„Carolin, was soll dieser Aufzug? Willst du mich ärgern?“, harschte er sie zur Begrüßung an.
Catherine war von allen Sinnen. Was wollte dieser Mann von ihr und mit wem verwechselte er sie? Sie hatte nie etwas von Carolin gesagt, geschweige denn, kannte sie ihn.
„Aber ich bin nicht Carolin. Ich heiße Candy.“
„Das ist mir egal, geh dich umziehen! Dort hinten auf dem Bett findest du deine Sachen!“, gab er im Befehlston von sich.
Catherine ging eingeschüchtert ins Schlafzimmer und sah aufs Bett, auf dem eine fein säuberliche Schulmädchenuniform aufgebahrt lag. War das einer dieser Psychopathen, der auf Schulmädchen oder Rollenspiele stand? Er kam nicht nach und dennoch fühlte Catherine sich unwohl. Sie folgte seiner Anweisung und zog ihren Mini Rock und ihre Corsage aus, um die Schuluniform der Bostoner Privatschule anzuziehen. Ohne Eile knöpfte sie die Bluse zu und zögerte den Moment hinaus, um sich das Kommende, Unausweichliche noch etwas zu ersparen. Beim letzten Knopf überraschte sie ihr Freier und starrte sie wütend an.
„Warum bist du noch nicht fertig? Glaubst du, ich bezahle dich für deine Trödelei?“
„Nein, ich bin gleich soweit“, rechtfertigte sie sich und schnappte sich den Blazer. Sie schlüpfte schnell hinein und wand sich dem älteren, aber umso energischeren und bestimmenden Mann zu.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, Carolin! Du willst doch nicht so schlampig zum Unterricht erscheinen? Herr Gott nochmal, was lernt ihr heutzutage überhaupt noch? Anstand, Pünktlichkeit und Ordentlichkeit sind Werte, die euch völlig fremd geworden sind. Zieh deinen Blazer ordentlich an und dann komm rüber!“
Ehe sie etwas antworten konnte, verschwand er aus dem Schlafzimmer und ging hinüber ins Wohnzimmer der Suite. Sie schloss die Knöpfe und strich automatisch über die Uniform, um eventuelle Falten zu glätten. Wo war sie hier nur hin geraden? Der Typ sah unscheinbar aus, aber schien absolut verrückt zu sein und was wollte er immer mit dieser Carolin? Catherine überlegte einen Moment die Flucht zu ergreifen und ihn stehen zu lassen. Keine Drogen und kein Geld der Welt waren es wert, sich von Psychopathen herumkommandieren zu lassen. Sie war schon dabei, sich ihre Klamotten vom Bett zu schnappen und im Dauerlauf die Suite zu verlassen, als er wieder zurückkam.
„Es tut mir leid, wegen eben. Ich wollte nicht so unbeherrscht sein. Wie viel macht es noch einmal?“
Er hielt einen Packen Geldscheine in der Hand und zählte die Scheine ab.
„Sind 500 $ ausreichend?“, fragte er sie und sah sie prüfend dabei an.
Catherine war sprachlos. Kein Freier hatte ihr bisher nur annähernd 500 $ gegeben. Mit dem Geld hätte sie die heutige Nacht bereits abgearbeitet, um Matthew zu bezahlen und sogar ein Schuss Heroin würde noch dabei herausschauen. In dieser Stunde konnte gar nicht so viel passieren, was mit 500 $ in der Tasche nicht leicht wegzustecken wäre. Sie warf ihre Bedenken über Board, steckte das Geld ein, das er ihr reichte und wunderte sich, dass er das Schlafzimmer verließ und ins Wohnzimmer ging. Was wollte er dort? Catherine sah sich um und ihr Blick hing beim fein säuberlich drapierten Schreibtisch hängen. Bücher und Blätter lagen verteilt auf dem Tisch und ein Sortiment an Stiften war akribisch aufgereiht. Der massive Eichenstuhl war einladend positioniert und Catherine vermutete, dass sie das Vorspiel war und er sich danach seiner Arbeit wieder widmen wollte. Das kam ihr sehr gelegen, da dadurch die 500 $ in weniger als einer Stunde verdient waren. Etwas unschlüssig stand sie herum und wusste nicht, was sie tun sollte. Erwartete er jetzt einen Striptease oder wie sollte das Ganze jetzt weitergehen? Catherine verstand langsam was Jasmin mit ihrer Kategorisierung der Männer meinte. Am einfachsten waren wirklich die schüchternen und hässlichen. Sie waren zwar nicht erregend, aber immerhin waren sie anspruchslos und waren mit schlichtem Sex, meist in Missionarsstellung, zufrieden. Dagegen war dieser Mann nicht einschätzbar und launisch dazu. Catherine war schlichtweg überfordert mit ihm und hoffte, dass die Zeit schnell verstrich. Insgeheim beschloss sie diesen Kunden das erste und letzte Mal besucht zu haben. Sie fühlte sich absolut nicht wohl und das war auch das ganze Geld nicht wert, das er ihr anbot. Sie versuchte es mit ihrem ersten Gedanken – einem Striptease und bewegte sich langsam uns lasziv zu einer imaginären Musik. Sie entledigte sich des Blazers und ging auf ihren Freier zu.
