nicht in einer verantwortlichen Position. Frauen hatten die Aufgabe, einem
Mann Freude zu bereiten und die Bettstatt mit ihm zu teilen. Vorzugsweise
die des Adligen ta Andarat.
Livianya kannte die Geschichten, die sich um den Weiberhelden rankten,
und auch die Reden, die er gegen sie, die Kriegerin, führte. Sie hätte ihn am
liebsten von der Plattform des Turms geworfen, wobei sie sich der
Unterstützung durch die meisten ihrer Gardisten hätte sicher sein können.
Aber sie musste den Mann mit Höflichkeit behandeln. Er war es, der im
Kronrat darüber entschied, welche Mittel und Truppen welcher Festung
zugedacht wurden. Es hieß, er habe diese Position durch harte Arbeit
zwischen den Schenkeln der Frau des Kronkanzlers erreicht. Livianya war
bereit, diesem Gerücht zu glauben, als sie die abschätzenden Blicke des
Adligen bemerkte. Sie hätte lieber ihre Rüstung getragen, anstelle des
formellen Gewandes. Sie nahm sich vor, versehentlich auszurutschen und ihn
dort zu treten, wo es richtig schmerzte, wenn er sie noch länger auf solche
begehrliche Weise begutachtete.
Unten an der Winde drehten zwei Gardisten an der Kurbel und ließen die
Plattform dadurch langsam aufsteigen. Sie bemühten sich um gleichmäßige
Bewegungen, aber es ließ sich beim besten Willen nicht vermeiden, dass die
hölzerne Konstruktion gelegentlich wackelte.
Welbur ta Andarat räusperte sich nervös, als dies erneut geschah. »Diese
Plattform ist doch stabil, Hochgeborene?«
»Das ist sie, Hochgeborener.« Livianya erlaubte sich ein schmelzendes
Lächeln. »Für den Fall, dass doch einmal etwas entzweigehen sollte, hat man
unter der Plattform einige mit Luft gefüllte Hornviehmägen befestigt. Sie
sollten die Wirkung eines Sturzes dämpfen.«
Ta Andarat wurde eine Spur blasser und lachte dann nervös. »Nun, wir
sind ja gleich oben. Ich hoffe doch, die Mühsal lohnt sich.«
»Das wird sie, Hochgeborener ta Andarat«, versicherte sie. Hatte er
Mühsal gesagt? Die einzigen Schweißtropfen wurden von den beiden
Männern an der Kurbel vergossen. Und jetzt zückte ta Andarat auch noch ein
feines Tuch und betupfte sich geziert den Mund und die Stirn. Livianya
senkte angewidert den Blick, um sich nicht zu verraten. Sie war froh, fern der
Königsstadt und ihren verweichlichten Adligen zu sein. Männern, die kaum
eine Ahnung vom Kampf hatten, aber über die Belange der Kämpfer
entschieden. Glücklicherweise gab es noch Ausnahmen, wie den König selbst
und den Hochgeborenen Daik ta Enderos, den Oberkommandierenden der
Gardereiter.
Tageslicht erschien über ihnen, und der Aufzug erreichte die Plattform des
Turms. Die zwei wachhabenden Gardisten salutierten respektvoll und
sicherten die hölzerne Konstruktion mit zwei Kanthölzern. Ta Andarat schien
erleichtert, als er wieder fest gefügte Steine unter den Füßen hatte. Livianya
folgte ihm.
»Die Disziplin an der Grenze wird ein wenig schleifen gelassen, nicht
wahr?«, meinte ta Andarat mit einem Seitenblick auf die Männer.
»Das Augenmerk meiner Gardisten gilt nicht der Politur ihrer Rüstung,
sondern dem Feind«, erwiderte die Kommandantin. Sie konnte sich einen
Seitenhieb nicht verkneifen, obwohl sie wusste, dass sie damit ta Andarats
Widerwillen noch steigern würde. »Die Männer an den Grenzen sind noch
den Kampf gewohnt und nicht die hübschen Paraden in Alneris.«
Ihre Gardisten grinsten erfreut, während ta Andarats Lächeln ein wenig
gefror. Aber das war es ihr wert gewesen. Diese Männer waren es, die mit ihr
hinausritten und ihr Leben riskierten, nicht dieser eitle Kratzfuß.
»Nun, wo ist dieses Wunderding, von dem Ihr mir erzählt habt,
Hochgeborene Livianya ta Barat?« Seine Förmlichkeit verriet, dass er
tatsächlich eingeschnappt war.
