Auch wusste er nicht, wie er sich in der Gegenwart entmaterialisieren sollte. Klar, unsichtbar werden war kein Problem. Das war eine der Grundübungen, welche jedes Mitglied der Vereinigung beherrschte.
Aber unsichtbar werden war kein Verschwinden.
Arina hingegen konnte das. Sie beherrschte es perfekt, sich an einem Ort vollständig aufzulösen und an einem anderen wieder zu erscheinen. Teleportieren nannte die Vereinigung es bei ihr.
Allerdings fehlte ihr die Fähigkeit, in der Zeit zu reisen. Sie konnte ihre Kräfte lediglich in der Gegenwart einsetzen.
Die Vereinigung nutze es dennoch sehr häufig. Wann immer man einen Kurier brauchte um irgendetwas schnell von einem Ort zum nächsten zu bringen, dann wurde mit Sicherheit Arina dafür ausgewählt.
Sie konnte Entfernungen von mehreren tausend Kilometern innerhalb weniger Sekunden zurücklegen.
Marcus war sich sicher, dass es auch Arina sein würde, die ihn letztendlich fand.
Er rechnete jeden Tag damit, dass sie plötzlich, ohne jegliche Ankündigung, in seinem Iglu auftauchte um ihn zurückzubringen.
Arina war der Vereinigung gegenüber vollkommen loyal. Sie stelle keine
Fragen, meuterte nie, widersprach nie. Sie war das perfekte Mitglied.
Ruhig, ausgeglichen, vollkommen kontrollierbar.
Sie würde niemals versuchen zu fliehen.
Sie hatte die Vereinigung als ihr zuhause akzeptiert und genoss die Aufmerksamkeit, die ihr entgegen gebracht wurde. Sie war mit ihrer Rolle, der Tochter Buddhas , vollkommen zufrieden.
Als Kinder der Propheten standen ihnen viele Annehmlichkeiten zu, die den normalen Mitgliedern verwehrt blieben.
Jeder von ihnen besaß sein eigenes Zimmer, bekam, wenn er es wollte, privaten Unterricht und in der Regel wurde ihm jeder Wunsch erfüllt. Jedoch nur, solange es innerhalb der Regeln der Vereinigung blieb.
Sie konnten wählen, was sie essen wollten, konnten sich wünschen, was immer sie besitzen wollten, sei es Kleidung, die neueste Technik oder Bücher.
Auch waren sie die Einzigen, die nicht verpflichtet waren, die Uniformen der Vereinigung zu tragen. Arina tat dies trotzdem.
Sie liebte es, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Nur selten trug sie ihre eigene Kleidung.
Ganz anders war Leticia.
Sie war seine beste Freundin. Starrköpfig, herrisch und aufbrausend.
Lety diskutierte für ihr Leben gern und hatte schon mindestens ein Dutzend der Regeln innerhalb der Vereinigung gebrochen.
Letztendlich führte auch sie die Aufträge aus, das war klar, jedoch gehorchte sie nie ohne Widerstand. Sie war die absolute Rebellin innerhalb der
Vereinigung und der Schreck sämtlicher Ausbilder.
Sie hatte ihm oft erzählt, wie gern sie fliehen und normal leben wollte.
Am liebsten irgendwo in Europa, in einem netten Häuschen am Strand, in unmittelbarer Nähe eines Einkaufszentrums.
Shoppen war ihre großen Leidenschaft... Sie liebte es, neue Dinge zu bekommen und auszuprobieren. Mehrmals die Woche trafen Pakete für sie ein.
Immer randvoll mit Klamotten, Technik und allem möglichen neuen Kram.
Sie hatte ihm oft gesagt, wie gern sie einmal selbst ein Kaufhaus durchstöbern wollte, um einfach das mitzunehmen, was ihr gefiel.
Doch die Vereinigung untersagte so etwas.
Wollte Leticia etwas haben, dann musste sie es der Defense melden.
Ein Mitglied dieser Verteidigungstruppe wurde dann ausgesandt, um ihre Einkäufe zu erledigen und ihr zu bringen.
Sie selbst durften das Gelände der Vereinigung nicht ohne Auftrag verlassen.
Bei dem Gedanken an Lety wurde ihm bewusst, wie einsam er hier draußen eigentlich war. Seit zwei Monaten alleine in der Eiswüste.
Schon oft hatte er darüber nachgedacht, einfach aufzugeben und von sich aus zurückzukehren. Sicher erwarteten sie ohnehin, dass er dies tat, denn auf ewig verstecken konnte er sich nicht. Das wusste er selbst.
