weiß es nicht genau, aber ich kann es spüren. Doch vielleicht ist das auch nur
das Alter meiner armen Knochen.«
Bulldemut war keineswegs so gebrechlich, wie er sich gelegentlich gab,
das wussten sie beide. Vielmehr spürten sie stilles Einvernehmen. Die Orks
würden kommen, daran gab es keinen Zweifel. Sie fühlten es. Eine schwer zu
definierende düstere Stimmung, die sich zusammenzog wie jene finsteren
Wolken im Osten und sich langsam, aber unaufhaltsam, Merdonan näherte.
Hoch über dem Tor der Festung Eternas wehte das Banner des Pferdefürsten
Garodem in der sanften Brise, die durch den Talkessel strich. Der Wind ließ
auch die anderen Wimpel und Tücher flattern, mit denen man die Burg und
die davorliegende Stadt Eternas geschmückt hatte. Selbst an dem mit Steinen
gepflasterten Weg, der Stadt und Wehranlage miteinander verband, hatte man
Lanzen aufgestellt, die mit bunten Stoffstreifen verziert waren. Aber niemand
achtete auf den farbigen Schmuck, denn alle Augen waren auf den Weg
gerichtet, der aus dem vorderen Burghof zur Stadt und durch sie hindurch ins
Tal von Eternas führte.
Tasmund, der Erste Schwertmann der Hochmark, schlug mit der flachen
Hand auf die steinerne Brüstung der Wehrmauer. »Ich setze auf Dorkemunt«,
rief er vergnügt. »Der Bursche ist klein, ein exzellenter Pferdelord, und er
reitet auf seinem zähen Wallach.«
»Unsinn.« Meowyn sah ihn spöttisch an. »Dorkemunts Wallach ist so zäh,
weil er schon so alt ist.«
Tasmund errötete ein wenig und räusperte sich. »Ah, nichts gegen Euren
Nedeam, Hohe Frau Meowyn, gewiss nicht. Auch er ist ein guter Pferdelord,
gar einer der besten.« Tasmund lächelte entschuldigend. »Aber er hat nicht
des guten Herrn Dorkemunts Erfahrung.«
»Dorkemunt hat wohl tatsächlich das bessere Pferd«, warf Larwyn, die
Gemahlin des Pferdefürsten Garodem, ein. Sie deutete nach Süden, zum
Eingang des Tals von Eternas, den man vom erhöhten Standort über dem
Burgtor gerade noch erkennen konnte. »Ich glaube, er liegt vorne.«
»Wie ich es mir dachte.« Tasmund zuckte entschuldigend die Schultern.
»Verzeiht, Hohe Dame Meowyn, doch der gute Herr Dorkemunt wird Euren
Nedeam schlagen.«
»Er hat recht, Hohe Frau Meowyn.« Garodem beschattete seine Augen.
»Der Reiter vorne ist sehr klein.«
»Nedeam wird sich über das Pferd gebeugt haben«, wandte Meowyn ein.
»Das lässt ihn klein erscheinen. Könnt Ihr das Pferd erkennen, Hoher Lord
Garodem?«
Im Augenblick fiel es schwer, zu bestimmen, welcher der Reiter vorne lag.
Eigentlich sah man nur dunkle Schemen, um die herum der Staub aufwirbelte.
Doch die Reiter näherten sich Stadt und Burg in scharfem Ritt, und sehr bald
schon würde man sie voneinander unterscheiden können.
Der Ritt war aus dem freundschaftlichen Wettstreit einiger Pferdelords
entstanden, welche die nun jährlich stattfindenden Wehrübungen als
Gelegenheit sahen, einander wiederzusehen und sich in ihren Fertigkeiten zu
messen. Während die Schwertmänner, die man an ihren mit
Rosshaarschweifen verzierten Helmen erkennen konnte, die ständige
bewaffnete Wache eines Pferdefürsten stellten, bestand die Hauptmacht des
Pferdevolkes aus den einberufenen Pferdelords. Hirten, Handwerker, Bauern
und Händler, die im Falle der Gefahr durch die Losung zu den Waffen
gerufen wurden. Im Gegensatz zu den Schwertmännern, die von Garodem
ausgerüstet wurden, mussten die einfachen Pferdelords selbst für Waffen und
Rüstung sorgen, was dazu führte, dass ihr Erscheinungsbild ausgesprochen
individuell ausfiel. Einheitlich waren nur die grünen Rundschilde, die mit den
Symbolen der Weiler, Gehöfte oder Einzelpersonen bemalt waren, und die
grünen Umhänge, die als Wahrzeichen der Pferdelords galten.
