versteckt war. Er selbst hatte so etwas nicht in seiner alten Kammer
aufbewahrt, und Dorkemunt gehörte es sicher auch nicht. »Was ist in dem
Beutel dort, Fangschlag?«
Das Rundohr wandte sich halb zur Seite und folgte Nedeams Fingerzeig.
»Was weiß ich? Er gehört mir nicht.«
Der Schwertmann, der den Fund gemacht hatte, schob sich seitlich an
Fangschlag vorbei und hob den Beutel auf. Den Blick misstrauisch auf den
Ork gerichtet, nestelte er an dem Lederriemen und öffnete ihn. Seine Augen
weiteten sich für einen Moment, dann sah er Nedeam mit mühsam
unterdrücktem Zorn an. »Seht selbst, Hoher Herr.«
Er warf den Beutel zu Nedeam hinüber, der ihn geschickt auffing. Garwin
und Elodarion sahen ihm über die Schulter.
»Stachelpfeile!«, stellte der Pferdefürst fest und konnte die Genugtuung in
seiner Stimme nicht unterdrücken. »Ich wusste es, einmal Bestie, immer
Bestie.«
»Sie gehören mir nicht«, knurrte Fangschlag. Seine Hände öffneten und
schlossen sich unbewusst, und man konnte die gefährlichen Krallen an seinen
Fingern erkennen. »Ich kämpfe nicht mit diesem fliegenden Tod. Meine
Waffe ist das Schlagschwert. Der Pferdemensch Dorkemunt kann das
bezeugen.«
»Ich habe gestern keinen solchen Beutel bei ihm gesehen.« Nedeam kratzte
sich nachdenklich im Nacken. »Allerdings trug er auch den Kapuzenumhang.
Vielleicht hielt er ihn darunter verborgen.«
»Du zweifelst an meinem Wort, Pferdemensch Nedeam?« Die Mimik des
Orks war nicht immer leicht zu deuten, doch diesmal drückte sie eindeutig
Überraschung aus. Die Gestalt des Rundohrs straffte sich. »Du irrst dich.«
»Es tut mir leid«, bekannte Nedeam. »Doch die Fakten sprechen gegen
dich.«
»Dann sagen diese Fakten nicht die Wahrheit.«
»Wir sollten ihn einfach töten.« Diese schlichten Worte kamen von
Kormund und verrieten seine Enttäuschung. »Er hat uns alle zum Narren
gehalten. Vor allem den guten Herrn Dorkemunt. Erschlagen wir die Bestie
ohne viel Aufhebens. Wozu noch einen Schiedsspruch?«
»Ihr Menschen«, zischte Fangschlag, und etwas Geifer tropfte zwischen
seinen Fangzähnen hervor. »Ihr seid alle gleich. Wäre ich einer von euch,
dann würdet ihr mir glauben. Aber meine Haut ist dunkel und fleckig. Das
reicht euch, um mich als Bestie anzusehen.«
Garwin schien zufrieden, da die Schuld des Orks nun erwiesen war. Diese
Gewissheit ließ ihn Großmut walten. »Wir sperren die Bestie in die Kammer
und bewachen sie. Morgen früh tritt das Gericht zusammen. Zum Mittag ist
diese Kreatur dann Geschichte.«
Das gewaltige Rundohr rührte sich noch immer nicht. Es sah Nedeam
unverwandt an. Lag da Hass oder Enttäuschung in seinem Blick? Nedeam
konnte es nicht sagen. Er nickte zu Garwins Worten und gab den
Schwertmännern einen Wink. Während diese zusammen mit den anderen die
Kammer verließen, schien der Beutel mit den Beweisen plötzlich doppelt
schwer in seiner Hand zu liegen.
»Es tut mir leid«, wiederholte er.
Fangschlag schwieg, als die Tür geschlossen wurde und sich mehrere
bewaffnete Schwertmänner davor aufbauten.
»Wir haben den alten Schmied Guntram rufen lassen, Erster
Schwertmann«, meldete einer von ihnen. »Er wird von außen einen Riegel an
der Tür anbringen. Keine Sorge, die Bestie wird uns nicht entkommen.«
Nedeam nickte wortlos und blickte zum Brunnen hinüber. Er musste
Dorkemunt von der feigen Tat des Rundohrs berichten. Der Erste
Schwertmann der Mark hätte nicht gedacht, dass ihm das so schwerfallen
würde.
