“Drei bis vier Tage? Geht das denn wirklich nicht schneller? Dr. Greiner, dieses Projekt wird mit europäischen Steuergeldern finanziert. Können Sie sich vorstellen, was das in der Öffentlichkeit auslösen würde, wenn bekannt wird, dass dieser Bau dann zehn Tage ruhte, was das für Kosten verursacht?”, McAllister war verzweifelt. Denn am Ende würden Köpfe rollen und seiner wäre mit Sicherheit einer der Ersten, wenn es hier nicht schnell zu einer Lösung des Problems kommen wird.
“Glauben Sie mir, wenn Sie bis jetzt nicht weitergekommen sind, werden Sie ohne meine Hilfe nie weiter kommen, das garantiere ich Ihnen! Nun überlegen Sie mal, was DAS für Konsequenzen haben würde….” Greiner wusste, dass er Recht hatte. Würden Sie ihn von dieser Aufgabe befreien, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Bau einer anderen Strecke beschlossen, oder gar das gesamte Projekt gestrichen werden würde.
Schweren Herzens antwortete der Schotte: “So kommen wir nicht weiter. Dr. Greiner hat Recht. Gentlemen, wir haben keine andere Wahl. Was nützen uns halbe Wahrheiten, wenn wir damit nicht vorankommen und sich alles dadurch nur noch mehr verzögert. Dr. Greiner, besorgen Sie sich, was Sie benötigen. Die Association wird für jegliche Kosten aufkommen. Es sei Ihnen versichert, Sie werden die nächsten Tage in Ruhe arbeiten können. Drei Tage gebe ich Ihnen, dann erwarte ich Ihre Resultate. In welchem Hotel werden Sie wohnen?”
Greiner nannte McAllister das Hotel und seine Handy-Nummer. Dann gingen die Männer schweigend zurück zum Ausgang.
Nachdem sie wieder am Baustelleneingang angekommen waren, wurden sie von einem der Sicherheitsleute aufgehalten.
“Wer von Ihnen ist Mr. Ian McAllister?”, wollte dieser wissen.
“Ich.” McAllister trat vor und schaute dem Sicherheitsbeamten fragend an.
“Ich wollte Sie gerade aufsuchen, Sir. In den Nachrichten wurde gemeldet, dass es in einem Naturschutzgebiet hier in der Nähe vor ein paar Tagen einen Vorfall gegeben hätte. Zwei Kinder seien in eine Erdspalte gestürzt und dabei ums Leben gekommen. Das merkwürdige daran, so der Bericht, sei, dass es diese Erdspalte gar nicht geben dürfte. Da habe ich mir gedacht, dass Sie das wissen sollten, falls es irgendetwas mit den Bohrungen hier zu tun haben sollte.”
“Das weiß ich bereits und das hat es ganz gewiss nicht. Aber haben Sie trotzdem vielen Dank.”
Der Beamte deutete ein Kopfnicken an und ging wieder auf seinen Posten. Die Mine des ECTA-Präsidenten verfinsterte sich. Konnte der Mann Recht haben. Tagelang wurden vergebliche Bohrversuche unternommen. War es möglich, dass sie so heftige Erschütterungen im Erdreich hervorgerufen haben, dass dadurch ein unterirdisches Beben entstand? Er musste sich darum kümmern. Wenn das wahr wäre, hätten sie es nicht nur mit dem Problem zu tun, der Öffentlichkeit die explodierenden Kosten der Bahnstrecke zu erklären, sondern auch noch den Tod zweier Kinder.
All seine Hoffnungen ruhten auf den Schultern von Dr. Petra Althing, dass sie die Theorie von der Verbindung der ECTA mit dem Unglück entkräften konnte.
Die Herren verabschiedeten sich voneinander und fuhren in ihre Hotels. McAllister, Piper und Boilague zusammen, sowie Greiner mit Kommissar Welp.
Donnerstag, 08. Juli
Köln, Hotel Domblick
Es war kurz vor halb zwei Uhr nachts, als Greiner in seinem Hotelzimmer ankam, völlig übermüdet nach dem langen Tag. Nicht, dass es ihm etwas ausmachen würde, erlebte er doch solche Tage häufiger, aber heute kam die Flugreise noch hinzu, was er nicht wirklich gut verkraftete. Normalerweise brauchte er immer wenigstens einen halben Tag nach einem Flug, um sich wieder einigermaßen fit zu fühlen, was heute nicht möglich war.
