Schwungvoll trat ich durch die gläserne Eingangstüre, die mich immer wieder an die guten alten Zeiten erinnerte. Naja, Zeiten vor meiner Geburt, doch so sahen in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts viele Türen aus. Der kleine Imbiss wurde - wie immer um diese Zeit - bestens besucht. Hier traf sich ein repräsentativer Querschnitt der Bewohner Mönchengladbachs. Bauarbeiter, Jugendliche und die Fachkräfte vom städtischen Reinigungsdienst verbrachten hier regelmäßig ihre wohlverdienten Mittagspausen. In dem kleinen Raum strotzte es nur so von Lokalkolorit.
Heute drängten sich an zweien der Stehtische mehrere Bauarbeiter dicht aneinander und prosteten sich lautstark mit ihren Bierflaschen zu. Hätte ich nicht gewusst, dass diese Männer eine Menge Alkohol vertrugen, so wäre ich vermutlich in den Gedanken verfallen, dass sie allesamt schon ziemlich angetrunken waren. Ein Teil der Männer wandte sich mir kurz zu, als ich den Laden betrat, die kleinen Glöckchen über der Tür melodisch anschlugen und mich als neuen Gast ankündigten. Curry-Erwin, der fleißig hinter seiner gläsernen Theke hantierte, blickte auf und ein breites Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Rasch wischte er sich die fettigen und mit Soße und Mayonnaise bekleckerten Hände an seiner Schürze ab. Dann stürzte er auf mich zu und nahm mich fest in den Arm.
„Jonathan. Wie schön dich wiederzusehen. Wie geht es dir, es ist doch jetzt schon eine ganze Weile her, dass du mich besucht hast ...“
Ich grinste. Wie schön war es doch, so freundlich begrüßt zu werden. Dann rechnete ich kurz nach. „Fünf Tage, Erwin. Am Donnerstag vergangener Woche war ich zuletzt hier. Und danach hast du ja den Imbiss dicht gemacht, um die Ostertage in Ruhe zu genießen.“
Erwin winkte ab. „In Ruhe ist gut, Jonathan.“ Er zwinkerte mir zu. „Ich musste die Feiertage für einen Kurzurlaub nutzen. Frau und Kinder, weißt du.“
Nein, wusste ich nicht. Aber er würde es mir bestimmt sofort erzählen.
„Weißt du mein Freund“, fing Erwin auch gleich an zu erklären, während er wieder hinter seiner Theke verschwand, „wir waren mal kurz in Thailand. Herrliche Gegend dort.“
Einer der Bauarbeiter drehte sich um und machte in Erwins Richtung das Daumen-hoch Zeichen. „Dat kannse wohl sagen. Ich war auch mal dort, wegen dat Bumsen.“ Seine Kollegen lachten und jeder wusste anzügliche Bemerkungen zu machen. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja, so waren sie die Gladbacher!
„Jonathan, was kann ich dir zu essen anbieten? Ein Bier dazu?“
„Kein Bier, Erwin. Ich muss noch fahren und arbeiten. Eine Cola wäre ganz nett. Und zu essen käme mir eine ordent...“
„Sag nichts, Jonathan“, unterbrach mich mein Freund und ich wusste, was jetzt kam. Er schob mir eine Flasche Cola hin. „Lass dich einfach überraschen. Ich habe ein paar super Rezepte aus Thailand mitgebracht und möchte dir dieses kulinarische Highlight nicht vorenthalten. Du kannst dich mit deinem Kaltgetränk schon einmal an den Tisch dort stellen, in ein paar Minuten erhältst du deine Überraschung.“
Ein wenig wehmütig blickte ich auf die vor sich hin brutzelnden Bratwürste. Eigentlich hatte ich mich auf eine leckere Currywurst mit einer Riesenportion Pommes und Mayonnaise gefreut, doch wenn Curry-Erwin eine seiner neuen Kreationen vorführen wollte, hatte mein profaner Geschmack zu schweigen. Hauptsache, es waren genügend Pommes Frites mit ordentlich Mayonnaise dabei ...
Ich musste eine ganze Weile auf mein Essen warten, doch ich wusste, dass Erwin mich nicht vergessen hatte. Inzwischen gelangten die Bauarbeiter bei ihrer fünften Flasche Bier an und die Stimmung an den zwei Nebentischen stieg. Als einer der Männer sich an einem Stück Wurst verschluckte und es gerade so eben schaffte, sich nicht zu übergeben, wusste ich, dass diese Leute aus echtem Schrot und Korn waren.
