Herbert E. Große - Abseits aller Routen

Nach einiger Zeit sagte Boris: „N, du bist nicht zu beneiden. Mit mir geht es ohnehin bald zu Ende, das fühle ich. Aber du bist noch jung und hast Verantwortung für Maria übernommen. Du musst einen Weg finden, um von hier wegzukommen, egal wie. Nur glaube ich, dass du das nicht schaffen kannst.“

„Male nicht zu schwarz. Noch leben wir alle drei. Du hast gesagt, dass es eventuell einen Abstieg in Richtung Spanien geben würde. Ich werde diesen Weg finden“, erwiderte N.

„Mein Freund, ich habe diesen Weg schon oft gesucht und nicht gefunden. Du bist jünger und kräftiger als ich. Versuche es und finde ihn. Ich weiß nur, dass du über den riesigen Felsüberhang nach unten musst. Was darunter ist, kenne ich nicht. Soweit habe ich es noch nicht geschafft.“

„Gibt es in deiner Boutique für Wanderbekleidung auch ein Seil“, wollte N wissen und erhielt zur Antwort, dass es lediglich ein recht kurzes Seil gebe. „Das reicht aber auf keinen Fall, um den Überhang zu überwinden“, ergänzte Boris und N fluchte leise: „Scheiße.“

Unbemerkt war Maria zurückgekommen und entschuldigte sich für ihren Gemütsausbruch.

„Ich habe eure Unterhaltung unfreiwillig mit angehört. Ist es nicht möglich, aus den vielen Outdoorklamotten der Tourabbrecher eine Art Seil zu drehen?“

Beide Männer schauten sich erstaunt an und sagten fast gleichzeitig, dass Maria cleverer als sie zusammen sei, worauf sie zufrieden lächelte.

„Wenn wir schon einmal dabei sind, will ich euch auch sagen, dass unsere Lebensmittelvorräte begrenzt sind. Lasst uns eine Bestandsaufnahme machen und danach beraten, wie es weitergehen soll“, schlug Boris vor.

N starrte gedankenverloren auf die Berge und sagte kein Wort.

Maria meldete sich erneut und sagte: „Ich habe alle eure Unterhaltungen mitgehört und kenne den Ernst unserer Lage. Mir ist klar, dass unsere Chancen gleich null sind. Nehmt bitte nicht zu viel Rücksicht auf mich; ich ertrage viel.“

„Maria, wir können dir versichern, dass du keine Sonderstellung haben wirst. Nur wenn es deine Kräfte übersteigt, werden wir Rücksicht nehmen“, sagte N und fuhr zu Boris gewandt fort: „Du sagst, dass wir kaum Brennmaterial haben würden. Als wir, Maria und ich, das erste Mal auf deinem Plateau übernachtet haben, gab es eine Art Quelle, und wenn ich mich richtig erinnere, auch kleine Bäume. Ich werde morgen dorthin gehen und Holz holen.“

„Im Prinzip hast du recht. Aber jetzt hat die warme Jahreszeit begonnen und wir brauchen Holz nur zur Nahrungszubereitung und nicht mehr zum Heizen. Mein Holzvorrat reicht noch für ein paar Tage. Seit ich Tür und Fenster habe, ist die Temperatur in der Höhle fast immer 18° Celsius; eine recht angenehme Wärme.“

„Woher hast du die Tür und das Fenster vor deiner Höhle“, wollte Maria wissen und Boris winkte ab und sagte, dass er diese Geschichte ein anders Mal erzählen würde; jetzt habe man Wichtigeres zu tun.

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