Colin Falconer - Die Königin vom Nil

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Mit achtzehn Jahren soll Kleopatra VII. an der Seite ihres jüngeren Bruders, Ptolemaios XIII., die Regentschaft über Ägypten antreten. Als sie sich querstellt, muss sie fliehen und sucht Schutz bei den Römern. Kleopatra läßt sich von ihren Vertrauten in den Palast zu Caesar schmuggeln, den ihr Mut und ihre Schönheit fasziniert. Was jedoch als schicksalhafte Liebe beginnt, endet in einer Tragödie, die Caesar das Leben kostet. Kleopatra aber bleibt keine Zeit zur Trauer. Sie muß um die Sicherheit ihres Landes und ihrer Nachkommen fürchten und sich auf die Suche nach einem neuen Verbündeten machen.

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PROLOG

Dunkelheit, kaltes Gestein unter den Fingerkuppen; Schatten, die an den Wänden tanzen, Fackellicht, das im Zug der Schächte flackert. So kalt hier und so feucht wie der Tod. Es dauerte lange, bis sich ihre Augen an die Nacht gewöhnt hatten.

Sie hörte sie, bevor sie sie sah. Geschmeidiges Schlängeln, kalte, sich windende Körper, die sich verkrochen, um dem Lichtschein zu entfliehen. Sie konnte ihren Blick nicht abwenden, die Gliedmaßen gelähmt vom lauernden Grauen der Grube. Es waren ihrer Hunderte, unzählige Tode, mit Augen, die glitzerten wie Granatsplitter. Die Schergen des Henkers.

Sie erkannte die Viper, die Zunge erregt aus dem geschlitzten Maul schießend. Ihr Biß verursachte Qualen, die den ganzen Körper erfaßten. Häßliche feuerrote Flecken entstanden - und Schwellungen. Später übergab sich das Opfer, verlor die Kontrolle über Blase und Darm. Eine widerwärtige Form des Todes, jenen vorbehalten, die man im Sterben zweifach zu strafen gedachte.

Und dort, der lange, schlanke Körper gelbbraun gestreift, im Nacken die hutartige Verbreiterung, die Kobra, das heilige Symbol Oberägyptens, das königliche Sinnbild der Pharaonen und Ptolemaier. Die Griechen nannten sie Basilisk oder kleiner König. Im Buch der Toten war sie das Symbol ewigen Lebens.

Ihr Biß war tödlich, jedoch vergleichsweise schmerzlos. Schon nach kürzester Zeit wurden dem Opfer die Lider schwer. Man fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem man nicht mehr erwachte. Die Giftzähne hinterließen zwei kleine Male; darüber hinaus wies der Körper keine Entstellungen auf, sondern beließ dem Sterbenden die Würde. Diesen Weg hatte man bei Berenike gewählt, der älteren Schwester, die sich gegen den Vater erhoben und die Hand nach dem Thron ausgestreckt hatte.

Jetzt kam der Vater mit dem Mund dicht an ihr Ohr. Sie spürte den borstigen Bart, der sie an der Wange kitzelte. »Das ist die Welt, die du geerbt hast«, flüsterte er. »Jeder Palast birgt Schlangen, doppelt so giftig wie diese. Diese Brut wird dein Leben begleiten. Wenn du überleben willst, mußt du lernen, ebenso wendig zu sein, mußt du dein Gift so schlau einsetzen wie sie und ebenso erbarmungslos zustoßen. Hast du das verstanden?«

»O ja«, antwortete Kleopatra.

Damals war sie zehn Jahre alt.

TEIL I

»Die vollkommenste aller Frauen, die je die Erde betraten, die weiblichste unter ihnen und die herrlichste der Königinnen. Geschöpf der Anbetung, das Dichter nicht zu schmücken wissen; Bild der Träumenden, am Ziel der Träume.«

Theophile Gautier, 1845

1

DER ÄGYPTISCHE MONAT DES PHAMENOTH IM JAHRE 51 VOR CHRISTI GEBURT

Alexandria bei Ägypten

Ihr Vater, Ptolemaios XII., der Flötenspieler, der Bastard.

Als er starb, ließ er sie allein in nachtschwarzer Dunkelheit. Noch während er den letzten Atemzug tat, hörte sie das Schlängeln der kalten Körper, sah, wie sich die Giftzähne entblößten.

Sie stand an seinem Lager und betrachtete sein Gesicht. Die Augen waren geschlossen, auf den Lippen lag ein seliges Lächeln; der Abschied vom Leben war sanft gewesen. Er war ihr Vater, und dennoch war er es nicht. Die Haut so grau wie geschmolzenes Wachs, die Muskeln erlahmt, die vormals vertrauten Züge fremd.

Sie wartete darauf, daß der Schmerz einsetzte und die Tränen kamen. Doch alles, was sie spürte, war das Kribbeln im Bauch, der Kitzel der Furcht. Nun war sie auf sich gestellt. In den letzten Monaten hatte sie als Mitregentin fungiert, doch erst jetzt, nach seinem Dahinscheiden, begann das Leben, auf das er sie vorbereitet hatte.

Von diesem Tag an war sie für die Welt Kleopatra VII. Philopator; Königin der zwei Länder Ober- und Unterägypten, die Göttin, die den Vater liebte und das Land. In ihrem Herzen wußte sie jedoch, daß sie nichts dergleichen war. Sie war achtzehn Jahre alt, beinahe noch ein Mädchen, hatte keine Erfahrung, keinen Beistand, keine Freunde.