Endlich schob Curry-Erwin eine Pappschale vor mich hin. Wie bei allen seinen Gerichten verdeckte eine dicke Schicht Mayonnaise das eigentliche Essen. Ich wusste, dass sich unter dieser Schicht die Pommes Frites verbargen, doch was würde darunter folgen? Fragend sah ich Erwin an.
„Wohl bekomm’s mein Freund. Das ist ein altes traditionelles Thaigericht. Thai Hack Spezial. Na gut“, gab Erwin gutgelaunt zu, „ich habe es ein wenig abgewandelt, denn in Thailand besteht es aus Hundefleisch.“
Am Nebentisch vernahm ich wieder das bekannte Würgen. Neugierig blickte ich auf. Würde der Mann sich jetzt übergeben?
„Doch hier gibt es nur Schwein und Rind“, fügte Erwin laut hinzu und das Würgen ließ etwas nach. Er deutete auf die Spitze der kleinen Pommesgabel, die aus der Mayonnaise ragte. „Lass es dir schmecken, Jonathan. Du weißt, dass ich deinem fachlichen Urteil sehr vertraue!“
Ich fummelte das Gäbelchen hervor, musste aber meine Finger tief in die Mayonnaise tauchen. Suchend sah ich mich nach einer Serviette um, die aber fehlte. Dann stieß ich die Gabel durch die gelblich-weiße Substanz und hoffte, ein paar Pommes aufzuspießen. Enttäuscht zog ich schließlich die leere Gabel zurück.
Erwin befand sich wieder hinter seiner Theke und nach einem verstohlenen Blick schob ich die Mayonnaise mit den ohnehin schon fettigen Fingern zur Seite. Was darunter zum Vorschein kam, ließ mich auch ein paarmal würgen und ich hörte, wie der Mann am Nebentisch nun auch wieder diese Laute von sich gab. Vor mir lagen, von der Mayonnaise verklebt und verschmiert, eine Vielzahl von kleinen weißen Würmern. Die Bauarbeiter beobachteten mein Handeln genau und einer von ihnen hielt dem würgenden Kollegen eine halbvolle Schale vor den Mund.
„Erwin, was ist das?“ Ich deutete auf die Schale. „Sind das etwa Maden?“
Beim Wort ‚Maden‘ brach es aus dem Bauarbeiter hervor und halbverdaute Wurst mit Pommes und Soße landeten unter dem Tisch.
Erwin schüttelte den Kopf. „Die Sauerei macht ihr aber selber weg!“, herrschte er die Männer an, dann rief er mir zu: „Reis, Jonathan. Thailandreis. Noch eine Cola?“
Ich schüttelte den Kopf und schob den Reis vorsichtig zur Seite. Leider ließ es sich nicht verhindern, dass ein Teil des Mayonnaise - Reismatsches auf den Tisch floss. Jetzt kam eine Frikadelle zum Vorschein, die in einer roten Soße schwamm. Kleine Käsestückchen waren mit Zahnstochern auf dem Fleisch befestigt und weiße Mayonnaiseschlieren durchzogen die Soße. Ich entfernte die Käsestücke sorgfältig, pikste die Frikadelle auf und biss vorsichtig hinein. Das Fleisch war eiskalt und schmeckte wie einer der Billigfrikadellen aus dem Discounter.
„Ah, du bist zum Hack durchgedrungen.“ Curry-Erwin stand neben mir. Er musste sich lautlos angeschlichen haben. „Schmeckt es dir? Ein gelungenes Gericht, nicht wahr mein Freund?“
Ich nickte, während ich auf der Frikadelle herumkaute. Die Bauarbeiter waren mittlerweile dabei, die Sauerei unter dem Tisch aufzuwischen, verteilten das Erbrochene aber lediglich großflächig. Endlich konnte ich das kalte Fleisch herunterschlucken.
„Hervorragend Erwin“, log ich, denn meinen guten Freund wollte ich nicht enttäuschen. „Aber die Frikadelle ist eiskalt!“
„Hack, Jonathan. Thai - Hack. Das muss so sein.“ Er blickte auf den Reis und die Mayonnaise auf dem Tisch. „Da hast du aber wieder eine ordentliche Sauerei angerichtet“, tadelte er mich dann. „Wenn es dir schwerfällt mit einer Gabel zu essen, dann nimm ruhig die Finger. In Thailand machen das alle so.“
Ich warf einen Blick auf meine Uhr und mimte den Erschrockenen. „Oh verdammt, ich muss los ...“
Curry-Erwin nickte wissend. „Deine Termine lassen dir aber auch nicht das kleinste bisschen Zeit, in Ruhe zu essen. Und wie deine Finger aussehen.“ Er hob seine Schürze an und hielt sie mir hin. „Hier, da kannst du deine Hände abputzen ...“
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