gegen die Hauswand. »Nun, es kann nicht jeder ein Pferdelord sein.
Immerhin, ein Jäger kann mit dem Bogen umgehen. Ihr werdet also
Merdonans Mauern verteidigen, wenn der Pferdefürst Euch ruft.«
»So wie jeder waffenfähige Mann«, bestätigte Helemunt.
Der Alte nickte. »Die Menschen der Städte verweichlichen, guter Herr, das
sage ich Euch. Zu meiner Zeit wäre jeder Mann und jede Frau zur Mauer
geeilt, wenn es gegolten hätte, sie zu schützen, aber heute … Bah, die Frau
meines Sohnes vermag allenfalls einen Topf zu schwingen, aber sie kann
nicht einmal ein Messer oder eine Axt richtig werfen. Auf Pfeil und Bogen
versteht sie sich schon gar nicht. Nicht das rechte Weib für einen Pferdelord,
sage ich Euch, nicht das rechte Weib. Aber dann zieht sie mit dem Bengel
hinaus in die Mark.« Der Alte seufzte. »Immerhin, er selbst ist ein rechter
Pferdelord und wird es ihr wohl beibringen.«
»Das wird er gewiss«, sagte Verinya eifrig.
»Hm.« Der Alte musterte sie abermals. »Vermögt Ihr einen Pfeil zu lösen,
gute Frau?«
»Sie vermag ein Messer zu werfen«, sagte Helemunt rasch. Das hatte er
selber festgestellt, als sie einmal, entflammt im Zorn, die Klinge direkt neben
sein Ohr ins Holz der Tür versenkte. Er hatte dies für Zufall gehalten und
spöttische Bemerkungen gemacht, bis plötzlich eine weitere Klinge auf der
anderen Seite in der Tür steckte.
»So, so, ein Messer.« Der alte Wennemunt knurrte. »Nun, für ein Spitzohr
mag das reichen, aber sicher nicht für eine der Eisenbrüste. Rundohren, Ihr
versteht?«
»Merdonans Mauer ist hoch, und ihre Verteidiger sind stark und
zahlreich«, erwiderte Helemunt. »Kein Ork würde jemals über den Wall
gelangen.«
Der Alte lachte auf. »Das will ich meinen, guter Herr Jäger. Die Mauer ist
fest und stark, so wie mein Haus hier.«
»Guter Herr Wennemunt, wir suchen eine Bleibe, und man riet uns, uns an
Euch zu wenden«, sagte Verinya freundlich lächelnd. Dieses Lächeln, das
jeden Mann daran erinnert, dass es bei den Menschenwesen zwei
Geschlechter gibt.
Der Alte schniefte erneut. »Heutzutage suchen viel zu viele eine Bleibe in
der Stadt. Ein Pferdelord sollte draußen in der Mark wohnen, in den freien
Ebenen. Auf einem Gehöft oder in einem Weiler, wie es sich gebührt.«
Wennemunt zuckte missmutig die Achseln. »Aber viele sehnt es nach dem
bequemen Leben in der Stadt.« Der Stock pochte gegen das Holz, wanderte
ein Stück weiter und klopfte erneut. »Kein Wurm im Holz, Ihr könnt es
hören. Ein gutes Haus.«
»Viel können wir Euch nicht geben, guter Herr Wennemunt«, sagte
Helemunt bedauernd. »Im Augenblick haben wir nur wenig, und die Herberge
…«
»Ah, Herberge.« Der Alte spuckte aus. »Ein junges Paar braucht eine
vernünftige Bleibe. Ihr könnt keine Kinder in einer Herberge aufziehen. Ihr
wollt doch sicher Kinder, wie?«
»Ja, natürlich.«
»So ist es recht.« Wennemunt nickte zufrieden. »Die Kinder sind die
Zukunft des Pferdevolkes, glaubt mir. Nun, ich kann das Haus aufstocken
lassen. Holz findet sich reichlich, und helfende Hände ebenso. Wenn Ihr also
mögt, will ich Euch gerne das obere Geschoss überlassen. Nein, nein, dankt
mir nicht, Ihr werdet dafür Dung schleppen müssen.« Er lachte freundlich.
»Und unterschätzt meine Verdauung nicht. Mein Rücken und meine Beine
mögen mir Probleme bereiten, doch alles andere ist noch in bester Ordnung.«
Helemunt und Verinya konnten ihr Glück kaum fassen. Der freundliche
Alte würde ihnen endlich die ersehnte Unterkunft geben. Und durch das
Dungschleppen würden sie auch bald die Möglichkeit haben, sich ihr neues
Heim einzurichten, und vielleicht, so hoffte vor allem Helemunt, würde sich
Verinyas Leib dann auch bald zu runden beginnen.
