In dem Moment, als ich die Akte aufnehmen wollte, klingelte das Telefon.
„Lärpers, Dete...“, meldete ich mich, wurde aber sofort unterbrochen. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang rau und ich erkannte sofort, dass sich jemand Mühe gab, sie zu verstellen.
„Hör mal zu du kleiner Scheißer“, vernahm ich. „Ich mach dich platt. Wenn du denkst, dass du damit durchkommst, dann hast du dich geschnitten. Hast du das verstanden? Geschnitten!“
Ich verstand die Worte sehr wohl, konnte mir aber keinen Reim auf deren Bedeutung machen. „Was so...“
„Stottere nicht dumm rum, Mann“, schrie die Stimme jetzt eine Oktave höher. „Du hast Zeit bis morgen Mittag. Zwölf Uhr. High Noon. Dann knallt‘s! Wir legen dich um, dich und deine Familie. Deine Frau gleich mit. Kapiert? Und damit du das verinnerlichst, kannste ja mal nach deinem schicken Wagen schauen. Die Luxuskarosse gibt ein herrliches Osterfeuer ab!“
Unabhängig davon, dass ich meinen Kia Venga nicht als Luxuskarosse bezeichnen würde - das Wort ‚Postkutsche‘ hatte ich wegen der gelben Farbe schon eher gehört - fragte ich mich, welche Frau er meinte. Immerhin war ich nicht verheiratet und befand mich momentan auch in keiner Beziehung.
„Entschuldigung, was meinen Sie damit?“, fragte ich noch, merkte aber, dass der Anrufer das Gespräch schon unterbrochen hatte. Achselzuckend legte ich den Hörer auf, nahm ihn aber sofort wieder hoch. Wenn jemand mein Auto angezündet hatte, dann war es doch sinnvoll die Feuerwehr zu rufen. Schnell tippte ich eins - eins - zwei ein, legte aber beim ersten Tuten schon wieder auf. Brannte der Wagen wirklich?
Rasch ging ich durch das kleine Foyer zur Eingangstüre. Von hier aus konnte ich meinen postgelben Kleinwagen gut sehen. Der Wagen stand unversehrt an seinem Platz und brannte kein bisschen. Doch um mich zu vergewissern, verließ ich die Detektei und sah mir den Kia genauer an. Nein, den hatte niemand versucht anzuzünden und eine Bombe konnte ich auch nirgends entdecken. Lediglich auf dem Beifahrersitz lag ein Brief, den jemand durch den Spalt am Fenster eingeworfen hatte. Wieder so ein Witzbold, der mir zeigen musste, was er von meinem Fahrzeug hielt!
Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es sich bei dem Umschlag nicht um eine Briefbombe handelte und das Seitenfenster sorgfältig geschlossen war, kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück.
Was wollte der mysteriöse Anrufer von mir?
‚Du hast Zeit bis morgen Mittag. Zwölf Uhr. High Noon. Dann knallt’s.‘
Ich dachte angestrengt über die Worte nach. Wozu hatte ich bis morgen Mittag Zeit? War das einer der Nachbarn, deren Fall ich zurzeit bearbeitete? Wohl kaum, denn zu dem Mann mit dem Hund würde ich heute Nachmittag fahren. Der Termin stand ja schließlich fest. Wer aber sollte mich bedrohen? Ich nahm die dünne Akte meines Falls noch einmal zur Hand, um einen Blick auf die Notizen zu werfen, die Jennifer bei der Aufnahme der Angelegenheit angefertigt hatte. Doch die Informationen gaben nicht viel her. Ein Herr Edgar Bersmann hatte bei uns angerufen und um Hilfe gebeten. Sein Hund hätte angeblich den Nachbarn - einen Herrn Guido Ownatz - gebissen und der wolle ihn nun verklagen. Dann folgte die Adresse des Anrufers, die sich in einer kleinen Eigenheimsiedlung am anderen Ende der Stadt befand. Jennifer hatte dem Mann mein Kommen für heute fünfzehn Uhr zugesagt. Viel mehr stand nicht auf dem Blatt. Keine Information darüber, warum der Mann ausgerechnet unsere Detektei anrief oder was er von uns wollte. Ich sollte mich einfach einmal nur ‚kümmern‘. Jennifer stellte sich das so einfach vor. Was der Mann brauchte, das war ein Anwalt und kein Detektiv.
Ich würde ihn auf diese Tatsache hinweisen und dann wäre der Fall erledigt. Oder ich erschoss doch besser den Hund ...
In diesem Moment klingelte wieder das Telefon. War das wieder der Anrufer?
„Ja?“, meldete ich mich.
„Jonathan?“
Es war nicht der Anrufer, sondern Jennifer vom Krav Maga Studio.