„Was soll der Blödsinn? Damit kommst du auch nicht um deine Nachhilfe herum! Setz dich endlich, damit wir anfangen können!“, herrschte er sie an.
„Nachhilfe? Welche Nachhilfe denn?“, fragte sie verwundert.
„Physik, wenn du es genau wissen willst. Und ich hoffe für dich, dass du heute vorbereitet bist!“
„Was soll der Blödsinn? Sie haben mich für Sex gebucht, was soll ich mit Physik jetzt anfangen?“
„Den Sex wirst du schon noch bekommen! Aber jetzt bekommst du erst noch etwas Bildung. Also setz dich und fang mit den Aufgaben an. Du hast 30 Minuten Zeit und danach werden wir ja sehen, wie deine Benotung aussehen wird!“, gab er in dominantem Ton von sich.
Catherine verstand die Welt nicht mehr. Der Kerl zahlte 500 $ die Stunde, dass sie die Hälfte davon mit Physikaufgaben verbrachte?! Was sollte das Ganze? Hatte er einen sozialen Drang dazu anderen zu helfen? Sie setzte sich, noch immer verwundert, und blickte auf den Stapel von Blättern vor ihr, die über und über mit Fragen übersät waren. Wie sollte sie diese in einer halben Stunde nur schaffen können? Das war doch unmöglich! Was würde mit ihr passieren, wenn sie es nicht schaffte? Er hatte eisig blaue Augen, die die Basis für jeden Horrorfilm waren und auch der Ausdruck und der Blick, wie er sie ansah, ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Sie konnte ihn absolut nicht einschätzen und er war ihr mehr als nur unheimlich. Schließlich holte sie sich einen Block und Stift für die Antworten und durchstöberte die Aufgabenblätter, um die Themengebiete nach etwas Bekanntem durchzuforsten.
1 Blatt: Mechanik
2 Blatt: Kräfte
3 Blatt: Elektrizität
4 Blatt: Optik
5 Blatt: Wärme
Catherine hatte von jedem Sachgebiet schon einmal gehört und war in diesem Moment froh, dass Naturwissenschaften mit zu ihren besten Fächern gehörten, bevor sie die Schule abgebrochen hatte. Sie entschied sich für das Aufgabenblatt Kräfte, das ihr beim ersten Überfliegen am leichtesten erschien.
1 Ordne die folgenden Begriffe den beiden Kategorien plastische und elektrische Verformung zu!
Blechschaden, Knetmasse formen, Reibung, Magnetwirkung von Leitern, schneiden mit der Schere
1 An was erkennen wir eine Kraft?
2 Wo kann man nicht sehen wenn eine Kraft wirkt?
3 Welche Bewegungszustände unterscheiden wir?
4 Wie nennt man die Änderung des Bewegungszustandes noch?
5 Nenne 3 Beispiele für Kräfte!
6 Beschreibe die Wirkung der Schwerkraft!
Die Zuordnung war nicht schwierig und schnell hatte sie die Begriffe Blechschaden, Knetmasse formen und schneiden mit der Schere zu plastischer Verformung hinzu sortiert. Der Rest musste daher zu elektrischer Verformung gehören. Die Kraft kann man an seiner Wirkung erkennen, soviel war ihr klar und auch aus der nächsten Frage herauszulesen. Doch wo man die Kraftwirkung nicht sehen kann, war ihr dagegen nicht ganz klar. Also ließ sie die Frage aus. Die Bewegungszustände dagegen waren wieder einfach und sie schrieb beschleunigen, abbremsen und Stillstand. Die Änderung des Bewegungszustandes lag ihr schon auf der Zunge, aber sie kam einfach nicht auf den Fachbegriff. Die Schule war einfach schon zu lange her! Also ließ sie die Frage auch aus und widmete sich Frage Nummer 6: Schubkraft, Zugkraft und Hubkraft. Die Fragen waren größtenteils einfacher, als sie gedacht hatte. Und auch die letzte Frage konnte sie mühelos beantworten. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass 27 Minuten bereits vergangen waren und kaum Zeit für die restlichen Fragen vorhanden waren. Also versuchte sie sich auf die restlichen Fragen des Blattes zu konzentrieren, um mit einem kompletten Blatt glänzen zu können. Ihr Freier hatte es sich mittlerweile auf der Couch gemütlich gemacht und beobachtete sie unentwegt, wie ihr durch einen Seitenblick nicht entgangen war.
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