Aber wenn er jetzt aufgab, wäre alles umsonst gewesen. Die wochenlangen Vorbereitungen seiner Flucht. Die letzten Monate hier am Nordpol... Außerdem wollte er nicht wieder zur Werkzeug der Vereinigung werden. Sie würden ihn sofort wieder für irgendwelche Aufträge einteilen, nachdem sie
ihm eine Strafpredigt bezüglich seines Benehmens gehalten hatten.
Im Grunde war dies seine Bestimmung.
Die Vereinigung hatte ihn für ihre Zwecke gemacht. Nicht damit er irgendwelchen völlig absurden Phantasien nachhing.
Er stellte sich oft vor, wie es wäre, ein völlig normaler Mensch zu sein. Nach menschlicher Zeitrechnung wäre er jetzt wahrscheinlich Anfang zwanzig.
Er könnte ein Haus mit Garten haben, einen Hund und eine normale Arbeit. Nach der Zeitrechnung der Vereinigung war er jedoch mehrere tausend Jahre alt.
Sie bezeichneten ihn als den Sohn Jesus.
Eine Rolle, mit der er sich überhaupt nicht abfinden wollte, da Religion ihn schon immer gelangweilt hatte. Er hatte, anders als die meisten anderen Vereinigungsmitglieder, kein Interesse daran, irgendeinen Gott anzubeten. Im Gegenteil. Man sollte ihm erst einmal beweisen, dass es überhaupt irgendwelche Götter gab. Danach würde er darüber nachdenken, ob er an sie glauben wollte oder nicht.
Aber an etwas glauben, was er nicht sehen konnte? Nein, das war nichts für ihn.
Trotz seiner dicken Bärenfellkleidung fror er entsetzlich. Lange würde er diese Kälte nicht mehr aushalten.
Immer wenn es zu schlimm wurde, lies er ein wenig Energie entweichen, aktivierte seine Aura und wärmte sich kurzzeitig dadurch auf. Jedoch tat er dies nie länger als einige Sekunden, da ihm die Gefahr, gefunden zu werden, andernfalls viel zu hoch war.
Irgendetwas würde ihm schon einfallen, um sich aus dieser Lage zu befreien. Es war nur blöd, dass er nie gelernt hatte, ohne Magie zu leben.
Von Anfang an, hatte man ihm beigebracht, seine Kräfte zu nutzen. Und im Alltag der Vereinigung tat dies auch jeder.
Ein Leben ohne magische Kräfte war für die meisten völlig unvorstellbar. Einige der ganz jungen Anwärter konnten sich nicht einmal ohne Hilfe von Magie die Schnürsenkel binden.
Es wäre für ihn auch nicht weiter schwer gewesen, den Schneesturm mit einer kleinen Konzentrationsübung verschwinden zu lassen. Aber jeder Einsatz von Magie, selbst wenn er noch so klein war, rief magische Schwingungen hervor und lief dadurch Gefahr, durch die weltweit platzierten Radarsysteme der Vereinigung, aufgefangen zu werden.
Wann immer es irgendwo auf der Welt zu nicht autorisierten magischen Signalen kam, war die Vereinigung sofort zur Stelle um die verursachende Person zu rekrutieren , wie sie es nannten.
In Wahrheit war es jedoch mehr eine Entführung als eine Rekrutierung.
Die Menschen, meist Kleinkinder, bei welchen sich die Magie gerade erst zeigte, wurden, ohne sie nach ihrem Willen zu fragen, nach Nevada verschleppt und dort magisch getestet.
Bestanden sie den Test, dann wurden sie als Anwärter der Vereinigung aufgenommen, bestanden sie ihn nicht, wurde ihre Erinnerung gelöscht und man brachte sie zurück in ihre Heimat.
Die meisten, die getestet wurden bestanden den Test.
Immer wieder kam es vor, dass irgendwo auf der Welt, Menschen mit
magischen Fähigkeiten geboren wurden. Menschen, deren Potenzial man nutzen konnte um sie auszubilden und für die Vereinigung zu nutzen.
Mehrmals pro Jahr kamen neue Anwärter hinzu und die Vereinigung musste nie fürchten, einmal zu wenige neue Rekruten zu haben.
Im Grunde besaß jeder Mensch magische Fähigkeiten.
Bei den meisten waren diese Energien jedoch so schwach ausgeprägt, dass sie nichts davon bemerken und dass es somit unmöglich war, sie so auszubilden, dass sie diese verwenden konnte.
Solche Leute interessierten die Vereinigung nicht. Die Vereinigung rekrutierte erst ab einem bestimmten Energiepotenzial.
Читать дальше