Balwins Gehöft. Seid gegrüßt,
Pferdelords.«
»Setzt Euch zu uns, Rufus«, lud ihn der Weilerälteste ein. »Es ist genug für
alle da, und Ihr seht hungrig aus.«
»Der gute Herr Rufus ist immer hungrig«, lachte seine Frau und füllte eine
weitere Schale.
»Und durstig«, bekannte der Hornviehzüchter. »Wenn Ihr noch einen Krug
Wasser hättet, gute Frau?«
Auch Rufus trug trotz der Hitze einen Umhang. Er war aus schwerer
brauner Wolle und wurde von zwei Lederriemen verschlossen. Die Menschen
des Pferdevolkes färbten ihre Umhänge je nach Vorliebe mit den geeigneten
Kräutern, Wurzeln oder Pilzen. Alle möglichen Farben waren vertreten, doch
Grün blieb allein den Pferdelords vorbehalten. Rufus hatte nie den Eid als
Kämpfer abgelegt und widmete sich lieber seinem Hornvieh als den
Wehrübungen. Dennoch verstand er es, mit Axt, Pfeil und Bogen umzugehen,
was schon so manches Raubtier schmerzhaft hatte feststellen müssen.
»Ihr wollt Hornvieh erstehen?«, fragte Rufus mit vollem Mund und zog
hastig die Schüssel mit Fleisch zu sich heran, als die Frau des Ältesten sie
fortstellen wollte. »Ihr tut gut daran, zu mir zu kommen. Ich habe erstklassige
Kälber, und es ist gutes Hochmarkvieh, nicht diese verwöhnten Rassen aus
den unteren Marken. Meine Tiere tragen noch Temperament in sich und ein
dichtes Fell gegen die Eisstürme des Winters. Ich kann Euch ein paar
überlassen, wenn wir uns einig werden. Wolle und Leder im Tausch, meintet
Ihr?«
Nedeam nickte. Da Balwins Gehöft offiziell in seinen Besitz übergegangen
war, lag es an ihm, den Handel abzuschließen. »Wolle und Leder. Vom
Besten.«
»Nun, das will ich glauben. Eure Schafe tragen gute und dichte Wolle. Wir
werden schon übereinkommen.« Rufus schmatzte behaglich, ließ seine Zunge
durch die geleerte Schale gleiten und lehnte sich dann mit einem
vernehmlichen Aufstoßen zurück. »Warum wollt Ihr Hornvieh züchten? Es
wird Euch viel Arbeit machen, Ihr guten Herren. Im Weiler sind genug
Männer, um sich bei der Herdenwache abzuwechseln, aber Ihr seid nur zu
zweit, und die Hornviecher müsst Ihr gut im Auge behalten.«
»Wir haben einen Pferch vorbereitet«, erwiderte Nedeam.
»Einen … was?«
»Wir haben ein Stück des Tals umzäunt. Wie man es für Pferde macht, die
noch nicht zugeritten sind«, erklärte Dorkemunt. »Da hinein werden wir das
Hornvieh sperren.«
Rufus lachte gutmütig. »Das mag das Hornvieh aus den unteren Marken
zusammenhalten, aber nicht unseres. Meine Tiere verfügen über
Temperament, erwähnte ich das nicht?«
»Ihr tatet es«, brummte der kleinwüchsige Pferdelord. »Aber glaubt mir,
auch die Rinder der unteren Marken können kräftig mit den Hörnern stoßen.
Doch keine Sorge, ich weiß einen festen Zaun zu errichten.«
Rufus wirkte verwirrt. »Eine merkwürdige Vorstellung, Hornvieh hinter
einen Zaun zu sperren. Wozu wollt Ihr einen Zaun, guter Herr Dorkemunt?
Die Felswände der Mark sind hoch und steil, auch der stärkste Bulle vermag
sie nicht zu ersteigen. Zudem braucht das Vieh viel Bewegung und gutes Gras
und Kraut. Das macht sein Fleisch fest und schmackhaft und lässt es nicht so
wabbelig und fettig werden wie das der Hornviecher aus den unteren
Marken.«
Der Viehzüchter zuckte seine breiten Schultern. »Aber nun, ich will Euch
da nicht hineinreden, Ihr guten Herren. Lasst uns sehen, welche Ware Ihr
gebracht habt.«
Im Haus war es immer noch heiß genug gewesen, aber als sie nun wieder
hinaus in die pralle Sonne traten, trieb es ihnen sofort den Schweiß aus allen
Poren. Rufus blickte zum Himmel hinauf. »Wird einen schweren Regensturm
geben. Man kann es riechen. Wir sollten uns beeilen. Bei einem solchen
Sturm wird es schwer für Euch, das Hornvieh nach Hause zu treiben. Es ist
zwar temperamentvoll, aber auch ein wenig schreckhaft.«
Nedeam und Dorkemunt hoben die Packtaschen von den Pferden, und
Rufus begutachtete ihre Waren mit kundigen Augen und Händen. »Es ist gute
und dichte Wolle«, stellte er fest. »Schade nur, dass Ihr sie nicht zu Fäden
spinnen könnt, dann würdet Ihr einen weitaus besseren Preis erzielen. Aber
nun wird meine Frau dies tun und die Wollfäden dann in Eternas feilbieten.
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