In der großen Versammlungshalle der Burg Eternas waren Tische und Bänke
in Form eines Hufeisens aufgestellt worden, und nun waren zahlreiche Hände
damit beschäftigt, Speisen und Getränke für den Abend vorzubereiten und
alles festlich zu schmücken. Zwischen zwei der Säulen, die sich vor den
grauen Mauern erhoben, saß eine Gruppe von Musikanten, die am Abend mit
ihren Instrumenten und Stimmen zunächst einige Weisen des Pferdevolkes
vortragen und später dann zum ausgelassenen Rundtanz aufspielen würden.
Garwin, der Sohn von Garodem und Larwyn, rannte neugierig durch die
Halle und warf immer wieder hoffnungsvolle Blicke auf die Musiker.
Inzwischen ein Knabe, hoffte er wohl darauf, an diesem Abend neben seinen
Eltern an der Tafel sitzen zu können. Doch Garodem würde dies ablehnen, da
er seine gutmütigen Pferdelords kannte, die dem Jungen, sicher ohne böse
Absicht, wenngleich heimlich, Gerstensaft in den Becher geben würden,
Larwyn hingegen würde der Anwesenheit Garwins zustimmen und ihre
schützende Hand über den Becher des Sohnes halten. Garwin würde sich
darauf verlassen können, dass seine Mutter sich durchsetzte. Es würde ein
kurzes Geplänkel zwischen den Eltern geben und Garodem schließlich mit
Würde einen ehrenvollen Rückzug antreten. So war es beinahe immer, wenn
es um Garwins Wohl ging.
Während Larwyn, als Herrin der Hochmark, bei den Vorbereitungen half,
betrachtete Meowyn mit dem sorgenvollen Blick der Heilerin und ihren
düsteren Vorahnungen über den nachfolgenden Morgen die bereitstehenden
Mengen an Wein und Gerstensaft. Garodem indes, gefolgt von dem ernst
blickenden Tasmund, führte die beiden Elfen Lotaras und Leoryn an dem
riesigen gemauerten Kamin an der rechten Wand vorbei zu der schmalen
Treppe, die zu den Gemächern ins obere Stockwerk führte. Sie schritten die
steinernen Stufen hinauf, und die Wache vor Garodems Amtsraum legte
grüßend die Hand an den Schwertgriff, als die Gruppe an ihr vorbei in den
Raum trat.
Garodem hatte beim Bau der Burg Wert darauf gelegt, dass der Weg zu
den Räumen der Obergeschosse durch seinen Amtsraum führte. Denn auch
wenn er der Herr der Hochmark war, wollte er den Männern und Frauen der
Burgbesatzung doch zeigen, dass er sich als Gleicher unter Gleichen sah, als
Pferdelord wie sie. Zudem schätzte er die Möglichkeit zu einem Gespräch,
das sich stets ergeben konnte, wenn jemand den Raum betreten musste.
Schließlich lagen neben den Gemächern des Pferdefürsten auch die Kammern
des Ersten Schwertmanns und der Scharführer hier im Obergeschoss, und
selbst die Turmwache des Signalfeuers musste zunächst Garodems Amtsraum
durchqueren, um in das Dachgeschoss zu gelangen. Andere Pferdefürsten
bevorzugten für ihre Amtsgeschäfte die Zurückgezogenheit eines
abgeschiedenen Raumes, nicht jedoch Garodem, der nur selten vertrauliche
Gespräche führen musste. Wie etwa an diesem Abend.
»Nehmt Platz, meine Freunde aus dem Hause Elodarion«, forderte der
Pferdefürst die unerwarteten Gäste auf und ging zu seinem Schreibtisch
hinüber, der schwer und massiv vor der Stirnwand des Raumes stand. Das
Holz war sorgsam poliert, doch die Platte wies Flecken von Tusche und eine
tiefe Kerbe auf, wo einst ein Schwerthieb sie getroffen hatte, als die Hohe
Dame Larwyn gegen ein Graues Wesen um ihr Leben kämpfen musste.
Tusche, Feder und Pergament lagen auf dem Schreibtisch und dazu ein
geschnitztes Pferd, mit dem Garwin gespielt hatte und dessen abgebrochenes
Bein Garodem noch nicht hatte harzen können.
Die beiden Elfen nahmen auf zwei gepolsterten Stühlen Platz, deren
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