„Ja, am Apparat.“
„Wieso meldest du dich nur mit ‚Ja‘? Außerdem versuche ich dich schon eine ganze Weile zu erreichen. Was ist los, warst du nicht im Büro?“ Ich hörte sie kurz lachen, dann fügte Jennifer hinzu: „Oder bist du wieder eingeschlafen?“
Ich knurrte. „Ich schlafe nicht, Jenny. Ich war nur kurz draußen bei meinem Wagen. Da ist so eine merkwürdige Sache, also eben ha...“
Jennifer unterbrach mich: „Das kannst du mir gleich alles persönlich erzählen, Jonathan. Bernd will dich sehen, also schwing deinen Arsch hier rüber ...“
„Wow“, grinste ich, „du hast aber auch schon einmal freundlicher geklungen. Kein gutes Osterwochenende gehabt?“
Doch Jennifer antwortete nicht, die Leitung war tot.
Ich warf die Akte auf den Schreibtisch. Vielleicht gab es ja einen wichtigeren Auftrag, den Bernd mir erteilen wollte und ich würde den Termin heute Nachmittag absagen können. Ob uns der Oberstaatsanwalt Eberson wieder beauftragt hatte? Vielleicht ein brisanter Einsatz gegen Terroristen, Mörder, Erpresser? Alles war besser, als dieser dämliche Hundestreit ...
Die Strecke zum Krav Maga Studio legte ich mit überhöhtem Tempo in meinem gelben Auto zurück. Obwohl es lediglich einige Meter an Weg waren, wollte ich keine Zeit verlieren und so schnell wie möglich zu meinem Chef ins Büro gelangen.
„Hallo Jonathan“, begrüßte mich Jennifer, als ich das Foyer betrat. Die Blonde blickte mir lächelnd entgegen, ordnete aber weiter einige Papiere auf der Theke, hinter der sie stand. „Das ging aber schnell.“
„Ist Bernd in seinem Büro?“
Sie nickte. „Er erwartet dich schon. Allerdings wirst du dich noch einen Moment gedulden müssen, er telefoniert gerade noch.“
Ich lächelte die Hübsche an. Leider war es mir bisher nicht gelungen, sie zum Essen einzuladen, doch das konnte ja noch werden. Gut Ding will eben Weile haben ... Immerhin blieb etwas Zeit, ihr noch von dem merkwürdigen Anruf zu berichten.
„Was ich dir vorhin erzählen wollte“, begann ich und Jennifer nickte. „Da war so ein merkwürdiger Anruf. Ein Mann drohte mir, mein Auto anzuzünden und mich ‚platt zu machen‘, wenn ich nicht irgendetwas bis morgen Mittag tun würde. Leider habe ich keine Ahnung, was der Kerl meinte. Und mein Wagen brannte auch nicht. Deswegen befand ich mich ja kurze Zeit nicht im Büro“, fügte ich entschuldigend hinzu.
Jennifer grinste. „Ja, das klingt sehr merkwürdig. Wer war denn der Anrufer, hast du nach seinem Namen gefragt?“
„Nein, dafür ging alles viel zu schnell. Er hat nach der Drohung sofort wieder aufgelegt.“
Jennifer hielt jetzt mit ihrer Sortierarbeit inne und sah mich intensiv an. „Bist du sicher, dass du das nicht geträumt hast? Wie lautet denn die Rufnummer deines Anrufers?“
Ich schüttelte den Kopf, während die blonde Maus auf ihrer Tastatur herumtippte. „Keine Ahnung“, gab ich freimütig zu.
„Das ist kein Problem, Jonathan. Ich schaue gerade im Telefoncomputer nach. Ah, da ist es ja. Zehn Uhr achtundvierzig. Allerdings wird keine Nummer angezeigt, der Anrufer hat wohl die Rufunterdrückung benutzt.“
Ich nickte wissend: „Ja, genau die Rufunterdrückung. Nur zu schade, dass ich nicht zurückrufen kann, um zu fragen, was er von mir wollte ...“
„Vielleicht warst du ja auch gar nicht gemeint.“
„Wie meinst du das? Er hat doch bei mir angerufen.“
Jennifer schüttelte den Kopf. „Vielleicht hat der Typ sich verwählt und wollte eigentlich ganz woanders anrufen.“ Sie machte sich einige Notizen. „Ich werde die Sache einmal im Auge behalten, vielleicht kann ich ja etwas in Erfahrung bringen. Übrigens kannst du jetzt zu Bernd, er hat sein Telefonat beendet.“
Ich lächelte Jennifer gewinnend an und machte das Daumen-hoch Zeichen. Dann wandte ich mich um.
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