„Und grins nicht so blöd, Jonathan. Du weißt, dass Bernd das nicht mag.“
„Guten Morgen, Jonathan“, begrüßte mich mein Freund, als ich in sein kleines, fensterloses Büro trat. Hier war kaum Platz für den Schreibtisch, einen kleinen Schrank und einen Besucherstuhl. Bernd nutzte den Raum selten, doch er war abhörsicher und für seine Zwecke ausreichend. Er kam um seinen Schreibtisch herum und nahm mich freundschaftlich in den Arm. „Ich hoffe, dir geht es gut.“
Vor vielen Jahren, zu der Zeit, als ich gerade meine eigene Detektei eröffnet hatte, lernten wir uns auf meiner Geburtstagsparty kennen. Leider war ich dermaßen voller Tequila, dass ich in der Nacht offensichtlich mit ihm im Bett gelandet bin. Bernd dachte in mir einen neuen Liebhaber gefunden zu haben, doch ich musste ihn enttäuschen. Ich war und bin nicht homosexuell und meine damaligen Handlungen beruhten allein auf dem übermäßigen Tequilakonsum. Bernd ist ein Hüne von Mann, gut einen Kopf größer als ich und der gepflegte Vollbart steht ihm ausgezeichnet. Ich bin froh, dass wir so gute Freunde geworden sind.
„Morgen Bernd. Danke, ausgezeichnet. Wie waren deine Ostertage?“
„Ruhig. Ich kann mich nicht beklagen. Was macht dieser Nachbarschaftsstreit?“ Mein Freund nahm wieder Platz und sah mich fragend an.
Hatte Bernd mich deswegen rufen lassen? Ihm musste doch bekannt sein, dass der Termin bei diesem Bersmann erst heute Nachmittag anstand.
„Da bin ich erst um fünfzehn Uhr. Bisher kann ich also noch nichts dazu sagen. Mich würde allerdings interessieren, warum der Mann ausgerechnet uns angerufen hat.“
„Nun, das kann ich dir erklären.“ Bernd lächelte und zeigte auf den Besucherstuhl. „Setz dich, Jonathan. Vor einigen Jahren, noch bevor du bei mir angefangen hast, haben wir dem Mann einmal zufällig aus der Patsche helfen können. Um genau zu sein: Jennifer war es, die ihm aus einer prekären Situation half. Daran wird Bersmann sich erinnert und sie deswegen angerufen haben.“
Ich nickte verstehend. „Na, wenn die Sache so liegt ... Hast du mich deshalb rufen lassen?“
Bernd schüttelte den Kopf und ich schöpfte Hoffnung, dass Eberson unsere Hilfe brauchte.
„Ein Auftrag vom Oberstaatsanwalt?“, fragte ich und sah meinen Freund freudestrahlend an.
Doch der schüttelte erneut den Kopf. „Nein, Jonathan. Und lass bitte dieses dämliche Grinsen. Es geht um eine andere Angelegenheit.“
Er druckste ein wenig herum, während ich mich fragte, was auf mich zukam. Wenn Bernd sich so verhielt wie jetzt, war es nichts Angenehmes, das wusste ich. Plötzlich wünschte ich mich zurück in mein Büro.
„Es ist ... nun also“, begann er zu erklären und ich merkte, dass ihm die Worte nicht leichtfielen. Obwohl ich meinem Freund aufmunternd zulächeln wollte, behielt ich ein ernstes Gesicht. Nicht, dass er wieder dachte, ich würde ‚dämlich‘ grinsen.
„Es ist mehr eine persönliche Sache. Ein Gefallen. Ein Freund braucht unsere Hilfe und hat eigentlich ausdrücklich nach Christine verlangt. Doch die ist ja in Urlaub, wie du weißt.“ Bernd machte eine kurze Pause und sah mich prüfend an. Als ich kurz nickte, fuhr er fort: „Nun, ich weiß auch nicht so genau, worum es geht. Doch da Chrissi nicht zur Verfügung steht und auch Birgit beschäftigt ist, dachte ich, Jennifer einzusetzen. Aber leider ist auch Jenny nicht abkömmlich, da sich der Oberstaatsanwalt Eberson überraschend ankündigte. Du weißt doch, dass er ein Programm initiiert hat, bei dem südafrikanische Polizisten hier in Deutschland im Austausch mit ihren Kollegen Erfahrungen sammeln sollen ...“
Erneut nickte ich. Wer wusste besser als ich über dieses Programm Bescheid, denn im vergangenen Jahr durfte Christine im Austausch nach Südafrika reisen. Leider wurde sie dort von Terroristen entführt und nur mit knapper Not gelang es uns, sie - und einige andere Geiseln - zu befreien.
