»Es sind Kriegspferde. Ihre Sicherheit geht vor unserer Bequemlichkeit. Doch
der Winter ist nicht mehr allzu fern. Besprecht mit dem Stallmeister, was er
für nötig hält. Er ist für den Stall, die Pferde und deren Sicherheit
verantwortlich. Somit gilt sein Wort.«
Der Waffenschmied seufzte entsagungsvoll. »Er wird ein paar zusätzliche
Säulen einziehen wollen. Das kostet Zeit und Schüsselchen.«
»Auf Zeit und Schüsselchen können wir nicht gegen den Feind reiten«,
meinte ta Geos knapp.
Der Mann seufzte erneut und nickte ergeben. Als er außer Hörweite war,
stieß Livianya einen leisen, wenig damenhaften Fluch aus. »Seit der König
die Schüsselchen als Währung eingeführt hat, scheinen sie zunehmend das
Reich zu regieren. Wenn die Garde früher etwas benötigte, dann bekam sie es
auch. Heute wird zunächst danach gefragt, wie viel es kosten mag.«
Der Hauptmann konnte ihre Bitterkeit verstehen. »Wenn eine Bedrohung
vor den Toren des Reiches auftaucht, wird niemand mehr danach fragen.«
»Womit wir beim Thema wären, mein guter Bernot.« Livianya deutete
zum Turm, wo sich die Unterkünfte der Offiziere und der überlebenswichtige
Brunnen befanden. »Suchen wir meine Räume auf.«
Die Ehrenwache salutierte und öffnete die eisenbeschlagene Tür, in die das
Wappen des Reiches Alnoa eingearbeitet war. Sie führte auf einen Gang, der
den Schacht des Aufzugs kreisförmig umgab. Die von dem Gang abgehenden
Räume hatten dementsprechend leicht keilförmige Grundrisse. Livianya
beschränkte sich auf die Nutzung dreier Räume. Der vordere war am größten
und diente ihr als Amtsraum. An dessen breiter Stirnseite, der Außenmauer
des Turms zugewandt, befand sich die Tür, die zu ihren Privaträumen führte,
dem Schlafgemach und dem einzigen Luxus, den sie sich erlaubte, einem
kleinen Baderaum.
Die Tür zu ihrem Schlafgemach war offen. Ein Gardist und der Seilmacher
der Festung standen an Livianyas Bett, das sie zuvor auseinandergenommen
hatten. Es bestand aus einem sorgfältig bearbeiteten und mit Schnitzereien
verzierten Holzrahmen und einem langen dünnen Seil. Im Holzrahmen
befanden sich Bohrungen, durch die das Seil gitterförmig hindurchgefädelt
wurde. Auf diesem federnden Gitter ruhte das Polster des Bettes. So gut das
Seil auch war, es hatte schon viele Jahre seinen Dienst getan und war
schließlich gerissen. Livianya hatte einige Tage auf dem blanken Boden
genächtigt. Es machte ihr nicht viel aus. Immerhin brauchte sie ihn nicht, wie
auf einem Streifenritt, nach spitzen Steinen oder gefährlichem Getier
abzusuchen.
Der Seilmacher bemerkte die Eintretenden. Da er ebenfalls kein Mann der
Garde war, wandte er sich an Hauptmann ta Geos. »Sagt der Hochgeborenen,
sie wird ihre Bettstatt heute Nacht wieder benutzen können. Es ist ein gutes
neues Seil. Ich habe es sorgsam aus den besten Fasern gedreht. Vier Tage
lang habe ich es mit Gewichten behängt. Es wird lange halten und der
Hochgeborenen erholsame Nächte bescheren.«
Bei der Bespannung eines Bettes war es sinnvoll, das Seil zuvor mit einem
schweren Gewicht zu belasten. Denn ein neues Seil dehnte sich noch, und
man verhinderte auf diese Weise, dass der Schläfer in seiner ersten Nacht
langsam nach unten sackte.
Ta Geos sah fragend zu Livianya, und diese nickte. Dann lächelte er die
beiden Männer freundlich an. »Seht es uns nach, ihr guten Herren, doch die
Hochgeborene und ich haben wichtige Angelegenheiten zu erörtern.«
Der Seilmacher schien einen Moment irritiert zu sein, doch der Gardist gab
ihm mit einer kleinen Geste zu verstehen, dass das Einziehen des Seils noch
warten musste. Als sich die Tür hinter den beiden Männern schloss, deutete
Livianya auf einen der geschwungenen Stühle, die vor ihrem Schreibtisch
standen. Sie selbst schritt zu der Karte, die an einer der Längsseiten des
Raumes hing.
