„Aber natürlich.“ erwiderte Annegundis. „Es tut mir leid, wenn ich euch zu lange wachgehalten habe. Ich rede manchmal ein wenig viel, aber das liegt bei uns in der Familie. Ich habe nebenan in der kleinen Halle ein Nachtlager für euch bereitet. Dort könnt ihr euch zur Ruhe begeben. Einfach durch diese Tür.“ Tempolo dankte ihr für das Essen und ihre Mühe und erhob sich, gefolgt von den Anderen. Nur Kormenon rührte sich nicht. Er war beinahe am Tisch eingeschlafen.
Erst als Narani ihn vorsichtig an der Schulter rüttelte, sah er verwirrt auf. „Schlafenszeit.“ flüsterte die Tänzerin. Er nickte und ließ sich von ihr ohne Protest in den Nebenraum führen. Dort lagen, wie Annegundis versprochen hatte, bereits Matten und Decken ausgebreitet. Kormenon kuschelte sich völlig erschöpft in seine Decke und war keine Minute später bereits eingeschlafen.
***
Am nächsten Morgen wurde der junge Soldat unsanft geweckt, indem ihn jemand rüttelte und seinen Namen rief. Murrend schlug er die Augen auf und blickte in Tempolo`s halb besorgtes, halb amüsiertes Gesicht. „Wir müssen weiter.“ erklärte der Narr entschuldigend. Kormenon nickte und rappelte sich auf. „Dort drüben steht ein Waschzuber und in der Wirtsstube gibt es Frühstück . .. Kommst du zurecht?“ Der Narr wartete ein weiteres Nicken ab, bevor er nach draußen verschwand. Kormenon schlurfte zum Waschzuber und griff nach der bereitgestellten Kanne.
Das Wasser war kühl und ließ ihn frösteln. Offensichtlich hatte Tempolo ihn später geweckt als zuerst beabsichtigt. Auch wenn der Soldat es hasste, geschont zu werden, war er seinem Freund dankbar. Er fühlte sich, als hätte er in der letzten Nacht keine Stunde Schlaf bekommen und seine Rippen schmerzten bei jeder Bewegung. Vorsichtig entfernte er die Verbände. Über seine gesamte linke Seite zog sich ein blau-violetter Bluterguss. Doch er wollte keine Schwäche zeigen. Nicht einmal vor seinen Gefährten. Dafür war er viel zu stolz. Also biss er die Zähne zusammen, zog sich an und ging hinaus in die Wirtsstube, die er fast gänzlich verlassen vorfand.
Nur die Tochter der Wirtin war gerade damit beschäftigt den Boden zu fegen. Als sie Kormenon bemerkte, lief sie in die Küche und holte Haferbrei und Tee für ihn. Er fragte sie nach seinen Reisegefährten, doch das Mädchen konnte nur sagen, dass sie alle unterwegs waren, nicht jedoch wohin sie gegangen waren oder weshalb. So blieb ihm nichts übrig als auf ihre Rückkehr zu warten. Er musste sich allerdings nicht lange gedulden, bis zumindest Narani zurückkehrte, die er auf den ersten Blick nicht einmal erkannte.
Sie hatte ihr silbern besticktes Gewand, das sie als Mondtänzerin auswies, gegen ein einfaches Kleid aus moosgrünem Leinen getauscht und ihr langes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. „Meine Kleidung war zu auffällig.“ erklärte sie auf Kormenon`s fragenden Blick hin. „Und deine ist es auch.“ Mit diesen Worten reichte sie ihm ein Bündel. Kormenon fand ein einfaches Hemd und eine braune Weste darin. Er trug zwar seinen Waffenrock mit dem Sternemblem der Kronprinzessin nicht mehr, doch seine leuchtend blaue Tunika stach auch so ins Auge. Und sie konnten es sich nicht erlauben, aufzufallen.
„Du hast Recht. Danke, dass du daran gedacht hast.“ Narani winkte ab. „Du brauchst mir nicht zu danken.“ „Wo sind eigentlich die Anderen?“ fiel Kormenon wieder ein. „Tempolo ist zum Markt gegangen, um unsere Vorräte aufzustocken und die beiden Waldgeister warten auf Nachricht von Kirelle`s Falken. Sie sollten aber bald zurück sein.“ „Dann ziehe ich mich lieber um. Wir sollten zügig aufbrechen.“ Narani nickte und Kormenon verschwand wieder im Nebenraum.
