Frauen im Land der Pferdelords hatten sich einst auf den Gebrauch von
Waffen verstanden und zu kämpfen gewusst. Wenn ihre Männer in den Krieg
geritten waren, waren es die Frauen gewesen, die ihre Familien und ihr
Eigentum geschützt hatten. Aber nach über dreißig Jahreswenden Frieden
hatten viele Frauen die alte Gewohnheit abgelegt, sich im Umgang mit
Waffen zu üben. Nicht jedoch Meowyn. Axt und Lanze waren nicht nach
ihrem Geschmack, doch sie verstand sich leidlich auf das Schwert und gut auf
Pfeil und Bogen. Im Schießen hatte sie schon manchen spielerischen
Wettstreit mit Balwin ausgetragen, und keiner von ihnen war sich am Ende
sicher gewesen, wer von ihnen beiden wohl der bessere Schütze war. Mit dem
Schwert allerdings brauchte sie nicht gegen ihren Mann anzutreten. Auch
wenn sie gute Reflexe ihr Eigen nannte, so besaß Balwin doch mehr
Schnelligkeit und Ausdauer, um die schwere Klinge über einen längeren
Zeitraum hinweg handhaben zu können.
Meowyn genoss es, wenn der Reitwind ihr langes blondes Haar auswehen
ließ und ihr Gesicht streichelte. Vergnügt trieb sie das Pferd und das
protestierend vor ihr blökende Wolltier an und trabte zur Herde zurück. Sie
tätschelte den Hals ihres Pferdes und sah sich in dem kleinen Tal um, das der
Herde als Weide diente. Noch zwei oder drei Tage, und sie würde die Herde
in das nächste Tal hinübertreiben müssen, damit sich der Graswuchs hier
erholen konnte. In dieser Region der Hochmark waren die Täler klein und
leicht zu überwachen, und hier wuchsen auch die schmackhaften Wildkräuter,
die die Wolltiere fraßen und die ihrem Fleisch den würzigen Geschmack
verliehen, den man in Eternas so schätzte. Balwins und Meowyns Tiere
brachten stets einen guten Preis.
Die blonde Frau griff in ihre Satteltasche und zog ein Stück Brot hervor,
das sie zerbrach und sich Stück für Stück in den Mund schob. Das Pferd
begann zu äsen, und Meowyn achtete kaum noch darauf, wie es Schritt um
Schritt langsam durch das Tal wanderte. Ihre Blicke schweiften über die
steinigen Hänge. Irgendwo, in einem der benachbarten Täler, streifte Balwin
umher und versuchte die Raubkralle zu töten, die schon mehrere Wolltiere
gerissen hatte. Balwin mochte grobschlächtig erscheinen, aber er war ein
geschickter Jäger. Meowyn hoffte nur, dass er nicht einem ganzen Rudel der
Raubtiere begegnen würde.
Sie schluckte erneut ein Stück Brot hinunter und dachte daran, dass sie
wohl bald ein neues backen musste. Sie zogen selbst ein wenig Getreide
neben dem Haus, aber es war nicht allzu viel. Und so würde Balwin
wahrscheinlich bald Mehl von dem kleinen Weiler erwerben müssen, der auf
halber Strecke nach Eternas lag. Plötzlich hörte Meowyn ein leises Poltern
und blickte instinktiv in die Richtung des Geräusches. Sie konnte nichts
erkennen, und normalerweise hätte sie das Geräusch auch nicht besonders
alarmiert, denn hier lösten sich ständig irgendwelche Steine oder Felsen von
den Hängen und kullerten hinab ins Tal. Wie oft war Meowyn diesen
springenden Brocken schon ausgewichen. Der Gedanke an die Raubkralle,
welche Balwin jagte, ließ die blonde Frau jedoch aufmerksam den
entsprechenden Hang mustern. Dort war nichts zu erkennen. Dennoch glaubte
sie zu spüren, dass etwas sie oder die Herde beobachtete. Es war ein
unbestimmtes Gefühl, aber es veranlasste sie dazu, das Brot in die Tasche
zurückzustecken und sich ein wenig nach vorne zu beugen, um das am Sattel
hängende Schwert in seiner Scheide zu lockern.
