Sabine Hentschel
Kind der Drachen
Vergangenheit oder Zukunft?
epubli
Sabine Hentschel wurde 1987 in der Universitätsstadt Jena geboren. Sie lebte von 2002 bis 2005 in dem kleinen Örtchen Werdau (Sachsen), wo sie wie ihre Romanfigur Cara, das Abitur an dem „Alexander von Humboldt“ Gymnasium absolvierte. Nach ihrem Abschluss ging Sabine Hentschel zurück nach Jena und studierte dort Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte. Bereits während ihrer Schulzeit entstanden im Rahmen des Deutsch-Leistungskurses einige bisher unveröffentlichte Gedichte Kurzgeschichten und Theaterstücke. Die Idee zu Ihrer Drachenkind-Saga kam ihr jedoch erst im Verlauf ihres Studiums.
Kind der Drachen – Vergangenheit oder Zukunft? ist das fünfte und letzte Buch ihrer All Age Fantasy Saga „Kind der Drachen.“
Originalausgabe 2017
Copyright © des Gesamtwerkes: Sabine Hentschel
Illustrationen: Copyright © Sabine Hentschel
Umschlaggestaltung: Patrizia Kramer, www.p-kramer.de
Lektorat: Christin Müller
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN:978-3-7418-9929-4
Weitere Informationen unter: www.sabinehentschel.de
Wenn wir aufhören, immer
nur an uns selbst zu denken,
können wir mehr erreichen,
als wir uns jemals zu träumen gewagt haben .
Als die Sonne am Morgen nach der Eroberung der Insel über deren Klippen aufging, saß ich auf der Außenmauer der Burg und blickte über das Meer. Wie unglaublich still es sein konnte. Zephus zog bereits ihre Bahnen. Die anderen schliefen noch. Die Daniels Brüder hatten sich am Abend ins Haus der Kobolde zurückgezogen, während wir in der Burg blieben. In der ganz oberen Ebene bezogen wir mehrere nebeneinander liegende Zimmer.
Auch wenn ich froh war, endlich wieder mit Niel zusammen sein zu können, schlief ich schlecht. Der Gedanke an die Hochzeit ließ mich nicht los. Wie hatte Garushin wohl auf meine List reagiert? Hatte er meine Abwesenheit bereits vorher bemerkt? Wie ging es Lilly?
Als ich es im Bett nicht mehr ausgehalten hatte, war ich hinaus auf die Burgmauer gelaufen. Da saß ich nun und lauschte den Wellenbewegungen. Es wirkte so unglaublich friedlich, trotz der ganzen Geschehnisse in der letzten Zeit. Es lag ein seltsam grauer Schleier über der Insel.
Als Zephus mich bemerkte, landete sie auf einem der Drachenester und rief mich zu sich: »Cara. Komm.«
Ich erhob mich und lief balancierend auf der Mauer entlang zu ihr. Unterhalb des Nestes blieb ich stehen und lächelte sie an: »Guten Morgen. Wie ruhig es sein kann. Wie geht es dir?«
»Ja. Feru ist endlich müde und hat sich schlafen gelegt.«, kicherte Zephus. »Aber sie hat so lange kein Wasser unter sich spüren können. Sie ... Nein wir sind dir wirklich dankbar. Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben.«
Ich schmunzelte: »Es sollte keiner mehr in den Kerkern dieser Insel verrotten müssen.«
»Aber irgendetwas bereitet dir noch Kopfzerbrechen? An was denkst du?«, hakte sie nach.
»An Garushin.«, seufzte ich und erwiderte scherzhaft. »Ich hatte ehrlich gesagt nicht vor mit ihm Schach zu spielen. Wenn du weißt, was ich meine.«
»Verstehe.«, antwortete Zephus ruhig. »Aber du bist dir bewusst, dass du das Spielfeld jetzt nicht einfach wieder verlassen kannst?«
»Ja. Ich befürchte, dass er das nicht zulassen wird.«, flüsterte ich, ohne ihr eigentlich damit antworten zu wollen. Ich war mir bewusst, dass ich ihn mit meinem Verhalten herausgefordert hatte, aber diesen riesigen Schritt, den ich nach vorn gemacht hatte, bereute ich nun ein wenig.