Zwischen dem Südgebirge von Hesparat und dem östlichen Gebirgsmassiv
des Uma’Roll gelegen, machte der Große Wall seinem Namen alle Ehre.
Warum man dieses eigentlich schmale, lang gestreckte Gebirge so genannt
hatte, wusste niemand mehr zu sagen. Mit den beiden anderen Gebirgen
zusammen bildete es jedoch eine unüberwindbare Grenze zwischen Alnoa
und Jalanne und war nur am Pass von Dergoret sowie an der Pforte von Alnoa
passierbar. Ein wahres Ärgernis, als der Handel zwischen beiden Reichen
noch florierte.
Damals war Maratran nicht mehr als eine Signalstation gewesen. Ein hoch
gelegener Turm am Südende des Walls, auf dessen Spitze das Signalfeuer
vorbereitet war. Dieses war Teil einer Kette von Signalfeuern, die alle sieben
Königreiche miteinander verband und bei Gefahr entzündet wurde, um
einander beistehen zu können. Nun war das Reich Jalanne vergangen, und aus
dem Signalturm von Maratran war die Festung Maratran geworden.
Die Hänge des umliegenden Gebirges waren steil und schroff, und wo die
natürlichen Gegebenheiten ein Ersteigen nicht verhinderten, da hatten die
Konstrukteure und Arbeiter Alnoas nachgeholfen. Während vieler Winter
hatte man heißes Wasser in Spalten und Löcher gegossen und gewartet, bis es
gefror. Der Druck des sich ausdehnenden Eises hatte das Gestein gesprengt,
und die Steigungen wurden unbezwingbar.
Mühsam hatte man vor dem Bau der Festung einen breiten Pfad in den
Hang geschlagen. Dann waren Stein und Geröll bewegt und Erde
herbeigeschafft worden, bis neben dem Signalturm ein beachtliches Plateau
entstanden war. Der zu kleine Brunnen war sorgsam ausgeschachtet und
verkleidet worden. Dann hatte man mit dem Bau der eigentlichen Anlage
begonnen. Alles Material, vom Felsquader bis zum Getreidekorn, musste
hinauftransportiert werden. Es dauerte viele, sehr viele Jahre und forderte das
Leben manchen Arbeiters. Doch dann erhob sich Maratran in neuer Größe
und neuem Glanz über dem Großen Wall.
Bewusst hatte man für den Bau der Festungsmauern den weißen Stein
gewählt, aus dem auch die Bollwerke der Hauptstadt Alneris bestanden.
Einem Leuchtfeuer gleich, mahnte er jeden Feind, dass hier die Garde des
Königreiches stand.
Die Mauern waren extrem dick, obwohl sie kaum von einem Katapult
erreicht werden konnten. Man hatte Ställe und Unterkünfte darin integriert,
und auch die Vorratslager und Waffenkammern befanden sich dort. Inmitten
der Anlage erhob sich der Signalturm. Er war weit größer als sein Vorgänger
und hatte kaum noch Ähnlichkeit mit ihm. An der Basis erinnerte er an eine
plumpe Tonne, über der er sich wie eine sich nach oben stark verjüngende
Nadel erhob. An der Spitze befanden sich das Signalfeuer und eine
Beobachtungsplattform, die eine weite Aussicht über das umliegende Land
bot. Obwohl man den Turm über die innen liegende Treppe ersteigen konnte,
hatte es der frühere Kommandant Maratrans, ein verdienstvoller, doch am
Ende seiner Laufbahn gebrechlicher Adliger, erreicht, dass einer jener
Aufzüge installiert wurde, für die der Königsturm in Alneris berühmt war.
Über eine Vorrichtung aus Winden, Rollen und Seilen konnte man eine
hölzerne Plattform durch das Innere des Turms nach oben bewegen und
wieder herabsenken.
Der neue Kommandant von Maratran hielt nur wenig von solchen
Errungenschaften, doch an diesem Tag gebot es die Höflichkeit, den Aufzug
zu benutzen. Die Hochgeborene Livianya, die neben der stehenden Besatzung
der Festung auch das hier stationierte Regiment der siebenten Gardekavallerie
befehligte, hatte Besuch aus der Königsstadt Alneris erhalten.
Der Hochgeborene Welbur ta Andarat hatte die Statur eines Kriegers, doch
er kämpfte lieber mit Worten als mit der Klinge. Er war Mitglied des
Kronrates und sicherlich kein Freund der Hochgeborenen Livianya. Nach
seiner Meinung gehörte eine Frau nicht in die Reihen der Kämpfer, schon gar
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