Meowyn sah zur Herde hinüber, ihre Augen glitten über die Tiere hinweg,
und sie spürte erneut, dass etwas nicht stimmte. Sie zählte die Wolltiere und
stutzte. Eines der Tiere fehlte. So zählte sie erneut, und als sie zum gleichen
Ergebnis wie zuvor kam, fluchte sie leise. Keines der Tiere hatte geblökt und
damit angezeigt, dass es in Gefahr war. Wahrscheinlich hatte sich das
fehlende Wolltier nur verlaufen. Viele Möglichkeiten hierzu gab es allerdings
nicht. Allenfalls die größeren Felsblöcke am Fuß der umgebenden Hänge
boten genug Sichtschutz, dass sich ein Wolltier hinter ihnen verstecken konnte.
Sie drückte die Schenkel unmerklich zusammen, ihr Pferd reagierte
bereitwillig und trabte im Schritt auf den Hang zu, den Meowyn als ersten
absuchen wollte. Wie die meisten Männer und Frauen im Land der
Pferdelords verstand sie es, ihr Pferd mit den Schenkeln zu lenken, damit die
Hände für den Waffengebrauch frei waren. Meowyn zog den kurzen
Jagdbogen von ihrer Schulter und legte einen Pfeil lose an die Sehne. Besser
einmal zu vorsichtig als tot. Das lernte man schnell in der Hochmark und vor
allem auf den abgelegenen Gehöften.
In der Herde blökte ein Wolltier, doch da es nur ein einzelnes war, ließ
Meowyn sich nicht ablenken. Den Blick über das Umfeld schweifen lassend,
ritt sie auf den Hang zu und begann langsam daran entlangzureiten.
Gelegentlich stieß der Huf ihres Pferdes an einen Stein, doch sonst war nichts
zu hören. Meowyn hörte einen Flugstecher an ihrem Ohr summen und
schüttelte kurz ihre Locken, um ihn zu vertreiben. Ihre Hände ruhten auf Pfeil
und Bogen, als sie hinter sich ein leises Pochen hörte. Instinktiv wirbelte sie
im Sattel herum, den Bogen schussbereit gespannt, und ebenso rasch ließ sie
ihn wieder sinken.
»Ich denke, mein Fell wäre keine rechte Zierde für das Haus«, begrüßte
Balwin sie schmunzelnd, als er wenig später sein Pferd neben dem ihren
zügelte.
»Nein, eher für die Bettstatt«, erwiderte sie, und für einen Moment
lächelten sie einander an. Dann wurden sie sofort wieder ernst, denn Meowyn
drehte sich wieder mit entspanntem Bogen dem Hang zu. »Eines der Wolltiere
fehlt. Es ist höchstens einen halben Zehnteltag her.«
»Und du hast nicht gesehen, wo es hinlief?« Eine leise Kritik schwang in
Balwins Stimme mit. »War denn aus der Herde nichts zu hören?«
Meowyn schüttelte nur den Kopf. Balwin zog den grünen Umhang des
Pferdelords um seine Schultern und befreite dann sein Schwert aus der
Scheide am Gürtel. Sofort hielt Meowyn etwas Abstand zu ihm und deckte
ihren Mann so mit dem Bogen, während Balwin sein Pferd leicht antrieb. So
ritten sie hintereinander den Hang des kleinen Talkessels entlang, bis sie
fanden, wonach sie gesucht hatten.
Balwin starrte grimmig auf das tote Wolltier, das hinter einem größeren
Felsblock lag und dessen Blut den Boden tränkte. Blutspritzer bedeckten die
umliegenden Felsen.
»Verfluchte Raubkralle.« Balwin stieg ab und musterte die umliegenden
Felsen, bevor er sich zu dem Kadaver hinunterbückte. »Der Räuber muss
noch ganz in der Nähe sein. Nun, er wird mir nicht entkommen.«
Balwin schwang sich erneut in den Sattel. »Und es war nichts zu hören?«
Meowyn schüttelte erneut den Kopf, und Balwin fluchte. »Bei all dem Blut
und den tiefen Wunden … Wäre es nur eine Raubkralle gewesen, so hätte
dies eine Zeit gedauert, und du hättest etwas hören müssen. Ich fürchte, es ist
doch kein Einzelgänger.«
»Du kannst es nicht mit einem ganzen Rudel aufnehmen«, sagte Meowyn
besorgt. »Verständige Halfar oder einen der anderen Nachbarn. Jagt sie
gemeinsam.«
»Du weißt, dass Halfar mir nicht helfen kann, und bis die anderen
kommen, werden die Raubkrallen längst woanders sein. Jetzt sind ihre Spuren
noch frisch. Ich werde ihnen also über die Hänge folgen. Ich gehe zu Fuß,
nimm du mein Pferd nachher zurück zum Hof.« Er sah Meowyn eindringlich
Читать дальше