Obst, kalter Braten und zwei Karaffen mit kühlem Wasser und mit Wein. Die
Tür zum Schlafgemach war offen und das Bett mit frischen Blüten bestreut,
deren Duft den Raum erfüllte.
Als die beiden darauf niedersanken, fügte sich alles. So, wie es sich immer
fügt, wenn zwei Menschen füreinander bestimmt sind. Nichts störte ihre
Liebe und nichts die Ruhe der Nacht, als sie schließlich erschöpft und
glücklich in den Schlaf glitten.
Bis Nedeam den Schrei hörte.
Er wusste nicht, wie spät es war. Durch das kleine Fenster fiel Sternenlicht
herein und erleuchtete schwach den Raum. Gerade genug, um sich orientieren
zu können.
Da war es wieder.
Der Pferdelord richtete sich ruckartig auf. War es überhaupt ein Schrei
gewesen?
Neben ihm schlug Llaranya die Augen auf. Sie bemerkte sofort die
angespannte Haltung ihres Gemahls und war augenblicklich hellwach. Die
Sinne eines Elfen waren ohnehin schärfer als die der Menschen, und die
Jahre, in denen ihr Heim unter der Herrschaft der Feinde gestanden hatte,
hatten ein Übriges getan. »Gefahr?«
Nedeam lauschte. »Ich weiß nicht. Ich meinte, einen Schrei gehört zu
haben. Nein, es war eher eine Empfindung als ein wirklicher Laut. Ein …
Gefühl, verstehst du?«
Llaranya schwang sich entschlossen von der Bettstatt. Sie zögerte keinen
Moment. »Lass uns nachsehen.«
In den Gewohnheiten des Pferdevolkes war es tief verwurzelt, während der
Nacht an der Schlafstelle eine Waffe griffbereit zu haben. Jahrtausendealte
Erfahrungen mit Raubtieren und Feinden hatten es die Menschen gelehrt.
Doch in dieser Nacht fand das Paar keine Waffen vor. So traten sie leise und
unbewehrt auf den Gang hinaus, der die Räume des Obergeschosses
miteinander verband.
Llaranya lauschte. »Ich höre leisen Gesang aus der Halle. Wenn man das
Gejaule so bezeichnen mag.«
»Es müssen die Zwerge und die Männer deines Volkes sein«, murmelte
Nedeam geistesabwesend. »Andere werden sich kaum noch auf den Beinen
halten können.«
»Töne aus elfischen Kehlen bezaubern die Sinne«, erwiderte Llaranya
selbstbewusst. »Das dort müssen also Zwerge sein.«
»Wie auch immer. Diese Laute haben mich nicht aufgeschreckt. Es war
etwas anderes.«
»Sonst ist nichts zu hören. Halt, da bewegt sich jemand über uns.«
»Die Wache auf dem Signalturm.« Sie musste wirklich erstaunlich scharfe
Sinne haben, denn er selbst konnte die Schritte des Schwertmanns nicht
hören. Nedeam blickte nach rechts und links. Sein Unbehagen wuchs, als er
zu der Tür blickte, die zum Amtsraum des Pferdefürsten führte. Er gab sich
einen Ruck und schritt darauf zu.
Nedeam wusste nicht, ob die Hohe Dame Larwyn inzwischen den Raum
verlassen und ihre eigenen Gemächer aufgesucht hatte. So klopfte er an die
Tür, wie es sich gebührte, und öffnete sie, als keine Antwort kam.
»Larwyn!«
Er sah sie sofort.
Die Herrin der Hochmark lag zwischen Stuhl und Schreibtisch mit dem
Rücken auf dem Boden. Ihre Augen waren weit aufgerissen, Speichel sickerte
aus den Mundwinkeln, und ihre Glieder zuckten.
»Kormund!«, schrie Nedeam. »Schwertmänner der Wache! Die Herrin ist
erkrankt!«
Llaranya schob ihn einfach zur Seite und kniete sich neben die Hohe
Dame. »Rasch, Nedeam, hole meine Elfenschwester Leoryn. Sie ist Heilerin
und wird helfen können.«
»Und Meowyn, meine Mutter. Auch sie beherrscht die Heilkunst.«
Nedeam wandte sich den Gemächern Tasmunds und seiner Mutter zu.
Hinter ihm war ein Poltern zu hören, als Scharführer Kormund, durch den
Schrei alarmiert, mit gezückter Klinge hereinstürzte. Betroffen blieb der alte
Kämpfer beim Anblick Larwyns stehen. »Ist die Herrin gestürzt?«
»Sie ist erkrankt«, wiederholte Nedeam und hastete in den Gang. Auf
seinen Ruf hin kamen Bewegung und Unruhe in die Burg. Schritte und
Stimmen waren zu vernehmen.
