Dr. Kämmereit musste einige Male schlucken, ehe er barsch erwiderte: „Mäßigen Sie sich! Hier ist nichts leichtfertig erfolgt, sondern ein Gericht hat nach Abwägung aller Fakten ...“
„... sich wieder einmal völlig falsch entschieden“, unterbrach sie ihn. „Das ist doch – weiß Gott – nicht das erste Mal!“
„Über die Entscheidung eines Gerichtes steht Ihnen als kleiner Kripo-Beamtin kein Urteil zu!“, donnerte Dr. Kämmereit nun los. „Und falls Sie’s nicht tun, werde ich Ihren vorwitzigen Kollegen Hoffeld bei nächster Gelegenheit gehörig zusammenpfeifen, denn so ...“
Wiederum fuhr Marion ihm forsch dazwischen: „In meinem Ressort wird niemand zusammengepfiffen, - es sei denn von mir! Ich habe Ihre Beschwerde vernommen. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Wenn Sie mich deshalb steinigen wollen, halten Sie bitte den heiligen Dienstweg ein. Guten Tag.“ Damit legte sie den Hörer auf.
Alle Anwesenden im Raum hatten ihre Worte mithören können, sie aber hatte damit absolut kein Problem. Denn eines wusste sie: Auf „ihre Jungs“ konnte sie sich verlassen. Niemand von ihnen würde ihr in den Rücken fallen, das verschaffte ihr Stärke und Sicherheit. Ihre Geradlinigkeit, Offenheit und Konsequenz gab wiederum ihren Mitarbeitern Sicherheit, mochte die Chefin manches Mal auch noch so hart und unbequem sein.
Kollege Laubitz brachte ihr einen Aktenhefter mit der Aufschrift „Rutkowsky, Karel“. Er hatte alle Unterlagen aus Berlin sorgsam zusammengestellt und sich dabei auch schon mal in den Sachverhalt vertieft. Und daran hatte er gut getan; denn Marion fragte ihn sogleich nach seiner Meinung zum weiteren Vorgehen. Doch ehe er sich dazu äußern konnte, fiel ihr ein, Dr. Sowetzko darüber informieren zu müssen, dass K21 nun auch in dieser Sache ermitteln werde. Sogleich griff sie zum Telefonhörer.
„Was – wie bitte?“, wunderte sich der Kriminalrat. „Jetzt haben wir Ihr Berliner Kino-Abenteuer am Hals? Das wird ja immer schöner! Und ich habe mich lang und breit für Ihren Auftritt dort schriftlich entschuldigt!“
„Wäre nicht nötig gewesen. Inzwischen hat sich der Bödecker nämlich bei mir entschuldigt, - nein nicht persönlich. Er hat sich entschuldigen lassen.“
„Das darf nicht wahr sein! Erst dieser Zwergenaufstand und dann ... Ach dieser ...“
„Pinscher“, warf Marion amüsiert ein. „Das Wort hatten wir noch nicht.“
Dr. Sowetzko lachte so laut auf, dass es aus dem Hörer überall im Raum zu vernehmen war. Hatte doch „seine“ Kommissarin wieder einmal das letzte Wort behalten! Da vergaß er glatt, den Ausdruck „Pinscher“ zu rügen. Es erfüllte ihn mit Genugtuung, erneut feststellen zu müssen, wie richtig damals seine Entscheidung war, dieser Frau das K21 anzuvertrauen. Sein Freund Dr. Kämmereit hatte zwar die Meinung vertreten, sie sei zu unerfahren und werde sich dort kaum gegen die Männerriege durchsetzen können. Na, Günter, dachte er nun bei sich, da haben sich deine Bedenken wohl inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Vom jüngsten Disput der beiden wusste er freilich noch nichts. Immerhin fühlte er sich nun in der rechten Laune, Kommissar Detering zu sich zu bestellen. Vielleicht konnte er ihn ja dazu überreden, zurück ins K21 zu wechseln und damit diesem Kommissariat wieder zur vorgesehenen Personalstärke zu verhelfen.
Klaus Detering war Mitte dreißig, groß, von athletischer Statur, hatte volles schwarzes Haar und trug eine Brille mit recht dicker Einfassung, die zwar nicht sehr modisch wirkte, ihm aber einen intellektuellen Ausdruck verlieh. „Sie wollten mich sprechen, Herr Doktor Sowetzko?“
„Setzen Sie sich erst mal“, sprach der Kriminalrat freundlich. „Und den Doktor dürfen Sie sich schenken, wir sind hier nicht beim Arzt.“ Dann kredenzte er noch rasch einen Kaffee und kam gleich auf seine Weise zur Sache: „Ich gehe schwer davon aus, dass Ihre Meinungsverschiedenheit mit Frau Zelenka allmählich begraben werden kann. Sie ist jedenfalls dazu bereit. Wie steht’s da mit Ihnen?“
Detering bekam einen roten Kopf. Das Thema war ihm zu persönlich, um es mit einem Dritten zu erörtern. „Ich weiß jetzt nicht, was ich dazu sagen soll“, druckste er herum und schien großes Interesse am Teppichmuster unter dem Schreibtisch zu entwickeln.
