Weibchen werden schlüpfen, um die Zahlen auszugleichen.« Nelat wandte
sich erneut dem Tar zu. »Sind die Dan aus dem vorletzten Wurf bereit?«
»Sie sind bereit und wetzen ihre Scheren«, versicherte der Hüter der Eier.
Danot’Nelats mittlerer Augenstiel senkte sich zustimmend. »Gut. Sehr gut.
Wir werden alle Weichhäuter töten. Nicht einer von ihnen darf überleben.«
Die elfische Heilerin Leoryn und ihre menschliche Freundin und Schülerin
Meowyn trugen kaum mehr als ihre Nachtgewänder. Die Elfin hatte sich
hastig einen Gürtel umgelegt, an dem sich zahlreiche Täschchen und
Beutelchen befanden, gefüllt mit den Utensilien ihrer Heilkunst. Meowyn, die
Heilerin von Eternas, hatte einen der Schwertmänner in ihre
Behandlungsstube gesandt, damit er von dort holte, wonach die Elfin verlangt
hatte.
Leoryn duldete sonst nur noch Nedeam und Llaranya im Raum. Alle
anderen hatte sie mit energischen Worten hinausgeschickt. Bislang wusste
man nur, dass Larwyn schwer erkrankt war, doch niemand kannte die
Ursache. Die Burg erwachte, und langsam kamen auch jene auf die Beine, die
nach dem Gelage noch nicht wieder sicher stehen konnten. Der besorgte
Tasmund scheuchte alle Schwertmänner auf die Posten und stieß immer
wieder Flüche gegen das Blor des Zwergenvolkes aus. Der alte Kämpfer
spürte Unbehagen angesichts einer Gefahr, die man nicht sehen konnte.
Obwohl er mit einer Heilerin vermählt war, blieben ihm Krankheiten
unheimlich, und es wäre ihm lieber gewesen, ein Feind hätte Eternas berannt,
denn ihm hätte man sich stellen können.
»Sie hat das Gleiche gegessen und getrunken wie wir alle«, sinnierte
Meowyn, besorgt um ihre Herrin und Freundin. »Und in geringerem Maße.«
Leoryn sah sich im Amtsraum um und deutete auf einen Krug, der auf dem
Schreibtisch stand. »Was ist damit?«
»Es ist normales Wasser«, murmelte Nedeam. Er erblasste ein wenig. »Ich
… ich habe vorhin einen Schluck davon getrunken.«
»Schön, dann muss es wohl in Ordnung sein«, sagte die Elfin beruhigt.
»Du hast schließlich keine Krämpfe und auch keinen Schaum vorm Mund.«
»Es gibt langsam wirkende Gifte«, warf Llaranya ein.
Nedeams Augen verengten sich. »Ihr meint, die Herrin wurde vergiftet?
Sie ist gar nicht erkrankt?«
»Auch Verdorbenes kann zu einem Gift werden«, versicherte Leoryn.
»Doch das scheint es nicht zu sein. Die Anzeichen deuten auf den
Giftspeichel der Eriat-Schlange.« Sie sah Meowyn an. »Wir müssen sie
entkleiden. Ich muss sehen, ob es Spuren eines Bisses gibt.«
»Hier herauf kommen keine Schlangen«, meinte Nedeam.
»Man muss nicht von einer Schlange gebissen werden, um an ihrem Gift
zu sterben«, sagte die elfische Heilerin nachdenklich, während sie und
Meowyn die Hohe Dame entkleideten.
Auf der Treppe waren Schritte zu hören, dann stürzte Elodarion in Jalans
Begleitung herein. »Ich hörte von dem Übel, das der Herrin der Hochmark
widerfahren ist.« Er erblickte Larwyn und seufzte leise. »Sie sieht ernstlich
krank aus.«
»Tritt näher, Vater, und sieh es dir genauer an.«
Elodarion runzelte die Stirn. »Ich kenne diese Zeichen. Die
Gliederkrämpfe, das Zusammenpressen der Zähne und die zurückgezogenen
Lippen. Die Augen sind geweitet. Die Pupillen, Leoryn, sind sie weit oder
eng?«
»Sie haben kaum die Größe eines Nadelöhrs.«
»Bei den Finsteren Abgründen.« Elodarion schob Meowyn unsanft zur
Seite, kniete sich neben seine Tochter und beugte sich über die hilflose
Larwyn. »Einen Dolch! Ich brauche eine Klinge.«
»Du willst ihr den Mund öffnen?«
»Ich muss sehen, ob die Zungenspitze geschwollen und verfärbt ist.«
Nedeam suchte nach dem Dolch, der normalerweise auf dem Schreibtisch
lag. Larwyn hatte ihn wohl heruntergerissen, als sie zu Boden stürzte. Er
bückte sich nach der zierlichen Waffe, als Leoryn ihn zurückhielt. »Ihr
Männer und eure barbarischen Methoden. Es ist nicht nötig, der armen
Larwyn den Kiefer gewaltsam zu öffnen. Wartet, ich kümmere mich darum.
