verband er die Worte mit dem gütigen Gesicht Garodems. »Dieser Stuhl dort
ist präpariert, er wurde Eurer Mutter zum Verhängnis.«
Garwin erstarrte, und Elodarion erklärte mit wenigen Worten, was es damit
auf sich hatte. Das Gesicht des Pferdefürsten wurde für einen Augenblick
blass. Er betrachtete den in der Lehne verborgenen Stachelpfeil.
»Unzweifelhaft ein heimtückischer Mordversuch. Ein Wunder, dass sie
überhaupt noch lebt. Und Ihr seid Euch sicher, Hoher Lord Elodarion, dass es
sich um das Gift eines Sandmenschen handelt?«
»Es stammt vom Sandstecher, aber es wird von dem Wüstenvolk genutzt,
ja«, bestätigte Elodarion.
»Was für eine ruchlose Tat«, murmelte Garwin. »Dann besteht keine
Hoffnung mehr?«
»Wir werden für die Hohe Dame tun, was in unserer Macht steht«,
versicherte Leoryn. »Doch wir sollten sie nun in ihre Kammer bringen, wo sie
Ruhe hat und gepflegt werden kann.«
»Ja, tut das«, murmelte Garwin. Er sah nachdenklich auf die Landkarte an
der Wand des Amtsraumes. Es war eine elfische Karte, welche die Marken
des Pferdevolkes und die angrenzenden Länder zeigte. Weitaus genauer und
detaillierter als bei menschlichen Karten üblich. »Nun werde ich mich wohl
ganz allein um das Wohl der Hochmark kümmern müssen.« Er seufzte.
»Hoher Herr Nedeam, ich werde Euch im Lauf des Tages meine
diesbezüglichen Weisungen geben. Doch nun muss ich Euch alle bitten, mich
allein zu lassen. Ich bin vom Ritt erschöpft, und die Sorge um meine verehrte
Mutter macht mir die Gedanken schwer.«
Garwin wirkte weder erschöpft noch sonderlich besorgt. Aber Nedeam war
da sicherlich voreingenommen, wie er sich eingestand. Die beiden
Heilerinnen trugen Larwyn mit der Hilfe zweier Schwertmänner behutsam
aus dem Raum. Man würde sie in ihre Gemächer bringen, und Nedeam war
sich sicher, dass der besorgte Tasmund eine zuverlässige Wache vor ihren
Räumen postieren würde. Bedienstete stellten die Möbel wieder an ihren
Platz, mit Ausnahme des todbringenden Stuhls. Auf Meowyns Weisung
wurde er vorsichtig in ihre Heilerstube gebracht, wo sie den gefährlichen
Stachelpfeil entfernen und untersuchen wollte.
Elodarion hielt Nedeam zurück, als dieser ebenfalls der Aufforderung
Garwins folgen wollte. Der Erste Schwertmann war noch zu betroffen, um
klar zu denken, wie ihm Elodarions nun folgender Einwand bewies. »Mit
Verlaub, Hoher Lord Garwin, doch es gibt Dringlicheres zu regeln als die
Geschäfte der Mark.« Der Elf deutete auf die Stelle, an welcher der Stuhl
noch vor Kurzem gestanden hatte. »Dies war ein heimtückischer
Mordanschlag, und der Täter ist noch nicht gefasst.«
Nedeam zuckte zusammen. Es wäre seine Pflicht gewesen, daran zu
erinnern.
Garwin erwiderte den Blick des Ältesten mit ausdruckslosem Gesicht.
Schließlich nickte er zögernd. »Ihr habt recht, Hoher Lord Elodarion. Das gilt
es zu bedenken. Doch der Meuchelmörder wird längst entflohen sein.« Er sah
zu Nedeam. »Wahrscheinlich hat er sich unter die Gäste Eurer Feier gemischt
und sich nach der Tat unerkannt aus dem Staub gemacht.«
»Das ist nicht gesagt, Pferdefürst Garwin«, erwiderte Elodarion. In seiner
Stimme schwang eine Spur von Verachtung mit. Ob diese dem Täter oder
dem Pferdefürsten galt, war nicht auszumachen. Aber die Elfen fühlten sich
Garwin nicht verbunden. Er hatte sich geweigert, ihnen beizustehen, als sie
seine Hilfe benötigten. Nedeam, Dorkemunt und der tote Garodem hingegen
hatten mit ihrer Unterstützung keinen Augenblick gezögert. »Wer auch immer
den Stachelpfeil im Stuhlpolster verbarg, er muss es während der
Vorbereitungen für die Feier getan haben. Davor war die Hohe Dame Larwyn
noch in diesem Raum.«
»Auch während der Feier kann es nicht geschehen sein«, überlegte
Nedeam. »Die Ehrenwache stand vor der Tür. Jeder Unbefugte wäre von ihr
aufgehalten worden.«
Garwin sah seinen Ersten Schwertmann abschätzend an. »Was wollt Ihr
damit andeuten, Hoher Herr Nedeam? Dass es ein Bediensteter der Burg
war?«
Diese Aussicht gefiel Nedeam ebenso wenig wie dem Pferdefürsten. Doch
sein Verdacht war noch ungeheuerlicher. »Kein einfacher Bediensteter, Hoher
Lord.«
Garwins Augen wurden schmal. »Was Ihr da sagt, gefällt mir nicht, Erster
Schwertmann!«
Elodarions Gesicht war unbewegt, als er an Nedeams Stelle antwortete.
