diese sehr persönlichen Begegnungen niemals, um einen Vorteil daraus zu
ziehen. Manchmal erwog die Hochgeborene tatsächlich, sich mit ihm zu
verbinden. Er war ebenfalls adlig, wie die Bezeichnung »ta« verriet, und
somit eine standesgemäße Partie. Es mochte durchaus sein, dass sie ta Geos
sogar liebte. Die Garde hingegen liebte sie in jedem Fall. Sie konnte sich
nicht vorstellen, jemals die Rüstung abzulegen und nicht mehr mit ihren
Männern hinauszureiten. Doch wenn sie sich vermählte, musste sie dem
entsagen. Für Livianya war das unvorstellbar.
Als sie und Bernot ta Geos nun über den Vorplatz vor dem Turm schritten,
war die Anlage von der üblichen Betriebsamkeit erfüllt.
Die Pferde wurden gefüttert und getränkt, und einige der Tiere standen an
der Schmiede, da sie neu beschlagen werden mussten. Zwei von ihnen
wurden am Zügel über den Platz geführt und dabei kritisch von einigen
Gardisten und dem Heiler Maratrans beäugt, da sie ein wenig lahmten.
»Wir haben zwanzig neue Pferde aus Nerianaris bekommen«, erläuterte
Bernot. »Einige davon sind nur halb zugeritten. Der Hauptmann des Beritts
hat es bei der Abnahme nicht bemerkt.« Er registrierte Livianyas Blick und
lächelte. »Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Das nächste Mal wird er mehr
Sorgfalt walten lassen.«
Aus der Waffenschmiede drang rhythmisches Hämmern. Die Laute
klangen etwas dumpfer als gewöhnlich. Offensichtlich versah der
Waffenmeister die Tellerlanzen nun ebenfalls mit der Quetschspitze. »Wir
werden mehr Weichmetall benötigen«, meinte Bernot. »Auch wenn ta
Andarat sich dagegen ausgesprochen hat, gehe ich davon aus, dass Ihr
weiterhin Jalanne bestreifen wollt.«
»Das werde ich.« Livianya blieb stehen und sah ihn forschend an. »Er hat
es nicht direkt verboten, und das kann er auch nicht. Er ist zu schlau, um das
zu tun. Ihr seid dagegen, Hauptmann?«
Er lächelte. »Ich teile Eure Meinung, Hochgeborene.«
In Anwesenheit anderer bemühten sie sich immer, die Form zu wahren,
auch wenn der eine oder andere Gardist ahnen mochte, dass zwischen ihnen
mehr war als reine Disziplin. Außerdem erleichterte es die Distanz Livianya
und Bernot, ihre Meinungen ohne Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten
auszutauschen. Bernot mochte ein zu gradliniger Denker sein, aber er war ein
ausgezeichneter Praktiker, wenn es um das Töten des Feindes ging. Die
Hochgeborene schätzte sein Urteil ebenso wie seine Fertigkeiten.
»Oberkommandeur ta Enderos teilt meine Befürchtungen«, sinnierte
Livianya. »Ich weiß es. Er hat den Instinkt eines guten Gardisten.«
»Im Frieden kann er nicht allein entscheiden.«
»Frieden.« Sie spuckte das Wort förmlich aus. »Ein Frieden, in dem meine
Gardisten sterben oder verstümmelt werden.«
»Weil Ihr die Grenze überschreitet und die Männer nach Jalanne führt.«
»Würdet Ihr das nicht tun, Bernot?«
Er schwieg einen Moment. »Ohne Eure Unterstützung? Nein, ich glaube
nicht.«
Sie schätzte diese Offenheit an ihm. Er war kein Speichellecker. »Warum
nicht?«
Er sah sie ernst an. »Ihr seid Kommandant von Maratran. Ihr habt die
Liebe des Volkes und den Respekt der Garde. Und Ihr habt das Ohr des
Oberkommandierenden und des Königs.« Erneut lächelte er. »Darüber kann
sich auch ta Andarat nicht einfach hinwegsetzen. Ich hingegen,
Hochgeborene, bin nur ein einfacher Hauptmann und Berittführer.«
»Auch Ihr seid adlig, und Ihr seid mein Stellvertreter, vergesst das nicht.«
»Niemals«, versicherte er.
