Die junge Frau war ihm ein Rätsel. Tempolo verstand noch immer nicht, warum sie so sehr darauf bestanden hatte, mit ihnen zu kommen. Und er war auch noch immer nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, sie mitzunehmen. Er kannte dieses Mädchen nicht, dass so mysteriös und undurchschaubar wirkte. In einem Moment schien sie schüchtern und zurückhaltend, nur um im nächsten Augenblick vehement ihren Standpunkt zu verteidigen. Vielleicht lag es aber auch an den Mythen, die sich noch immer um die Mondtänzerinnen rankten, dass er nicht wagte, ihr zu vertrauen.
Seufzend stellte der Narr fest, dass die Nacht schon weit vorangeschritten war. „Wir sollten versuchen ein wenig Schlaf zu bekommen. Ich möchte morgen früh zeitig aufbrechen.“ Die anderen Vier zuckten leicht zusammen und auch er selbst erschrak beinah beim Klang seiner eigenen Stimme, die die Stille so plötzlich durchbrach. Zögerlich kam Bewegung in die Gruppe. Es wurden Decken ausgerollt und Schlaflager bereitet. „Sollen wir eine Wache aufstellen?“ fragte Kormenon leise. Tempolo verneinte. „Das hier ist sicheres Gebiet und das Feuer wird wilde Tiere fernhalten, falls es hier welche geben sollte. Ich glaube für den Moment ist ein Wachposten noch nicht nötig.“ Erneut kehrte Stille ein und schon bald fielen Alle in einen unruhigen Schlaf.
***
Der nächste Morgen versprach Sonnenschein und milde Temperaturen. Tempolo, der es gewohnt war mit der Sonne aufzustehen, musste überrascht feststellen, dass bereits jemand vor ihm wachgeworden war. Als er seinen Blick durch ihr Lager gleiten ließ, fand er Narani`s Schlafplatz verlassen vor. Neugierig geworden erhob er sich, um nach der Tänzerin zu sehen. Er fand sie am Flussufer beim traditionellen Morgengruß des Lurika-Tempels. Für die Bewohner des Tempels war es üblich jeden Morgen dem untergehenden Mond, sinnbildlich für die Mondgöttin Lurika und gleichzeitig der aufgehenden Sonne, als Sinnbild für Lurika`s Bruder, Sonnengott Soriton, zu huldigen.
Der Narr hatte dieses Ritual während seiner Besuche im Tempel häufiger gesehen und beschloss daher, das Mädchen nicht zu stören. Stattdessen ging er leise zum Lager zurück, um das Frühstück vorzubereiten und seine Gefährten zu wecken. Narani stieß kurz darauf wieder zu ihnen und sie nahmen erneut schweigend die Mahlzeit ein. Bald darauf drängte der Narr wieder zum Aufbruch und sie bestiegen erneut ihr Boot, um die Reise flussabwärts fortzusetzen.
Noch immer hing eine bedrückte Stille über der Gruppe. Kormenon war so in seine Grübeleien versunken, dass er kaum bemerkte, wie die Sonne langsam höher wanderte und ihren Zenit erreichte. Seine Rippen schmerzten wieder von der vielen Anstrengung und er fühlte sich erschöpft. Plötzlich berührte jemand seine Schulter und er fuhr erschrocken herum. Narani hielt ihm ein kleines Fläschchen entgegen. „Benta hat mir dies mitgegeben, falls du Schmerzen haben solltest.“ erklärte sie. „Ich habe keine Schmerzen, danke.“ dementierte Kormenon. Doch die Tänzerin schenkte ihm nur einen zweifelnden Blick. „Und warum presst du dann dauern die Hand gegen deine Rippen und verzerrst das Gesicht?“ Er konnte nichts darauf erwidern. Ihm war diese Geste überhaupt nicht bewusst gewesen.
Also nahm er das Fläschchen, zog den Korken heraus und trank einen Schluck, nur um gleich darauf das Gesicht zu verziehen. Es schmeckte noch abscheulicher als er erwartet hatte. Narani nahm ihm die Medizin mit einem Lächeln wieder ab und verstaute sie in ihrer Tasche. Natürlich erst, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Korken wieder fest saß. Damit nichts ausläuft und sie mich noch öfter damit quälen kann dachte Kormenon angesäuert. Tempolo, der das Ganze mitverfolgt hatte, musste sich ein Lachen verkneifen. Der junge Soldat benahm sich mehr wie ein Knabe, als ein Mann von 22 Jahren.
Auch die beiden Waldgeister schien die Szene erheitert zu haben, denn sie begannen wieder, sich in ihrer eigenen Sprache zu unterhalten. Kormenon konnte zwar kein Wort verstehen – für ihn klang es wie das Gezeter von zwei Eichhörnchen – doch er hätte schwören können, dass sich die Beiden über ihn lustig machten. Zumindest Narani schien Mitleid zu haben, denn sie fragte Tempolo, ob sie Vaasq heute noch erreichen könnten und lenkte die Aufmerksamkeit so auf etwas anderes. Der Narr sah prüfend zum Himmel, wo die Sonne schon wieder ihren Abstieg begonnen hatte und zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe es, aber es könnte spät werden.“ gab er zur Antwort.