»Jene Konstruktion direkt vor Euch, Hochgeborener.« Kurzsichtig war er
offensichtlich auch.
Sie gingen zu dem tonnenförmigen Objekt hinüber, das auf einem Dreibein
montiert war. Es hatte die doppelte Stärke und Länge eines Armes und blitzte
in der Sonne, da seine Hülle aus Gold gefertigt war.
»Ihr behauptet also, damit könne man den Feind erblicken?«
»Wenn einer da ist, ja, und zwar aus großer Entfernung.«
»Ah, wahrhaftig? Aber wie geschieht das?« Ta Andarat beäugte den
Gegenstand von allen Seiten. »Nun, ich kann Klarstein an beiden Enden
erkennen. Was soll das bewirken? Ebenso gut kann ich durch ein einfaches
Fenster sehen.«
»Es ist kein gewöhnlicher Klarstein.« Livianya schwenkte den Gegenstand
ein wenig herum. »Sondern geschliffener Kristall von den Zwergen.«
»Von den Zwergen? Ihr sagtet vorher nichts von Zwergen. Was hat das
Königreich mit diesen kleinen Wesen zu schaffen?«
»Sie liefern den besonders geschliffenen Kristall, der hierfür benötigt wird.
Eigentlich geht dieses Gerät auf einen Händler aus der Hochmark zurück.«
»Hochmark?« Ta Andarat betupfte sich Lippen und Stirn. »Da leben doch
diese barbarischen Pferdemenschen, nicht wahr?«
Livianya wünschte sich, ta Enderos oder der König wären hier. Sie hätten
eine angemessene Antwort gegeben, denn sie hatten die Befreiung der
alnoischen Stadt Gendaneris gut in Erinnerung. »Ein Händler des
Pferdevolkes, ich glaube, er heißt Hedlerim, hat Kristallsteine erfunden, die in
Metall gefasst und auf besondere Weise geschliffen sind. Mit ihnen lassen
sich Gegenstände vergrößern.«
»Ah, Hedlerims Vergrößerungssteine«, sinnierte ta Andarat. »Ja, ich kenne
sie. Ich dachte immer, einer der unseren hätte sie erfunden. Verstehe. Man hat
also die Vergrößerungssteine in diese Konstruktion gefasst?« Der Adlige
strich sich über das Kinn. »An welchem Ende muss ich hineinsehen?«
Sie zeigte ihm das Okular und wie man die Brennweite des
Vergrößerungsrohres verändern konnte. Nach kurzer Zeit kam ta Andarat mit
dem Gerät zurecht. »Ich bin überrascht«, gestand er ein. »Zwar kann ich
keinen Feind erblicken, aber die Umgebung wird nahe an das Auge
herangeführt. Ein seltsames, aber hilfreiches Ding.«
»Man kann den Feind nun sehr viel früher entdecken«, stimmte Livianya
zu. »Vorausgesetzt, natürlich, das Wetter spielt mit.«
»Natürlich, natürlich. Wie seid Ihr an das Gerät gekommen?«
»Es war ein Geschenk der Elfen an den Hochgeborenen Lord ta Enderos,
Hochgeborener.«
»Elfen?« Die Stimme klang ein wenig spitz. »Was haben die nun wieder
… Ah, ich verstehe. Der Kampf gegen die Schwärme der See, nicht wahr?
Verstehe, verstehe. Und der Hochgeborene Lord ta Enderos überreichte es
Euch? Nun, er war Euch ja immer auf besondere Weise gewogen.«
Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt, um auszurutschen und den
arroganten Kerl ordentlich zu treten, doch Livianya beherrschte sich. »Der
Oberkommandeur der Garde fand, dass dieses Vergrößerungsrohr in einer
Festung nützlicher sei, als in seinem Garten.«
»Nun, äh, das mag sein.« Ta Andarat trat von dem Gerät zurück und lehnte
sich an die gemauerte Einfassung der Plattform. »Ihr spracht von einer
wachsenden Bedrohung an der Grenze, Hochgeborene? Ich kann jedoch
keinen Feind erblicken. Wisst Ihr etwas von den Orks der Finsternis, das noch
nicht nach Alneris gedrungen ist?«
»Keine Orks, obwohl diese Bedrohung stets über uns schwebt. Im
vergangenen Reich Jalanne formiert sich eine andere Gefahr.«
Natürlich wusste ta Andarat längst von den gepanzerten Bestien. Livianya
hatte mehrere Berichte an ihren Vorgesetzten ta Enderos geschickt. Da die
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