Zephus stupste mich sanft an: »Keine Sorge, wir werden dir helfen, wo wir können. Aber du wirst dieses Spiel zu Ende spielen müssen. Garushin kennt nur gewinnen. Wenn er ein Schachspiel einmal begonnen hat, endet es nur auf zweierlei Art und Weise. Entweder ergibt sich sein Gegner und wird für ewig in Ketten gelegt oder er spielt solange mit seinen Feinden, bis diese ihren Kopf verlieren. Schlussendlich bleibt dir und uns allen eigentlich keine andere Wahl, als mitzuspielen.«
»Um unser Leben.«, ergänzte ich leise. »Ich bin nicht so gut wie er.«
»Ich befürchte, wir werden ihn auf irgendeine Art und
Weise besiegen und töten müssen, wenn wir überleben wollen.«, fügte Zephus nachdenklich an.
Ich seufzte: »Ich habe Angst vor diesem Spiel. Was ist, wenn wir eine oder einen von uns opfern müssen, um ihn Schachmatt zu setzen. Das können wir doch von keinem verlangen?«
Zephus legte ihren Flügel um mich und hob mich zu sich hinauf, damit sie mir tief in die Augen blicken konnte: »Du hast so viel Mut bewiesen. Deine Mutter wäre mit Sicherheit sehr stolz auf dich, wenn sie dich jetzt sehen könnte. Nun lehre die anderen diesen Mut. Gibt nicht auf, nur, weil es unmöglich erscheint. Lass uns etwas wagen. Lass uns die Welt von den Sklaventreibern und Mördern befreien. Meine Kinder und ich werden dir folgen und dich unterstützen, wo wir nur können. Hab nur Mut und glaub daran, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich bisher in der Dunkelheit verstecken mussten. Die Anzahl der Unterdrückten ist größer als all jene, die dem greisen König folgen.«
Ich strich ihr dankbar über den Kopf. Ihre Worte machten mir wieder Mut. Es würde ein schwieriger Weg werden, keine Frage. Aber wenn wir es nicht versuchten, würden wir nie wissen, ob es uns gelingen kann oder nicht.
Ich holte tief Luft und blickte über das Meer hinaus: »Wir schaffen das. Gemeinsam.«
Zephus nickte zustimmend: »Gemeinsam.«
Daraufhin erhob sie sich von dem Drachennest, streckte die Flügel aus und flog in den Himmel. Ich blickte ihr nachdenklich hinterher.
Ich wollte nie eine Anführerin sein, das Schicksal hatte mich schlussendlich dazu gemacht. In meiner dunkelsten Stunde, allein gestellt auf mich selbst, vor der Wahl Marces zu heiraten, um mich für ewig diesem korrupten System zu unterwerfen, oder für mich selbst einzustehen und zu kämpfen, kam mir nur der eine Gedanke – Freiheit. Aber in diesem Moment hatte ich nur für mich, nur für mein Leben entschieden. Jetzt sollte ich diese Entscheidung für alle treffen. War ich dazu bereit?
Hatte ich sie nicht schlussendlich alle für meine Zwecke missbraucht? Hat mich letzten Endes mein sehnlichster Wunsch, endlich wieder mit Niel vereint zu sein, dazu gebracht, mich auf dieses waghalsige Spiel einzulassen? Ich hatte das Gefühl, dass ich innerlich zerrissen war. Der Gedanke, einfach mit Niel wegzulaufen, kam mir an diesem Morgen immer wieder. Wäre es nicht doch einfacher, wenn wir alle von jetzt auf gleich untertauchen würden? An einen Ort, wo uns keiner finden würde? An ein Paradies, das nur uns allein gehörte?
Während ich noch darüber nachdachte, was nun geschehen sollte, packte mich Zephus mit ihren Klauen und hob mich in die Lüfte. Trease und Isma ließen kleine Wolken vor uns erscheinen, durch die sie hindurchflog. Dann drehte sie ein paar Pirouetten. Alles, um mich abzulenken. Ich schmunzelte. Das war einfach süß von ihr.
Einen Moment später ließ sie mich in der Luft los, ich verwandelte mich und flog ihr hinterher. Immer tiefer und knapper über der Meeresoberfläche. Das Wasser spritzte, als sie es mit den Klauen berührte.
»Zephus!«, rief ich, als mich ein ganzer Wasserschwall erwischte. Sie lachte laut, als sie es bemerkte.
Ich schüttelte erbost den Kopf. Zephus bewegte sich daraufhin spiralförmig durch die Luft nach oben und ließ sich von dort nach unten ins Wasser fallen. Es spritzte tierisch. Trease, Isma und ich konnten uns geradeso in Sicherheit bringen.
Читать дальше