Vorsichtig fuhr ich in das Parkhaus. Obwohl ich meine Hände mit mehreren Papiertaschentüchern abgewischt hatte, rutschte meine rechte Hand immer wieder über das Lenkrad. Von dem gegessenen Stück Frikadelle hatte ich ein unangenehmes Aufstoßen, fast so, als wäre das Fleisch nicht mehr gut gewesen. Aber das konnte eigentlich nicht sein, denn Curry-Erwin bot nur beste und frische Sachen an.
Das Thaigericht schlug mit satten dreißig Euro zu Buche, doch Erwin versicherte mir, dass dies ein Sonderpreis für mein Testessen sei. Und die Benutzung seiner Schürze zum Abwischen meiner Hände bekam ich gratis dazu.
Wie ich erfuhr, lag Herr Weser noch in der Notaufnahme. Man hatte für den alten Querulanten bisher kein geeignetes Zimmer gefunden. Als ich in den Raum trat, sah der Alte mir misstrauisch entgegen.
„Herr Lumpers, was machen sie denn hier?“, fragte er ohne eine Begrüßung. „Ich hatte die Frau Enssel erwartet. Haben sie Jennifer hierhergebracht? Und wo ist sie?“
„Einen schönen guten Tag, Herr Weser“, gab ich mich höflich. Wieso konnte der Mann sich eigentlich nie meinen Namen merken? „Lärpers heiße ich, Jonathan Lärpers.“
„Ja, ja“, murrte er, „wo also ist Jennifer? Herr Heisters hat mir zugesagt, dass sie sich um mich kümmern würde.“ Und wie ein beleidigtes Kind fügte er hinzu: „Wenn schon die Christine nicht kommen kann ...“
„Frau Enssel ist unabkömmlich“, erklärte ich. „Der Oberstaatsanwalt hat sich überraschend angekündigt und nun wird sie im Studio benötigt.“
„Und da schickt man ausgerechnet sie, Herr Lüllers? Ich will, dass Jennifer kommt. Sofort!“
Ich schüttelte den Kopf: „Ich kann ja gerne wieder gehen, doch momentan bin ich der Einzige, der zur Verfügung steht. Glauben sie mir, Herr Weser, mir passt das auch nicht.“
„So, so. Es passt ihnen also nicht, einem armen, kranken Mann helfen zu müssen! Was sind sie nur für ein Mensch, Herr Klüsters! Glauben sie etwa, dass es mir Spaß macht, hier vor mich hin zu siechen?“
„Was haben sie denn überhaupt, Herr Weser?“
„Das geht sie überhaupt nichts an, Löklers!“, fauchte der Alte. Eigentlich konnte er doch nicht allzu krank sein, wenn er mich dermaßen anschrie. Sekunden später trat eine Schwester in den Raum.
„Was ist denn hier los?“ Sie kam auf mich zu und hob drohend den Zeigefinger. „Sie sollten hier nicht so herumschreien, mein Herr. Was machen sie überhaupt hier? Das ist die Notaufnahme.“
Ich hob beschwichtigend meine Hände. „Herr Weser wollte mich sehen, er braucht unsere Hilfe. Und geschrien habe nicht ich, sondern er.“
Die Schwester sah Weser scharf an. Schließlich grunzte der dicke, alte Mann und schüttelte den Kopf: „Nein, ihn wollte ich nicht sehen. Frau Weru sollte hierherkommen und dann hat Herr Heisters mir zugesagt, dass Frau Enssel mir hilft. Aber niemals dieser ... dieser ... Tölpers.“
Die Schwester drehte sich zu mir und schob mich sanft in Richtung Tür. „Kommen sie, Herr Tölpers. Sie sollten den Patienten jetzt alleine lassen. Er braucht Ruhe!“
„Lärpers. Ich heiße Jonathan Lärpers und nicht Tölpers“, korrigierte ich aufgebracht. Dank der wenigen Minuten mit Weser war ich schon fast wieder am Ende mit meinen Nerven. Als wir fast an der Türe standen, hörten wir Herrn Wesers Stimme hinter uns.
„Schwester, Schwester! Lassen sie den Mann hier.“ Jetzt klang seine Stimme resigniert. „Wenn mir Heisters niemand anderen schicken will, dann muss ich wohl mit dem Mann da vorliebnehmen!“
Die Krankenschwester drehte sich um und stemmte resolut die Hände in die Hüften. „Sie wissen aber wohl, was sie wollen, Herr Weser? Klingeln sie, wenn etwas sein sollte und verschwenden sie nicht meine Zeit!“ Ohne ein weiteres Wort verschwand sie auf den Gang hinaus.
