Er musste einen Notruf absetzen. Dringend.
Doch noch bevor er diesen Gedanken zu ende fassen und den Knopf berühren konnte, fuhr die Frau ihn ruppig an.
"Das wirst du nicht tun!"
Seine Hand verharrte gelähmt mitten in der Bewegung. Er war nicht mehr im Stande, den Notrufschalter zu betätigen.
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er wollte dass dieser Alptraum endlich vorbei war und er zuhause in seinem Bett aufwachte.
Doch im gleichen Moment wurde ihm bewusst, dass dies alles durchaus real war. Um einiges realer, als ihm lieb war...
Die Stimme der Frau nahm einen sanfteren Tonfall an. "Wir müssen das anders lösen."
Ein Notruf war das, was sie in ihrer Situation am wenigsten gebrauchen
konnte. Nicht jetzt.Würde der Pilot um Hilfe funken, dann würde am Flughafen innerhalb kürzester Zeit ein ganzes Kontingent an Polizei, Terrorismusabwehr, Militär und verschiedenster Geheimdienste bereitstehen. Nicht zu vergessen dem Heer an Journalisten, das eine solche Meldung auf den Plan rufen würde.
Genau die Menschen, die sie gerade überhaupt nicht gebrauchen konnte. Niemand durfte erfahren, dass sie sich hier, in diesem Flugzeug befand.
Dies wäre aber unvermeidbar, würde der Pilot nun einen Notruf absetzen. Außerdem war damit niemandem geholfen. Ganz im Gegenteil.
Würde man den Taliban der Justiz übergeben, würde er höchstwahrscheinlich den Rest seines Lebens in irgendwelchen Hochsicherheitsgefängnissen verbringen..
Nein, das durfte nicht sein.
Er tat ihr Leid, war er doch nichts anderes als das Ergebnis einer nicht funktionierenden Gesellschaft, einer Marionette der Mächtigen, ein Spielball derer Organisationen, welche sich dem Dunkel zugewandt hatten.
Sie hatten ihm, sowie vielen seines gleichen, eine Gehirnwäsche verpasst. Seine Gedanken manipuliert.
Er wusste nicht, was für ein Unheil er mit seinen Handlungen anrichtete. Sie musste einen anderen Ausweg aus dieser Situation finden.Besser noch, sie musste die letzte halbe Stunde ungeschehen machen. Die Zeit, vom Beginn der Flugzeugentführung bis jetzt, dem Ende, durfte nie existiert haben.
Es gab nur eine Möglichkeit. Sie musste die Erinnerungen aller Beteiligten manipulieren.
Angefangen bei dem Terroristen. Er sollte eine zweite Chance bekommen, fernab von seinem jetzigen Leben.
Sie würde ihm vorgaukeln, er wäre ein Geschäftsmann aus Dubai, der sich auf dem Weg nach London befand, um neue Geschäftsideen und Partner für sein neuestes Projekt, was das sein wollte, das sollte er selbst entscheiden, zu
finden.
Er sollte niemals Kontakt zu irgendwelchen dieser terroristischen Vereinigungen gehabt haben, sondern mehr noch, er solle sie verachten, abgrundtief hassen.
Sie sah ihn kurz an, dann streckte sie ihre rechte Hand aus, murmelte " Insentio " und ließ etwas Energie auf ihn übergehen.
Er verkrampfte sich, als der feine silberne Nebel ihn erreichte. Sie konzentrierte sich auf genau die Bilder, die sie ihm übermitteln wollte. Es war nicht schwer, in seine Gedanken einzudringen und kostete sie kaum Kraft, da er keinen Widerstand leistete.
Seine Erinnerungen wurde mühelos von ihren manipulierten Bildern überlagert.
Sobald die Gedankenübertragung beendet war, würde er denken, er wäre der aus Dubai stammende Architekt Ben Ali Hassan. Er würde sich an nichts Anderes mehr erinnern können.
Sie ließ ihre Hand sinken.
Der Anfang war erledigt.
Der ehemalige Terrorist saß verwirrt auf dem Boden und blickte benebelt um sich. Es würde einige Minuten dauern, bis er wieder klar denken konnte.
Zeit, die sie nutzen musste, um auch die Erinnerungen aller anderen zu verändern.
Als nächstes nahm sie sich die Piloten vor. Bei ihnen würde es noch einfacher und schneller gehen, da sie dieses Mal lediglich die Ereignisse des Fluges rückgängig machen und keinen kompletten Lebenslauf umschreiben musste.