Der Amtsraum war, wie auch ihr Schlafquartier, bescheiden eingerichtet,
verriet aber dennoch die ordnende Hand einer Frau, die es schätzte, das
Praktische mit dem Schönen zu verbinden. Wenige Möbel standen hier,
verziert, doch nicht mit Schmuck überladen, wie es die Adligen vorzogen.
Dazu ein hohes Regal mit Schriftrollen und Büchern. Eines davon wies auf
seinem Rücken elfische Zeichen auf. Es stammte noch von Livianyas
verstorbenem Mann. Sie selbst hatte nie gelernt, die elfische Schrift zu
deuten, obwohl sie es sich schon oft vorgenommen hatte. Aber es gab
wichtigere Dinge zu erledigen. Im Regal standen zudem einige feinsinnige
Schriften aus der Künstlerschicht von Alneris. Dazu die Standardwerke der
alnoischen Garde. Handbücher zum Festungsbau, zur Ausbildung und zur
Taktik. Das meiste davon war nach Livianyas fester Überzeugung dummes
Zeug und diente nur dazu, den Namen des Schreibers zu verbreiten. Jeder
Gardist von Verstand wusste, dass man im Winter besser warme Kleidung
trug, und brauchte dafür kein Buch zu konsultieren. Die meisten Gardisten
beherrschten die schriftliche Sprache, doch statt der militärischen Handbücher
studierten sie lieber jene frivolen Schriften, die in der Unter- und Oberschicht
von Alneris gleichermaßen beliebt waren.
»Ich hatte mir von Daik ta Enderos Unterstützung erhofft«, begann
Livianya und setzte sich neben Bernot. »Aber als die Sache an den Kronrat
ging, da ahnte ich, dass es Schwierigkeiten geben würde. Als dann ta Andarat
erschien, war mir klar, dass wir auf uns allein gestellt bleiben. Wir werden so
lange keine Verstärkung erhalten, bis die Irghil Maratran direkt bedrohen.«
»Ich denke nicht, dass sie das wagen würden. Maratran liegt sehr hoch, ist
kaum zugänglich und schwer befestigt. Mit ihren Scheren werden die Bestien
die Mauern nicht zu Fall bringen können.«
Livianya seufzte. »Ihr müsst lernen, weiter zu sehen, Bernot. Habt Mut zu
freien Gedanken. Ihr dürft nicht nur den Feind in der ersten Schlachtlinie
betrachten.«
Er runzelte verwirrt die Stirn. »Ich verstehe nicht …«
»Ach, Bernot, beschränkt Euch nicht zu sehr auf Jalanne.« Die
Hochgeborene erhob sich und ging zur Karte hinüber. »Hier, unser
Königreich Alnoa. Und hier das vergangene Reich von Jalanne. Dazwischen
der Große Wall und Maratran. Und jenseits von Jalanne, Bernot?«
Er brauchte nicht auf die Karte zu sehen, um die Antwort zu geben. »Die
Wüste von Cemen’Irghil. Auch dort leben nur Bestien. Sandbarbaren und die
Orks des Schwarzen Lords.« Seine Stimme stockte. »Bei den Finsteren
Abgründen, du glaubst doch nicht …?«
Der Schock ließ ihn unwillkürlich ins vertrauliche Du übergehen. Livianya
ignorierte es. Seine Aufregung war verständlich. »Immerhin ist es eine
Möglichkeit, nicht wahr? Die Scherenbestien könnten sich mit den Orks
verbündet haben.«
»Aber … welchen Sinn sollte das haben? Ich meine, warum greifen sie
dann nicht gemeinsam an? Ein Überraschungsangriff, wie damals, als Euer …
Wie damals, vor Dergoret.«
Dergoret. Der Tod ihres Gemahls. Für einen Moment flammte die
Erinnerung schmerzhaft in ihr auf. »Dergoret und Maratran sind stärker
befestigt als je zuvor. Sie sind nicht mehr im Handstreich zu nehmen. Die
Signalfeuer würden entzündet, und in wenigen Tageswenden wäre
Verstärkung hier. Ein Zehntag, und die Armee des Königs steht bereit.
Dennoch liegt Ihr nicht ganz falsch, Bernot.« Livianya tippte gegen die Karte.
»Die Garde bestreift Jalanne nicht. Wir reiten nur hinunter, wenn die
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