„Ich weiß Bescheid, Herr Detering. Kein Mann kriegt gern ’nen Korb. Ein Mann Ihres Alters sollte es aber gelernt haben, so etwas wegzustecken, - nach einer gewissen Zeit zumindest. Mann, Sie stehen voll im Leben, sehen gut aus, Sie haben bei den Göttinnen der Schöpfung massenhaft Chancen. Muss es da unbedingt die Kollegin Zelenka sein? Die ist ohnehin in festen Händen, wenn ich das richtig sehe.“
„Was mich gekränkt hat, war weniger der Korb. Es war die Art und Weise. Wie einen dummen Schuljungen hat sie mich behandelt.“
Dr. Sowetzko schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass dies jemals ihre Absicht war. Aber Sie wussten doch genau, dass Frau Zelenka unter ihren Mitarbeiten keinen Beziehungsstress duldet, - erst recht keinen der amourösen Art.“
„Mir war die Sache verdammt ernst!“, begehrte Detering auf. „Und nun soll ich zurück ins K21, als ob nichts gewesen wäre?! – Die werden da wild über mich herziehen“
„Genau das werden die nicht tun“, unterbrach ihn Dr. Sowetzko. „Dafür wird Frau Zelenka garantiert sorgen. Fachlich hält sie übrigens viel von Ihnen und hätte Sie deshalb gern zurück.“
„Als reuigen Sünder?“
„Nein. Als Kommissar Detering, der diese Episode ebenso vergessen hat wie sie. Überlegen Sie es sich.“ Der Kriminalrat erhob sich, womit er die Besprechung wohl als beendet betrachtete. „Wenn Sie klug sind, dann entscheiden Sie einzig nach dem Gesichtspunkt, ob Sie künftig im K20 unter Hasenbach arbeiten möchten oder im K21 unter Frau Zelenka.“
Detering horchte auf. „Hasenbach“ oder „ Frau Zelenka“ ? Wieder einmal bestätigte sich sein Verdacht, dass sein jetziger Chef Hasenbach bei der Obrigkeit nicht sonderlich gut gelitten war. Drohte gar seine Ablösung? – Vielleicht, aber was dann? Das K20 müsste eine neue Führung erhalten. Wäre das nicht seine große Chance? Es lag doch im Trend, jüngere Leute in Führungspositionen zu bringen.
Und was wäre, wenn er nun zurück ins K21 ginge? Die Zelenka war auch nicht unumstritten, saß aber verdammt fest im Sattel. Würde sie trotzdem abgelöst, vielleicht um sie mittels Beförderung unschädlich zu machen, käme garantiert Petzold an ihre Stelle. Dr. Sowetzkos wohlgemeinter Ratschlag wandelte sich so bei Detering schnell in berechnendes Karrieredenken. Zugleich befriedigte ihn der Gedanke, seiner ehemaligen Chefin, die ihn anscheinend zurück haben wollte, nun seinerseits einen Korb geben zu können. Ich bin nicht Ihr Hampelmann, gnädige Frau! dachte er und beschloss, im K20 bei Kommissar Hasenbach zu bleiben.
Als er diesem vertraulich von dem Angebot berichtete, zurück „zur Zelenka“ gehen zu dürfen, bestärkte Hasenbach ihn in seinem Entschluss, dieses Angebot abzulehnen, mit der vagen Prophezeiung, es stünde im Zuge der zu erwartenden PMM-Ergebnisse eine Zusammenlegung von K20 und K21 im Raume. Da K20 jetzt die größere Abteilung sei, werde ihm wohl die künftige Führungsrolle zufallen. Dr. Kämmereit habe so etwas schon mal leise angedeutet. –
„Der Rest der Familie Rutkowsky wohnt immer noch drüben in Rheinhausen“, erklärte Laubitz, als sie ihr Telefonat mit Dr. Sowetzko beendet hatte. „Die müssen wir uns mal vorknöpfen. Nur ...“
„Was?“, fragte Marion ungeduldig.
„Die Befragung wird nicht einfach werden. Es leben noch der Vater und eine Schwester. Der Vater, früher mal im Hüttenwerk beschäftigt, ist heute Alkoholiker, vorbestraft wegen etlicher Gewalttaten. Gisa, die Schwester von unserem Messer-Schützen, ist geistig behindert. Die Mutter starb vor einem Jahr an einer Überdosis Heroin. Sie hatte zuletzt das Geld beschafft, - auf dem Strich.“
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