Meowyn, stecke ihr einen dicken Lederknebel in den Mund, sobald ich dir ein
Zeichen gebe.«
Leoryn kniete sich hinter Larwyns Kopf und legte ihre Hände in einem
merkwürdigen Griff an deren Unterkiefer. Wie von selbst öffnete sich der
Mund. Die Elfin nickte Meowyn zu, die sofort den Knebel zwischen die
Reihen der Backenzähne schob.
Elodarion beugte sich über Larwyns Gesicht. »Licht! Ich brauche Licht.«
Nedeam hielt die Brennsteinlampe näher und sah nun selbst, das Larwyns
Zunge tatsächlich geschwollen und verfärbt war, besonders an der
Zungenspitze.
»Verfluchte Brut«, zischte der Elf. »Kein Zweifel, das habe ich schon viel
zu oft gesehen. Es ist das Gift des Sandstechers.«
»Sandstecher?« Nedeam überlegte. »Bei allen Finsteren Abgründen. Das
Gift, das die Turiks des Sandvolks benutzen?«
Mit einem leichten Schaudern dachte Nedeam an die Abenteuer zurück,
die sie in ihrer alten Heimat erlebt hatten, welche nun von den
Wüstenkriegern des Sandvolkes beansprucht wurde. Deren Hauptwaffen
waren Keulen, mit denen sie die Schädel ihrer Feinde einschlugen, und
Blasrohre, mit denen sie Pfeilstacheln verschossen. Im Land dieses Volkes
gab es den Sandstecher, ein handgroßes Insekt, das über seinen Stachel ein
tödliches Gift absonderte. Die Turiks der Sandclans sammelten dieses Gift,
um damit gefährliches Raubwild zu erlegen. Im Kampf jedoch verwendeten
sie es nicht, das hätten sie als unehrenhaft empfunden.
»Eben dieses«, bestätigte Jalan. »Da gibt es keinen Zweifel. Die Turiks
sind hin und wieder bis zu den Häusern des Waldes vorgedrungen. Um Holz
zu rauben und ein paar Schädel zu nehmen. Beides gelang den Barbaren nur
selten. Deshalb scheuten sie sich nicht, das Gift gegen uns einzusetzen,
obwohl sie das sonst nicht tun.«
Nedeam schüttelte den Kopf. »Es kann nicht sein. Hier gibt es keine
Turiks.«
»Dennoch ist es ihr Gift.« Der Älteste des Hauses Elodarion erhob sich.
»Eure Herrin Larwyn müsste längst tot sein. Selbst in geringsten Mengen
wirkt es schnell.«
Sein Freund Jalan wiegte den Kopf. »Könnte es verdorben sein? Die
Turiks bewahren es doch in ihren Köchern auf. Über viele Jahreswenden
hinweg. Vielleicht war es zu alt.«
»Das wäre möglich.« Elodarion seufzte leise. »Es wird dann langsamer
wirken, aber ebenso tödlich sein.«
»Dann ist Larwyn verloren?« Nedeam sah die Elfen schockiert an. »Erst
Garodem, und nun Larwyn? Es darf nicht sein. Ihr müsst ihr helfen. Sie muss
überleben.«
Leoryn warf dem Pferdelord einen bedauernden Blick zu. »Gegen das Gift
des Sandstechers gibt es kein Mittel.«
Jalan räusperte sich. »Keines, das uns zugänglich ist. Doch es könnte sein
…« Llaranyas Vater strich sich über das Kinn. »Vielleicht …« Er zögerte,
aber dann gab er sich einen Ruck. »Ich muss etwas holen. Vielleicht besteht
doch noch Hoffnung.«
Die anderen sahen verwirrt zu, wie Jalan aus dem Raum hastete. Sie
wussten nicht, was er meinte, und auf Nedeams Frage zuckte Leoryn
bedauernd die Schultern. »Was auch immer er vorhat, es gibt kein Mittel
gegen das Sandstechergift.«
Als Jalan zurückkam, war er ein wenig außer Atem. In seiner Hand hielt er
ein kleines Kästchen, aus kostbaren Hölzern gefertigt und mit elfischen
Symbolen verziert. »Ich wollte dies Llaranya und Nedeam zum Abschied
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