„Eberson kommt also heute Mittag mit einer südafrikanischen Delegation zu uns und dazu brauche ich Jennifer. Es tut mir leid, Jonathan, doch du bist der einzige, der sich um unseren Freund kümmern kann.“
„Okay Bernd. Aber worum geht es eigentlich? Soll ich deinen Freund vom Flughafen abholen oder hinfahren? Oder was soll ich tun?“
Bernd machte ein ernstes Gesicht und spielte mit einem Kugelschreiber herum. „Unser Freund musste plötzlich ins Krankenhaus. Worum es genau geht, kann ich dir aber leider auch nicht sagen.“
Ich sah wie Bernd auf den Stift blickte und hatte das Gefühl, dass er doch mehr wusste und es mir nur nicht ins Gesicht sagen wollte. Aber warum? Was konnte so unangenehm sein, dass er damit hinter dem Berg hielt? Sollte ich vielleicht jemanden liquidieren? Jemanden für diesen ominösen Freund aus dem Weg räumen?
„Nur damit wir uns verstehen, Bernd“, versuchte ich ihn zu warnen. „Ich mache nichts Ungesetzliches oder Unmoralisches.“
Bernd lachte kurz auf und sah mich an. „Keine Sorge, Jonathan. Das wird auch niemand von dir verlangen. Geh einfach ins Krankenhaus und höre dir an, was der Mann von uns möchte. Du schaffst das schon.“
Irgendwie wusste ich, dass der eigentliche Hammer bei der Sache noch kommen würde. „Welches Krankenhaus, und wie heißt dieser ‚Freund‘?“, fragte ich leise. „Ein paar Details musst du mir schon mit auf den Weg geben. Und wann soll ich zu dem Mann gehen? Ich habe ja heute noch diesen Termin beim Hundebesitzer.“
Bernd atmete ein wenig auf. „Das Krankenhaus kennst du, es ist das Elisabeth Krankenhaus. Somit hast du nicht viel Fahrerei. Und unseren Freund kennst du auch. Er ist sogar ein alter Bekannter von dir.“ Bernd holte tief Luft. „Es ist Herr Weser. Aber ich weiß nicht, auf welchem Zimmer er liegt, das wirst du erfr..."
„Weser?“, rief ich entsetzt. Dieser dicke, alte Mann, der mich eines Tages noch zum Herzinfarkt treiben würde. „Du meinst doch nicht wirklich Herrn Weser? Bitte, Bernd, sag, dass ich mich verhört habe!“
Doch Bernd schüttelte den Kopf. Dann sah ich, dass sich ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht stahl. „Tut mir leid, Jonathan. Es handelt sich wirklich um Herrn Weser.“ Er hob abwehrend beide Hände: „Aber warum er im Krankenhaus ist und was er von uns möchte, das weiß ich wirklich nicht. Am besten wird es sein, wenn du sofort zu ihm fährst.“
„Sofort?“ Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Vor mir lag die Mittagspause und die würde ich bestimmt nicht für diese alte Nervensäge opfern. Doch das sagte ich Bernd nicht. Ich nickte lediglich ergeben. „Gut, dann fahre ich noch vor meinem Termin zu ihm und frage, was er will“, gab ich mich geschlagen. Vorher würde ich aber auf jeden Fall noch gut essen gehen. Die Henkersmahlzeit sozusagen. Dann kam mir eine Idee. „Sollte ich nicht den Porsche aus der Tiefgarage nehmen, wenn ich schon zu Weser fahren muss?“ Ich meinte natürlich den 911er oder den Cayman. An dem Porsche SUV, der dort unten stand, war mir nicht unbedingt gelegen.
„Ist dein Wagen kaputt, Jonathan?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Na siehst du. Dann nimmst du deinen Kia und rechnest später das Kilometergeld ab. So wie immer.“
Ich parkte meinen postgelben Wagen auf dem Seitenstreifen und legte den vorgeschriebenen Parkschein auf das Armaturenbrett. Bevor ich den Wagen verschloss, vergewisserte ich mich, dass alle Seitenscheiben auch geschlossen waren.
Wenn ich schon zu diesem unsäglichen Herrn Weser musste, dann wollte ich zuvor wenigstens noch gut essen. Und wo war das besser möglich, als in der kleinen gemütlichen Frittenbude meines Freundes Curry-Erwin mitten in Rheydt. Curry-Erwin war der unangefochtene Meister seines Fachs hier in der Gegend. Seine Kreationen waren ... ich überlegte, dann fiel mir der richtige Ausdruck ein: ungewöhnlich. Nicht nur der Lärpers Spezialteller mit einer gelungenen Mischung aus Mayonnaise, Soße und Senf, den er extra nach mir benannt hatte, sondern auch solche Spezialitäten wie das Schaschlik Eiffelturm, das er mir nach einem Auftrag in Frankreich kredenzte. Dummerweise war es ihm bis jetzt nicht gelungen, eine Lösung für das Problem des senkrecht in der Schale steckenden Spießes zu finden, so dass immer noch Soße durch das Loch im Boden austreten konnte. Aber Erwin arbeitete an einer Lösung, wie er mir glaubhaft versicherte.
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