Und er sollte Recht behalten. Erst als die Sonne bereits am Untergehen war und ihre Strahlen den Himmel in rotgoldenes Licht tauchten, konnten die fünf Reisenden in der Ferne die kleine Stadt ausmachen. Es war bereits dunkel, als sie endlich in Vaasq eintrafen. Die meisten Bewohner der kleinen Fischerstadt, die direkt an den Fluss grenzte, schienen bereits zu schlafen, doch am Kai standen zwei Wachmänner mit Laternen, die Tempolo und Kormenon sofort halfen, das Boot festzumachen.
Der Narr stellte erstaunt fest, dass man sie bereits erwartet hatte. „Dorgal da oben hat euch schon angekündigt.“ erklärte einer der Männer und wies auf den großen Wachturm am Rande der Stadt. „Die Wirtsfrau weiß auch schon Bescheid und hat in der Schänke ein Lager für euch vorbereitet. Wenn ihr wünscht, führe ich euch gleich hin. Euer Boot ist hier über Nacht sicher.“ Tempolo dankte dem Mann für seine Freundlichkeit und nachdem sie ihre Bündel ausgeladen hatten, folgten sie ihm zu einem großen Gebäude, das sich als das Wirtshaus herausstellte.
Der Wachmann verabschiedete sich und sie betraten eine kleine, gemütliche Halle. Der Raum war ausgefüllt mit Tischen und Bänken aus hellem Holz, vereinzelte Lampen spendeten warmes Licht und im Kamin brannte ein Feuer. Die Wirtsstube war fast gänzlich verlassen. Nur an einem Tisch saßen zwei Männer und spielten Karten, während ein Dritter dabei zusah und Kommentare abgab. Sie würdigten die Fremden keines Blickes. Hinter dem Tresen stand eine kleine, rundliche Frau mit roten Haaren, die zu einem Zopf gebunden waren. Sie hatte ein freundliches Gesicht und gutmütige braune Augen. Als sie die Reisenden entdeckte, kam sie sofort herangewuselt um sie zu begrüßen, wobei sie fröhlich auf die Fremden einredete.
„So spät noch unterwegs. Kommt ihr denn von weit her? Ihr müsst ja ganz durchgefroren sein. Die Nächte sind doch so kalt hier bei uns am Wasser. Setzt euch nur gleich hin. Ich bringe eine Suppe.“ Ohne eine Antwort abzuwarten marschierte sie wieder davon. Die fünf Gefährten sahen einander belustigt an und nahmen an einem der Tische platz. Die Wirtin kehrte mit Schalen und Bechern beladen zurück, die sie auf dem Tisch abstellte, bevor sie wieder in die Küche verschwand, um kurz darauf einen großen Topf Suppe heranzuschleppen.
Während sie die Suppe in die Schalen verteilte, brachte ein junges Mädchen einen Laib Brot und einen Krug mit Wasser. Sie trug ihr rotes Haar zu zwei Zöpfen gebunden und man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass sie wohl die Tochter der Wirtin sein musste. Tempolo merkte dies an und die rundliche Frau nickte. „Ja, das ist Krytis, meine Jüngste. Meine drei Ältesten sind mittlerweile alle verheiratet, Ragna ist in den Tempel eingetreten und meine Rigante muss mit Grippe das Bett hüten. Sie ist ein etwas kränkliches Kind. Aber wo habe ich nur meine Manieren? Ich habe mich ja nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Annegundis und mir gehört dieses hübsche Wirtshaus. Nun, eigentlich gehört es meinem Mann, aber er ist vor zwei Jahren mit dem Boot rausgefahren und nicht mehr zurückgekehrt. Nur die Götter wissen, was mit ihm geschehen ist. Wahrscheinlich ist er ertrunken. Er war ja immer etwas ungeschickt...“
Tempolo nickte hin und wieder und bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Annegundis gehörte offensichtlich zu jenen Menschen, die stundenlang ohne Pause reden konnten und jedem Fremden sofort ihre halbe Lebensgeschichte erzählen mussten. So erfuhren sie während des Essens von Annegundis` Ehemann, der zwar nie wirklich zu etwas zu gebrauchen gewesen war, diesen Fehler jedoch mit seiner Liebenswürdigkeit ausglich und von ihren sechs Töchtern, von denen zwei zu ihrem großen Leidwesen nach dem Vater kamen. Als die geschwätzige Wirtin endlich eine kurze Atempause machte, merkte Narani an, dass es schon spät sei und sie alle ihren Schlaf brauchten.
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