Das Pochen aus der Waffenschmiede verstummte, und ein schlanker
Mann, dem der Schweiß in dichten Bahnen über den Oberkörper floss, trat
hervor. Er hielt eine der abgeänderten Tellerlanzen in den Händen und
begutachtete sein Werk. Zufrieden nickend, reichte er die Waffe einem
Gehilfen, der ihm gefolgt war. Dann erblickte er Livianya und ta Geos und
eilte auf sie zu. »Auf ein Wort, Hochgeborene Herrschaften, auf ein Wort.«
Für einen Schmied hatte er eine beinahe zerbrechliche Statur, und doch
war er einer der besten Waffenmeister des Königreiches. Daik ta Enderos
hatte den Mann in Alneris ausfindig gemacht. Dort war er für seine Kunst
berühmt, wundervoll verzierte Waffen herzustellen, die von den Adligen des
Reiches gerne bei Paraden und Bällen getragen wurden. Ta Enderos’
spöttische Frage, ob er sich nicht auch für echte Waffen interessiere, hatte bei
dem Schmied zunächst Empörung und dann Interesse geweckt. Als er dem
Oberbefehlshaber der Gardekavallerie zur Demonstration ein Schwert
fertigte, dessen Qualität fast an die der elfischen Klingen herankam, hatte ta
Enderos versucht, den Waffenschmied zum Dienst in der Garde zu überreden.
Doch der Mann hatte rundweg abgelehnt und stattdessen angeboten, als
einfacher Handwerker nach Maratran zu gehen. Für ihn erwies sich dieser
Weg als weitaus vorteilhafter. Er bekam mehr goldene Schüsselchen für seine
Arbeit und konnte zudem seine Familie mitnehmen. Den einfachen Gardisten
war diese Möglichkeit verständlicherweise versperrt. Kein Befehlshaber einer
Festung oder Garnison schätzte es, neben der Kampftruppe auch noch einen
Tross an Weibern und Kindern versorgen und beschützen zu müssen.
»Nun, was gibt es, Waffenmeister?«, fragte ta Geos an Livianyas Stelle.
Dies entsprach dem strengen Reglement der Garde. Ein einfacher Soldat
durfte seinen Kommandanten jederzeit ansprechen. Händler, Handwerker und
andere Zivilpersonen mussten jedoch mit dessen Stellvertreter
vorliebnehmen.
»Es geht um die neuen Dampfkanonen, Hochgeborene Herrschaften.« Der
Mann wies zu den nach Jalanne weisenden Mauern. »Wie Ihr wisst,
Hauptmann, wurden zwei weitere dieser Waffen angeschafft. Die
Brennsteinkessel und Dampfzuleitungen sind jedoch nur für die bisherigen
Geschütze ausreichend. Oh, ich kann das natürlich ändern, Hochgeborene
Herrschaften. Doch dazu muss ich eine neue Zuleitung durch die Decke des
Pferdestalls legen. Ihr wisst ja, wir nutzen die Dampfleitungen, um im Winter
die Unterkünfte und Ställe zu heizen.«
Auf dem Plateau wurde es im Winter bitterkalt. Es reichte den Gardisten,
wenn sie schon auf Wache oder im Dienst froren. Da sollten wenigstens die
Unterkünfte behaglich warm sein. Vor einigen Jahren hatte Maratran fünf der
neuartigen Dampfkanonen erhalten. Sie hatten sich bei der Flotte und der
Verteidigung von Alneris bewährt. Nun wurden auch die Grenzfestungen
nach und nach mit ihnen ausgerüstet. Im Falle Maratrans hielt die Hohe Dame
diese Kanonen jedoch für überflüssig. Die Festung lag so hoch, dass sie kaum
vom Feind beschossen werden konnte, während schon ihre kleinsten
Katapulte weit in das Vorfeld hineintrugen. Dennoch hatte sie der Lieferung
zugestimmt. Denn der Betrieb, der die Waffen fertigte, gehörte einem
einflussreichen Mitglied des Kronrates, und sie wollte sich durch eine
Ablehnung nicht die Gewogenheit der Ratsmitglieder verscherzen. Nicht
allein wegen ihrer Person, sondern weil der König und der
Oberkommandierende ta Enderos sich dort für sie einsetzten.
»Fragt ihn, wo das Problem liegt«, sprach sie den Hauptmann an, blickte
dabei aber in die Augen des Schmiedes. Manchmal konnte das Reglement ein
wenig umständlich sein.
»Sagt der Hochgeborenen, der Stallmeister befürchtet, durch die Arbeiten
werde die Stabilität der Stalldecke geschwächt, da sie durchbrochen werden
muss.«
Ta Geos antwortete direkt und mit den Worten, die Livianya gewählt hätte.
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