Er schlüpfte gerade aus seiner Tunika und wollte nach dem Hemd greifen, als die Mondtänzerin ihm folgte. Ihr Blick glitt über seinen durchtrainierten Oberkörper und blieb an dem dunklen Bluterguss an seiner Seite haften. „Hast du Schmerzen?“ Der Soldat winkte ab. „Nicht der Rede wert.“ Sie quittierte seine Lüge mit einem sanften Lächeln. „Die Heilerin Benta gab mir eine Kräutersalbe mit, die die Heilung unterstützen und die Schmerzen lindern soll. Warte...“ Sie lief zu ihrem Lager und holte einen Tiegel aus ihrer Tasche. Kormenon wollte protestieren, brachte jedoch kein Wort über die Lippen. So blieb ihm nichts übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und sie gewähren zu lassen.
Doch der erwartete Schmerz blieb aus, als Narani vorsichtig die kühle Salbe auf seine Wunden auftrug. Ihre Berührung verursachte lediglich ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut, das ihn erschauern ließ. Sie schien plötzlich zu bemerken, wie nah sie ihm gekommen war, denn sie errötete und trat ein paar Schritte zurück. Auch Kormenon wurde sich der Situation bewusst und murmelte ein leicht verlegenes: „Danke.“. Er schlüpfte in sein Hemd, während Narani den Tiegel mit der Heilsalbe wieder in ihre Tasche packte.
Die Rückkehr der Waldgeister bewahrte die Beiden vor unangenehmer Stille. „Die Soldaten haben den Tempel verlassen und reiten in Richtung Nemrai.“ berichtete Kirelle. Kormenon nickte etwas abwesend, sah jedoch erschrocken auf, als ihm bewusst wurde, was das bedeutete. „Nach Nemrai? Dann kommen sie an Vaasq vorbei!“ „Ja, das dachten wir uns auch.“ bestätigte Tarmin. „Aber sie sind noch ein gutes Stück entfernt. Bis sie hier eintreffen, sind wir lange weg.“ „Und wenn sie nach uns fragen?“ wandte Narani ein. „Die Wirtin redet sehr viel. Und wir sind nicht gerade unauffällig.“ gab sie zu bedenken. „Und die Wachmänner werden sicher auch nicht schweigen.“ stimmte Kormenon ihren Befürchtungen zu.
„Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass sie die falsche Antwort geben.“ bestimmte Tempolo. Unbemerkt von den Anderen war der Narr eingetreten und hatte das Gespräch mitangehört. „Und wie willst du das anstellen?“ fragte Kormenon skeptisch. „Ich habe Annegundis erzählt, wir wären auf dem Weg nach Nemrai, zur Hochzeit meiner Schwester. Wenn ich unsere Wirtin richtig einschätze und ich bin ziemlich sicher, dass ich das tue, wird sie die Geschichte fleißig weitertratschen.“ „Ihr seid ein guter Stratege.“ meinte Narani anerkennend. Der Narr zuckte nur mit den Schultern.
„Angeborene Fähigkeit. Ich habe der Wirtin auch erzählt, ihr wäret meine Nichte und wir hätten euch aus dem Tempel abgeholt, um gemeinsam zur Hochzeit zu fahren. Auf dem Markt habe ich noch ein paar kleine Geschenke besorgt, weil ich das in der ganzen Hektik vergessen hatte. Nur, damit wir alle die gleiche Geschichte erzählen, wenn uns jemand fragen sollte. Und nun sollten wir langsam aufbrechen. Ich möchte unser Glück nicht überstrapazieren.“ Die Anderen hatten keine Einwände, also packten sie ihre Sachen zusammen und machten sich wieder auf den Weg.
In der Wirtsstube wurden sie erst einmal von Annegundis verabschiedet, deren Redeschwall Tempolo nach ein paar Minuten unterbrach. „Meine Schwester erwartet uns und wir haben uns schon länger aufgehalten, als geplant.“ erklärte er entschuldigend. Die Wirtin drückte ihm noch einen halben Käselaib in die Hand, den er seiner Schwester zur Hochzeit mitbringen sollte. Der Narr dankte ihr noch einmal und nach ein paar letzten Abschiedsworten konnte sich die Gruppe endlich auf den Weg zu ihrem Boot machen. Wieder standen zwei Wachmänner am Steg, die sie freundlich begrüßten. Nachdem Tempolo die Anlegegebühr bezahlt hatte, wünschten sie der Gruppe noch eine angenehme Weiterreise. Die Taue waren schnell gelöst und die Gefährten konnten ihre Reise fortsetzen.
Nach einigen Meilen teilte sich der Fluss. Ein Nebenarm führte weiter nach Nemrai, doch die fünf folgten dem Hauptarm, der sie geradewegs in die Hafenstadt Vaal bringen würde. Das Wasser rauschte noch immer schnell dahin und trieb das Boot voran, sodass sie die Stangen lediglich nutzen mussten, um den Kurs zu halten. Wie schon am Tag zuvor herrschte ein bedrücktes Schweigen, während jeder seinen Gedanken nachhing. „Wie geht es jetzt weiter?“ durchbrach Kormenon schließlich die Stille.
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