Kormund kniete sich neben Larwyn und Llaranya nieder. »Sie schlägt um
sich. Wir müssen sie festhalten, damit sie sich nicht verletzt.«
»Sie krampft.« Die Elfin schüttelte den Kopf. »Wenn wir sie dabei
festhalten, kann es sein, dass sie sich die Knochen bricht. Es ist besser, wir
schieben Stuhl und Tisch zur Seite, sodass sie sich nicht an ihnen stoßen
kann.« Llaranya wandte den Blick zur Tür. »Wo bleibt die Heilerin?«, rief
sie.
Als sie den Blick zu Kormund wandte, erkannte dieser die tiefe Sorge, von
der Llaranya erfüllt war. »Ist es so ernst?«
Die Elfin nickte. »Wenn die Heilerinnen nicht rasch kommen, wird sie
sterben. Doch ich fürchte, dass selbst Leoryn und Meowyn der Herrin kaum
mehr werden helfen können.«
Es war dämmrig in der Höhle, und Danot’Nelat hatte die Schutzdeckel seiner
Augenstiele weit geöffnet. Aus den Schatten schälten sich klare Konturen
heraus. Nelat war einer der ältesten Irghil, und sein einst strahlend blauer
Panzer hatte sich an der Bauchseite grau gefärbt. Er faltete die Kampfscheren
auf den Rücken und schob die kleineren Arbeitsarme unter dem Maul hervor.
Sorgfältig befreite er die Augenstiele und seine kräftigen Mandibeln vom
Schmutz der Außenwelt. Zwei seiner drei Augen richteten sich auf die in der
Höhle versammelten Irghil.
Es handelte sich um zwei kampferprobte Dan, die Krieger der Irghil, und
den Tar, wie der Hüter der Eier genannt wurde. Die drei Irghil hatten heftig
miteinander diskutiert. Danot’Nelat hatte das leise Klappern ihrer
Arbeitszangen bis zum Höhleneingang gehört. Seit seinem Erscheinen
schwiegen die anderen respektvoll und nickten ihm nun zur Begrüßung mit
den Augenstielen zu.
Dan’Pharant war der Erste der Dan, der Führer der Krieger. Er kreuzte die
äußeren Augenstiele, um anzuzeigen, dass er etwas zu sagen hatte. Nelat
knickte den mittleren Stiel zustimmend ein.
Dan’Pharants Arbeitszangen begannen in einem bestimmten Rhythmus zu
klappern. Für die Irghil war diese Verständigungsform ebenso vielseitig wie
das gesprochene Wort bei anderen Völkern. »Die Gepanzerten der
Weichhäutigen haben neue Waffen.«
Danot’Nelat knickte zustimmend. »Ich habe davon gehört. Habt ihr die
ungepanzerten Weichhäuter töten können?«
Dan’Pharant erlaubte sich das Äquivalent eines bösartigen Grinsens.
»Einer konnte entkommen und rief die Gepanzerten herbei. So wie es geplant
war. Aber sie liefen uns nicht direkt zwischen die Scheren, und es waren
mehr, als wir erwartet hatten. Die Waffen sind schrecklich. Fliegende Äste,
die unsere Panzer durchschlagen, und Stachel, die sie uns in den Leib
rammen. Wir konnten einige der ihren töten, aber nicht alle.
»Nicht alle«, stimmte der andere Dan zu. »Aber die Überlebenden sind
abgezogen.«
»Sie werden wiederkommen«, klapperte Danot’Nelat unbehaglich. »Dann
müssen wir besser vorbereitet sein. Wir müssen sie alle zerschneiden.« Eher
unbewusst öffnete und schloss er seine Kampfscheren. »Keiner der
Gepanzerten darf entkommen. Alle Weichhäutigen müssen sterben.«
»Wir werden sie alle töten«, bekräftigte Dan’Pharant.
Nelat wandte sich dem Tar zu. »Wie viele sind im kommenden Wurf?«
Der Hüter der Eier kratzte sich am Bauchpanzer.
»Zweihundertdreiundsechszig. Davon fünf Weibchen.«
»Das ist gut. Mehr Weibchen als üblich. Das gibt mehr Eier.« Der Erste
der Dan kreuzte zustimmend die Augenstiele.
»Es ist unsere Natur, Dan’Pharant. Je mehr Verluste wir haben, desto mehr
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