Für den Kampf wurde jeder Pferdelord, zusätzlich zu seinen eigenen
Waffen, mit der langen Stoßlanze aus Garodems Waffenkammer ausgerüstet,
deren Handhabung in der jährlichen Wehrübung ebenso trainiert wurde wie
das Reiten in geschlossener Formation.
Garodem hatte die Pferdelords aus Stadt, Weilern und Gehöften einberufen
und die jährliche Wehrübung abgehalten; er war zufrieden mit dem, was die
Männer an Reit- und Waffenkunst geboten hatten. Selbst der kritische
Tasmund, dem die Ausbildung der Pferdelords oblag, zeigte sich entspannt
und hatte kaum Kritik geübt. Noch vor einigen Jahreswenden war dies anders
gewesen.
Damals hatte die Hochmark in Frieden gelebt, und der Krieg des Ersten
Bundes gegen die Orks und ihren Schwarzen Lord hatte lange zurückgelegen.
Doch dann waren die Legionen des Feindes erneut marschiert, und als die
Reiche der Menschen mit Krieg überzogen wurden, hatten die Orks auch die
Hochmark angegriffen. Erst im letzten Augenblick hatten Beritte aus den
anderen Marken des Pferdevolkes die ersehnte Hilfe gebracht. Der
Überlebenskampf hatte die Menschen der Hochmark daran erinnert, dass der
Frieden nur mit steter Wachsamkeit und Kampfbereitschaft gesichert werden
konnte, zumindest solange die Finsteren Mächte im Osten herrschten. Später
dann hatte man dem Zwergenvolk beigestanden und schließlich noch eine
gefahrvolle Expedition ins Dünenland durchgeführt, die alte Heimat, aus der
die Pferdelords einst vertrieben worden waren. So hatten sie neue Freunde
und alte Feinde gefunden und letztlich auch erkannt, dass die Entscheidung
im Kampf gegen den Schwarzen Lord noch nicht gefallen war.
Die Pferdelords widmeten sich daher den Wehrübungen mit neuem Ernst
und Eifer, doch heute war der Zehntag der Übungen vorüber, und die Zeit der
Entspannung war angebrochen.
»Vor sechs Jahreswenden haben wir die Beritte nach Merdonan geführt«,
sagte Tasmund nachdenklich. »Damals, als die Orks die Grenze bedrohten.«
Garodem nickte. »Ich kann mich gut entsinnen, wie sie versuchten,
Zwietracht in die Versammlung der Pferdefürsten zu tragen. Wie ein Graues
Wesen mordlüstern unter uns wandelte. Ja, sie wollten uns gegeneinander
aufbringen, während ihre Legionen zur gleichen Zeit auf Merdonan
marschierten. Aber der hinterhältige Plan schlug fehl. Wahrhaftig, die Bestien
haben damals nicht damit gerechnet, dass die Pferdefürsten und ihre Beritte,
vereint unter dem Banner des Königs, vor Merdonan erscheinen würden.«
»Es kam nicht einmal zum Kampf. Als ihre Späher die Kolonnen unserer
Beritte entdeckten, gaben sie ihren Plan auf und zogen sich zurück.«
Tasmunds Stimme klang verächtlich, und er spuckte aus. »Selbst der gute
Graue Marnalf konnte in der Stadt keine Bedrohung mehr erkennen und ritt
mit des Königs Pferdelords wieder nach Enderonas zurück.«
»Dennoch dürfen wir uns nicht in Sicherheit wiegen, Tasmund, mein
Freund. Die Orks bedrohen die Grenze noch immer«, stellte Garodem
sachlich fest. »Aber Merdonan selbst ist wieder frei von Gefahr. Die Furcht
wurde von den Menschen genommen, und die alte Ostwache befindet sich in
fester Hand, denn der Pferdefürst der Ostmark ist ein rechter Pferdelord.
Merdonan hat in den letzten sechs Jahreswenden an Stärke gewonnen und
wird einem erneuten Angriff standhalten. Man wird die Grenze schützen, und
sollte die Gefahr zu bedrohlich werden, wird man das Feuer der Ostwache
entzünden.«
Garodem blickte unwillkürlich über die Schulter zurück zum
Hauptgebäude der Festung Eternas, über der sich der hohe Turm mit dem
Signalfeuer erhob. Alle Marken des Pferdevolkes waren über eine Kette
Читать дальше