Der Pilot konnte sich noch immer nicht rühren und beobachtete sie mit vor Angst geweiteten Augen an, während sie auf ihn zuging.
Der Copilot saß zitternd mit seinem schmerzenden Knie in der Ecke und wagte nicht, sich zu rühren. Der Terrorist hatte ihn durch einem Schlag mit seinem Gewehr verletzt.
Egal . Dachte sie. Er ist beim Rückweg von der Toilette gestürzt.
Wieder hob sie ihre rechte Hand, murmelte " Insentio " und ließ etwas ihrer silbernen Energie auf beide übergehen.
Auch diesmal fiel es ihr nicht schwer, in ihre Köpfe einzudringen. Sie waren viel zu verwirrt und verängstigt, um eine Gedankenblockade zu errichten. Wobei sie ohnehin nicht glaubte, dass überhaupt einer von ihnen dies beherrschte.
Im Grunde musste sie den beiden bloß einen reibungslosen Überflug vorspielen. Sie sollten lediglich denken, das Flugzeug wäre wie geplant von Rom nach London geflogen und sie würden in Kürze, nach einem völlig ruhigen Flug, in London Heathrow landen.
Sie ließ ihre Energie zurückfließen und nickte zufrieden. Auch das war geschafft. Beide würden sich an nichts erinnern.
Weder an die Entführung des Flugzeuges, noch an sie.
Sie würden sie lediglich für eine völlig normale Passagierin halten. Unauffällig und uninteressant.
Sie dachten, sie hätte den ganzen Flug über in der Economy Klasse gesessen, wie die meisten anderen der Fluggäste.
Ihr blieben noch einige Minuten, bis der Terrorist und die Piloten wieder zu
sich kamen. Diese benötigte sie, um auch die Erinnerungen der anderen Passagiere zu verändern.
Zwar hatten diese glücklicherweise nicht viel mitbekommen, jedoch hatte eine Stewardess sie darüber informiert, dass es Komplikationen im Cockpit gab und dazu aufgerufen, Ruhe zu bewahren.
Es gebe mit Sicherheit Fragen, wenn sie nicht auch diese Erinnerungen löschen würde.
Sie konnte es sich nicht leisten, dass irgendjemand irgendetwas von den Vorkommnissen auf diesem Flug erfuhr.
Die Menschen sollten denken, eine völlig normalen Reise erlebt zu haben. Auch das sollte nicht schwer werden.
Das Einzige, was Probleme verursachen könnte, war, dass dort hinten in der Kabine über 200 Personen saßen. Um sich um jeden einzeln zu kümmern, reichte die verbleibende Zeit nicht aus. Sie musste alle auf einmal manipulieren.
Sie konzentrierte sich, hob beide Hände und aktivierte ihre Aura.
Langsam erschien ein feiner, silbernen Nebel, der sie bald völlig umschloss und geheimnisvoll leuchten ließ.
Sie konzentrierte sich noch stärker. Es musste ihr nun gelingen, ihre Energie auf das gesamte Flugzeug auszudehnen, um wirklich alle einzuschließen. Egal wo an Bord sich diese gerade befanden, sie musste jeden erreichen.
Sie biss die Zähne zusammen und gab noch mehr ihrer Energie an das Flugzeug ab.
Mittlerweile füllte der silbrig schimmernde Nebel das gesamte Cockpit und silbrige Fäden schlängelten sich über den Boden der Passagierkabine.
Noch nie musste sie einen so großen Raum ausfüllen und stellte erschrocken fest, dass ihre Reserven zu Ende gingen.
Sie musste, ob sie es wollte oder nicht, die nächste Stufe aktivieren um die Kraft ihrer Aura zu verdoppeln, wenn es so weiter ging.
Dies aber wollte sie um jeden Preis vermeiden, da die Aktivierung einer höheren Stufe immer starke magieenergetische Signale hervorrief.
Signale, die sehr einfach aufgefangen und geortet werden konnten. Nein, eine Stufe würde sie nur im äußersten Notfall aktivieren.
Noch hatte sie einige Kraftreserven, das musste reichen. Schließlich würde es nicht lange dauern, die Leute zu manipulieren. Dafür sollte ihre grundlegende Magie hoffentlich ausreichen.
Zumal sie nicht wusste, wie die Elektronik des Flugzeuges auf die starke Energieentladung, die bei einer Stufenerhöhung erfolgt, reagieren würde. Denn was hatte sie davon, wenn sie die Geräte des Flugzeuges blockierte und es damit eventuell zum Absturz brachte?
Читать дальше