Max Kommerell
Jugend ohne Goethe
Saga
Wer von Jugend redet, redet gern als ob er sie gepachtet hätte. Er redet von etwas Weitem, durchaus Geteiltem leicht so, als hätte dies gerade ihm sein ganzes Gesicht zugedreht. Oft überblickt der also Redende massenmäßig einen großen Teil der Jugend während sich ihm die Besten entzogen, oder hat er als überragend Einsamer überhaupt niemand der ihn hört und versteht, und füllt in den Begriff »Jugend« nicht mehr als seinen Wunsch. Dem gegenüber möchte ich sagen, daß ich von ganz bestimmten Erfahrungen ausgehe, mir dabei der Beschränktheit dieses Ausschnitts bewußt bin, aber insofern von ihm zu reden wage, als diese Erfahrungen in ihrer Einzelheit dennoch etwas Allgemeines, einen Zustand vertreten. Ich lasse aus die im sittenhaften und staatlichen Sinn rückgewandte Jugend, obwohl sie als Gegenwirkung jetzt wieder bedeutsam wird. Ich lasse aus die vom Zweck beherrschte Jugend des Fortschritts und der erfolgsichernden Ertüchtigung. Weder diese noch jene hat ein dichterisches Erlebnis. Im Sinn habe ich vielmehr die Jugend, die sich selbst als die Umkehrung zu den bürgerlichen Lebensformen und Lebenswerten begriff, und die sich zwischen 1900 und jetzt in der Jugendbewegung sammelte, um nicht zu sagen zerstreute, ferner eine engere, von heutiger Dichtung stark ergriffene Jugend, und als Drittes jene Suchenden, die zu scheu und mit sich selbst zu sparsam um sich irgend einzureihen aber stark genug um die Einsamkeit auszuhalten, dem Überblick entzogen sind, und die vielleicht ein Jahrzehnt später dem Aufbau unsrer Bildung eine wesentliche Kraft leihen. – Würde ich die undichterische Jugend mit einbegreifen, so müßte mein Leitwort sein: Jugend ohne Dichtung, nicht: Jugend ohne Goethe.
Die Erfahrung selbst, daß Goethe in der Seele der geistig wachen Jugend eine lebendige Macht zu sein aufhört, kann ich hier nicht erweisen wollen. Sie drängte sich mir auf – unabhängig davon ob er gelesen wird oder nicht. Beunruhigend ist diese Erfahrung nur dort, wo an sich Geistes genug wäre, Goethe zu erleben – wo Goethe fehlt, weil der Geist überhaupt fehlt, da fehle Goethe immerhin!
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.