Hilf mir, wollte sie sagen. Ich bin noch nicht soweit. Aber er war von ihr gegangen; der Tod hatte ihn von der Last des Lebens und Herrschens befreit. Und auch ihr würde nur der Tod diese Art der Erlösung gewähren.

Als neuen Dionysos hatte er sich gefeiert, als Retter, der den Osten von der Tyrannei Roms befreien würde. Das bacchische Zeichen des Efeus war auf seinen Körper tätowiert, die dionysischen Riten des Weintrinkens, der Musik und der Ausschweifung waren ihm wohlvertraut. Man hatte ihn als Flötenspieler verspottet, wenn er der Trunkenheit erlag, oder Schweinehund gerufen und laut gelacht, wenn er sich mühte, die Römer aufzuhalten.

Und nun besaß sie sein Legat; die prächtige weiße Stadt, die Leuchtende Stadt, wie sie die Römer nannten. Alabasterpaläste mit schattigen Hainen, die im Glanz der Frühlingssonne schimmerten, sich hinabzogen bis zum Meer und sich in die sanften Buchten der Halbinsel Lochias schmiegten. Eine frische Brise, vollgesogen mit Seegeruch, bauschte die Seidenbehänge im Gemach des Vaters, tanzende Geister des letzten Banketts. Die Palastgebäude von Brucheion reichten bis an den Königlichen Hafen, unterbrochen vom hochgewölbten Damm des Heptastadions, der sie vom Hafen der Glücklichen Wiederkehr trennte, und vom dichten Mastenwald der Handelsschiffe, die eins neben dem anderen an den Kaimauern vertäut lagen. Alexandria bei Ägypten, wie die Römer sagten, einer der größten Häfen der Welt.

In den Lagerhäusern häufte sich der Reichtum Ägyptens und des Hinterlandes; Elfenbeintruhen türmten sich wie Zypressenstämme, Perlen, so achtlos in Jutesäcke gestopft, als handele es sich um Eicheln, Seiden- und Musselinballen waren zu waghalsiger Höhe gestapelt, neben Bergen aus Henna, Kardamom und Zimt.

Die erste Stadt der Welt, im Sinne von Bildung und Kultur. Die berühmte Bibliothek umfaßte über siebenhunderttausend Volumen - zylindrische Schriftrollen mit Abhandlungen über Mathematik, Philosophie, Medizin, Astronomie, Anatomie und Geographie. Im Museion arbeiteten die namhaftesten Gelehrten der Erde, staatlich finanziert, Wissensquellen für das königliche Haus. In den Marmorhallen entstanden Siegesoden, medizinische Rezepturen und Kriegsmaschinen, ganz nach den Wünschen der Ptolemaier. Hier hatte Eratosthenes den Umfang der Erde berechnet, indem er die Länge der Schatten verglich, die sich bei Tagesmitte in Alexandria und Assuan erstreckten. Es war der Ort, wo Aristarchos bewies, daß die Erde die Sonne umkreiste, und wo Euklid, unter der Herrschaft der ersten Ptolemaier, seine mathematische Schule begründete.

Doch trotz dieses Ruhmes bedeutete Alexandria ein bitteres Erbe, denn es war ein Juwel, nach dem es die ganze Welt gelüstete.

Die Stadt war nach Alexander dem Großen benannt, der die Pharaonen vor drei Jahrhunderten besiegt und den Ptolemaiern die Macht über das Land verliehen hatte, dem eigenen Geschlecht griechischer Könige. Seine Nachfolger beherrschten die riesigen Landstriche, die er erobert hatte. Doch im Laufe der Jahrhunderte waren etliche Länder abgesplittert - Syrien, Kyrenaika, Zypern, das alles war verloren.

Das Mittelmeer wurde jetzt von Rom beherrscht. Wenn heute ein Monarch, ein Satrap oder ein Fürst den Marschschritt der Legionärsstiefel vernahm, wußte er, daß die Volkszähler, die Steuereinnehmer, die Baumeister mit ihren Straßen- und Aquäduktplänen nicht mehr weit sein konnten und daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die alten Traditionen und Kulturen gnadenlos untergepflügt würden. Die ganze Welt war im Begriff, zur römischen Provinz zu werden.

Nur Ägypten fehlte noch - das größte Handelszentrum der Welt, ein Land, dessen Basare und Warenlager überquollen von Elfenbein, Gewürzen, Getreide, Weinen und Kunstgegenständen. Und es gab keinen zweiten Alexander, der diese Fülle verteidigen konnte, sondern nur eine Meute von Piraten, entlaufenen Sklaven und Gesetzlosen, die man der Einfachheit halber als Armee bezeichnete. Regiert wurde das Land von einem Hof, der sich aus Griechen, Syrern und Judäern zusammensetzte, die ein Festmahl erst dann als gelungen bezeichneten, wenn sich die Gäste in Giftkrämpfen wanden. Die Stadtbevölkerung bestand aus aufbrausenden Griechen und Ägyptern, deren Treue dem eigenen Geldbeutel galt und deren erste Reaktion angesichts einer Krise darin bestand, den Palast zu stürmen. Das Hinterland hingegen setzte sich aus ägyptischen Bauern zusammen, die Krokodile anbeteten und immer noch glaubten, die Pharaonen seien an der Macht.

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