Ich trat erneut zu Herrn Weser ans Bett. „Also, was wollen sie? Warum müssen wir ihnen helfen?“
„Sie müssen mir überhaupt nicht helfen, Härpers! Christine sollte mir helfen.“
Ich stöhnte gequält auf. „Frau Weru befindet sich in ihrem wohlverdienten Urlaub und ansonsten steht niemand zur Verfügung“, erklärte ich gereizt. „Das habe ich ihnen doch schon gesagt!“
Weser grummelte etwas vor sich hin, dann bemerkte er: „Wenn sie nur wollen würden, dann könnte man Christine aus dem Urlaub holen! Aber sie wollen ja nicht!“
„Wollen würden und hätte können“, gab ich von mir und warf einen Blick auf meine Uhr. „Wenn sie mir nicht bald sagen, was sie von uns wünschen, dann hilft ihnen niemand. Ich habe gleich noch einen Termin und muss noch quer durch die Stadt fahren. Also, worum geht es, Herr Weser?“
„Quatsch. Das ist doch Quatsch“, krähte der Alte. „Meinen sie, sie könnten einen Herrn Weser mit diesem Terminquatsch unter Druck setzen? Was haben sie schon für wichtige Termine, Grütters?“
Ich sah Weser kurz an, dann drehte ich mich um und schritt auf die Tür zu. Dem Alten war nicht zu helfen und dieser Unsinn hier ging mir gewaltig auf die Nerven. Ich würde Bernd anrufen und ihm berichten, dass Weser meine Hilfe ablehnte.
„Püllers, bleiben sie gefälligst hier, verdammt!“, vernahm ich die Stimme des Alten hinter mir. „Sie kommen jetzt unverzüglich wieder zu mir oder ich klingle nach der Schwester.“
Ich blieb stehen und antwortete ohne mich umzudrehen: „Nur, wenn sie mir endlich sagen, worum es überhaupt geht. Ansonsten können sie sehen, wie sie alleine zurechtkommen.“
Der Alte seufzte vernehmlich. „Ja, meinetwegen. Sind sie sicher, dass Christine nicht aus dem Urlaub geholt werden kann? Für die Aufgabe braucht man Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen un...“
Ich stand mittlerweile wieder neben ihm. Mein gewollt böser Blick schien den alten Mann nicht zu stören. „Verdammt, Weser, sagen sie endlich, was sie von mir wollen. Wir werden Frau Weru garantiert nicht aus dem Urlaub zurückholen, also: worum geht es?“ Ich musste mich sehr zusammenreißen, um die letzten Worte nicht herauszuschreien.
„Wülkers, sie haben kein bisschen Feingefühl“, erneut seufzte der Dicke theatralisch. „Geben sie mir doch mal meine Hose. Die liegt dort über dem Stuhl.“
Wollte er sich jetzt anziehen und von mir nach Hause gefahren werden? Dazu hatte ich keine Zeit. Trotzdem reichte ich ihm die Hose, die zahlreiche Schmutzflecken aufwies.
Weser kramte in den Taschen herum und reichte mir schließlich einen Schlüssel an einem Ring mit Anhänger. Als ich die Aufschrift auf der Plakette las, konnte ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Dick eingraviert stand dort ‚Genie‘.
„Gärpers, das ist der Schlüssel zu meinem Haus. Wieso grinsen sie eigentlich so dämlich? Na egal. Es geht um Bingo.“
„Bingo?“, echote ich. Hatte der senile Alte mich wegen eines dämlichen Spiels zu sich kommen lassen? „Das ist jetzt nicht wahr, oder?“
Weser nickte ernsthaft. „Sie müssen sich um Bingo kümmern.“
Ich sah den Mann wütend an. „Sagen sie mal, Weser, haben sie keine anderen Probleme als ein dämliches Spiel? Soll ich etwa für sie Bingo spielen? Das können sie sich abschminken!“
„Ein Spiel?“ Weser richtete sich mühsam im Bett auf. Jetzt war ihm anzusehen, dass es ihm nicht gut ging. Fast tat der Kerl mir leid. Aber nur fast ...
„Bingo ist kein Spiel“, fuhr er fort. „Ja sicher, Bingo ist schon ein Spiel, aber dieser Bingo nicht.“
Der Alte verwirrte mich zusehends. Ich schaute ihn fragend an.
„Jetzt gucken sie nicht so blöd, Julpers. Bingo ist ein Hund. Um genauer zu sein: Bingo ist der Hund eines Bekannten, der im Krankenhaus liegt. Und ich betreue das Tier, bis er wieder zu Hause ist. Verstanden, Höppers? Das ist doch ganz einfach, das sollten selbst sie verstehen.“
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