Wie üblich, wenn er das erste Mal in einem Hotel ankam, schaute er sich zunächst um, testete den Härtegrad der Matratze, begutachtete das Bad und die Minibar. Dieses Zimmer hatte einen Balkon mit Blick auf den Rhein. Das gefiel ihm, hatte er doch als waschechter Hamburger Jung eine Vorliebe zum Wasser. So fühlte er sich doch ein wenig an zu Hause erinnert, wo er aufgrund seiner Arbeit doch eher selten war. Um aber auch dort den Blick aufs Wasser zu haben, hatte er sich eine Wohnung in der relativ neuen Hafencity zugelegt, das Wohnzimmer in Richtung der Kehrwiederspitze. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick über nahezu die gesamte Hafenanlage der Hansestadt.
Auch wenn es mittlerweile sehr spät war, ging er nach seiner üblichen Zimmerinspektion zum Telefon, das auf dem Nachttisch zwischen den beiden Betten stand, und wählte eine ihm seit Jahren bekannte Nummer. Eine der wenigen, für die er nicht lange nachschlagen musste. Trotz der Uhrzeit, dieser Anruf musste jetzt noch sein, wenn er seinen vorgegebenen Termin einhalten wollte. Er hatte nur Zeit bis Samstagabend, vielleicht Sonntagmorgen. Die Dringlichkeit der gesamten Angelegenheit, die ihn hier erwartete, war ihm bis zu seiner Ankunft und der ersten Inaugenscheinnahme des Gesteins nicht wirklich bewusst gewesen. Als Greiner so seinen Gedanken hinterherhing klingelte es bereits am anderen Ende der Leitung.
Nach einer gefühlten Ewigkeit meldete sich eine völlig verschlafene, kratzige Stimme: “Liebermann, hallo.”
“Franz hier, guten Morgen Marie! Sorry für die nächtliche Störung, aber es ist sehr, sehr wichtig! Du weißt, wenn es nicht so wäre, würde ich Dich nicht zu so einer Zeit anrufen. Ich brauche dringend einige Gerätschaften aus meinem Labor. Ich habe hier ein paar seltsame Proben gesammelt, die ich dringend genauer untersuchen muss.”, plapperte er drauflos, um erst gar nicht irgendwelche Widerworte zu erhalten.
“OK, OK, Du weißt doch, für Dich tue ich fast alles. Deswegen brauchst Du nicht gleich in einen Monolog verfallen.” Marie war Single. Aber nicht, weil sie nichts von Männern hielt. Im Gegenteil. Wünschte sie sich doch nichts sehnlicher, als das Dr. Greiner ihre Liebe endlich bemerken und erwidern würde. Ein ewiger Wunschtraum, so schien es, denn er hatte nur Augen und Ohren für seine Arbeit. Aber Aufgeben kam für sie nicht infrage. Irgendwann, eines Tages! Ganz bestimmt!
“Also, was brauchst Du alles?” Marie hatte sich aufgesetzt und hielt einen Notizblock bereit, um die Dinge, die Greiner brauchte, aufzuschreiben.
“Hast Du was zu schreiben?“, fragte Greiner und legte mit seiner Aufzählung auch schon los, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Das Elektronenmikroskop, die DVD-Rom mit dem Analyseprogramm, die in der grünen Hülle, NICHT die in der blauen, in der grünen! Die in der blauen ist die alte Version. Meine Werkzeugtasche, die Bücher aus der obersten Schublade meines Schreibtisches, ein Paket Reagenzgläser und passendes Lösungsmittel. Meinen Laptop habe ich hier. Das Verbindungskabel für das Mikroskop und einen Schwung Probenbehälter. Den einzigen, den ich hier habe, der ist bereits verbraucht…“ Greiner machte eine kurze Gedankenpause. „ Ich glaube das war erst mal alles.”, schloss er.
“Gut ich habe alles notiert. Soll ich Dir die Dinge ins Hotel nach Kairo, oder direkt zur Ausgrabungsstelle schicken? Per Express, oder normalen Transport?” Marie war ganz in ihrem Element als Sekretärin.
“Nein, nein, nicht nach Kairo. Köln. Warte, hier muss doch irgendwo was herum liegen, wo die Adresse des Hotels drauf steht.” Greiner kramte die Sachen auf den Tischen durch, auf der Suche nach der genauen Adresse.
“Köln? Dann hat Dich dieser Kommissar Welp tatsächlich an die Strippe gekriegt?!”, fragte Marie, doch sehr überrascht darüber, dass sich Greiner, der doch sonst so starrköpfig war, so schnell hat überreden lassen nach Köln zu fahren.
“Ja, hat er. Und das hier ist wirklich nicht ohne. Frage gar nicht erst, ich darf Dir nichts sagen, so gern ich würde, sorry!” Greiner suchte offensichtlich immer noch nach der Adresse des Hotels.
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