»Ob es Euch behagt oder nicht, Hoher Lord Garwin, Ihr müsst Euch den
Tatsachen stellen. Es war jemand, der Zugang zu Stachelpfeilen und dem Gift
der Sandmenschen hat. Jemand, der mit den Gepflogenheiten der Hohen
Dame Larwyn vertraut ist und bei den Bewohnern der Burg kein Misstrauen
erweckt.«
Nedeam seufzte betrübt, denn die Konsequenzen waren fatal. »Einige der
Pferdelords, die vor Jahreswenden unter Garodems Befehl nach dem alten
Banner des Ersten Königs forschten, brachten zur Erinnerung Waffen der
Clans mit in die Hochmark. Eine der Schädelkeulen hängt sogar in Malvins
›Donnerhuf‹. Unter diesen Erinnerungsstücken befinden sich auch
Stachelpfeile und vielleicht sogar das Gift des Sandstechers.«
Garwin runzelte die Stirn. »Ihr meint, es war ein Pferdelord? Einer der
unseren? Unmöglich!«
Nedeam nickte bedrückt. »Ich würde mein Leben für jeden verpfänden, der
damals in die Wüste ritt, und doch kann es nicht anders sein.« Er zuckte die
Schultern. »Es gibt Handel mit den Turiks, aber ihre Stachelpfeile und das
Gift hüten sie gut. Vor allem das Gift. Es ist sehr wertvoll für sie, denn es ist
schwer zu bekommen. Also muss es damals jemand mit in die Mark gebracht
haben.«
»Ihr verwahrt nicht zufällig selbst ein solches Andenken?«
»Nein«, knurrte Nedeam empört. »Glaubt Ihr etwa, ich würde …?«
»Natürlich nicht.« Garwin machte eine beschwichtigende Handbewegung.
»Ich kenne Eure Treue zu meiner Mutter. Auf Euch fällt nicht der Schatten
eines Verdachts.« Der Pferdefürst legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich
kann und will nicht glauben, dass ein Pferdelord oder gar ein Schwertmann zu
solcher Niedertracht fähig wäre. Meine Mutter wird vom einfachen Volk
verehrt und besitzt den Respekt jedes einzelnen Pferdelords. Niemand hat
Grund, ihr ein Leid zuzufügen. Aber sagt einmal, Nedeam, ritt damals nicht
auch der Nagerjäger Barus mit Euch hinaus?«
»Ja, und er hat sich bewährt«, bestätigte Nedeam. »Auch er wäre zu einer
solchen Tat nicht fähig.«
Wer Barus kannte, wusste, dass der Nagerjäger mit seiner Keule gegen die
Sandmenschen gezogen war. Die Vorstellung, er würde eine andere Waffe
auch nur anrühren, war vollkommen abwegig.
»Schön, schön, aber irgendjemand war offensichtlich dazu fähig.« Garwin
warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster und trat dann hinter den
Schreibtisch zurück. Geistesabwesend musterte er abermals die elfische
Karte. Seine Finger folgten dem Verlauf der Schraffuren, so, wie es die seines
Vaters oft getan hatten. Sein Zeigefinger verharrte auf dem Dünenland. Dann
wandte er sich abrupt um. »Ah, wartet. Wartet … Sagt einmal, Nedeam,
waren in jene Kämpfe nicht auch Orks verwickelt? Ja, jetzt fällt es mir wieder
ein. Mein Vater berichtete mir davon. Ihr und Euer Freund Dorkemunt, Ihr
wurdet in einem Lager der Sandmenschen von den Bestien angegriffen, nicht
wahr?«
»Ja. Die Bestien wurden besiegt. Wem von ihnen die Flucht aus der Wüste
gelang, der wurde von den Zwergenkriegern König Balruks niedergemacht.
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