Trotzki galt in diesem für Moskau etwas abgelegeneren Weltteil, trotz seiner Probleme im Vaterlande der Werktätigen bei vielen Mexikanern als eine Art Sturmvogel der bewaffneten Aktion, als das Markenzeichen für revolutionäre Erhebungen und hochfliegende Träume. Und, bemerkenswert genug, Mexiko befolgte strikt das Gebot aus einer eigenen, anderen, aber erfolgreichen nationalen Revolution, den Verfemten und Verfolgten ein Asyl zu bieten, gleich, was sie dachten und welcher Couleur. Deshalb hatte sich die Regierung und die sie tragende Partei mit der spanischen Republik identifiziert und ihr beigestanden, als diese in Not gekommen war; man sprach eine gemeinsame, die spanische Sprache, berief sich auf eine gemeinsame Kultur, war willens zu einem eigenen Weg. Hier also war Trotzki willkommen; er kam im Januar 1939 im Hafen von Tampico an. Es klingt wie ein Wunder, daß er die Zeit der Moskauer Prozesse überlebte und der Stalinschen Justiz entkommen konnte. Der Maler und Kommunist Diego Riviera nahm ihn vorübergehend in sein Haus auf, gewährte ihm Gastfreundschaft, und der Fürsprache des Malers verdankte es Trotzki auch, daß ihm Präsident Cárdenas Asyl gewährte. Aber der einst so mächtige Mann lebte in Mexiko in dauernder Furcht vor einem bezahlten Killer, einem Kominternagenten. Ständig hielt er sich eine schwer bewaffnete Schutztruppe. Grund genug zur Furcht hatte er; wenn auch Trotzki lebend entkommen war, seine Söhne fielen nacheinander der Rache Stalins zum Opfer.
In der Calle Vienna 45, in einem Vorort Coyoacán, fand der Flüchtling ein ihm zusagendes Quartier, er umgab das Haus mit dicken Mauern, baute es zu einer wahren Festung aus. In der Nacht vom 23. Mai 1940 drangen dennoch etwa zwanzig Mann in diese Burg ein, einer davon war der Glaubensstreiter der Komintern David Alfaro Siqueiros. Er feuerte eine Salve aus der Maschinenpistole auf den Emigranten ab, der sich in sein Schlafzimmer retten konnte, dieses Mal hatte Trotzki noch Glück. Er blieb unverletzt. Das Kommando wurde endlich von Trotzkis Wächtern zurückgeschlagen und flüchtete unter Mitnahme einer Geisel. Die terroristische Aktion löste erfolgreiche Nachforschungen aus; bei der Prominenz des einen wie des anderen Teils der am Attentat beteiligten, war es denn auch rasch klar, in welchem Winkel nachzusehen war. Bei der polizeilichen Untersuchung des Überfalles und einer Durchsuchung des Hauses Siqueiros wurde ein durch zwei Kopfschüsse getöteter Mann entdeckt, die mitgeschleppte Geisel; er hieß Sheldon und war Trotzkis Leibwächter. Wie Sheldon umkam, wurde nie geklärt; ob er als Geisel, als unliebsamer Zeuge des Mordkomplottes hingerichtet wurde, oder ob er bei dem Schießgefecht im Hause Trotzkis fiel, fand die Polizei nicht heraus.
Siqueiros, verhaftet, ein wenig verhört, mußte bald wieder freigelassen werden, weil ihm nichts nachgewiesen werden konnte. Der Überfall wurde auf das Konto politischer Kämpfe geschrieben, und an einen unsicheren förmlichen Prozeß war offenbar auch nicht zu denken gewesen. Einige Wochen darauf wurde Trotzki mit einem Eispickel erschlagen. Die Vorgeschichte und der Ablauf des Mordes liest sich wie ein Filmszenarium für Hollywoods Unterhaltungskino.
Die Kolportierung der Affäre führt uns nur scheinbar von der Paul Merker gewidmeten Darstellung ab: Der Trotzkimörder hieß Ramón Mercader del Rio, und der Greuelfilm beginnt in den Vereinigten Staaten von Amerika, in New York. Was Earl Browder, damals Chef der kommunistischen Partei Amerikas, veranlaßte den GPU Agenten Jack Stachel mit dem Auftrag zu betrauen, Ramón Mercader einer Person vorzustellen, die Zutritt zum befestigten Quartier Trotzkis besaß, läßt nicht automatisch den Schluß zu, der amerikanische Parteichef sei mit im Mordkomplott gewesen. Daß Trotzki irgendwie ausgeschaltet werden sollte, politisch mundtot gemacht, ist dagegen unstrittig. Hierzu war von der Zentrale in Moskau die Parole ausgegeben worden, Trotzki sei ein Verräter und Nazikollaborateur. Was aber war dann der wie eine Gottheit verehrte Generalissimus Stalin mit seinem frisch abgeschlossenen Deutschlandpakt? Solche Fragen stellte öffentlich niemand. An dem verlorenen Spanischen Bürgerkrieg trugen die Revolutionäre schwer, die aktiv an ihm teilgenommen hatten; sie suchten nach Schuldigen, ohne Gründen nachzufragen.
Der als unbedenklich und gefährliche geltende Jack Stachel besaß alle notwendigen Verbindungen, um den Auftrag, der ihm gestellt worden war, Mercader in das Haus Trotzkis einzuführen, zu erfüllen. Mercader war ein politisch unbeschriebenes Blatt, ein Neutrum, aber Mercader war jung und sah gut aussah. Da lag es nahe, nach einer Frau zu suchen, die zu Trotzki in irgendeiner Beziehung stand. Stachel fand die gewünschte Person in der Komintern Funktionärin Ruby Weil, einer Journalistin bei der amerikanischen kommunistischen Presse. Die Weil kannte wiederum eine, die dem Trotzki ziemlich nahe kommen durfte, eine Schwester der Sekretärin Trotzkis, Sylvia Agelof. Diese Fäden wurden langfristig noch in Europa geknüpft, in der letzten Phase des Spanischen Bürgerkrieges, und alle darin verwickelten waren sozusagen ständig unterwegs. Siqueiros mietete eine Wohnung in Paris an, die den Verschwörern als Treff diente. Der Agelof gegenüber nannte sich Mercader Frank Jackson und gab sich als Kaufmann in Ex- und Import aus. Zwischen beiden entspann sich rasch eine lebhafte intime Beziehung. Man traf sich in den USA, man traf sich in Mexiko. Sylvia nahm gern und ahnungslos an den Geschäftsreisen ihres mit Geld üppig versehenen Geliebten teil, und sie besuchte sporadisch ihre Schwester in der Calle Viena, Trotzkis Sekretärin, bis so etwas wie eine Gewohnheit aus ihren harmlosen Familienbesuchen geworden war. Diese Story liest sich in ihrer Folgerichtigkeit vielleicht haarsträubend. Trotzki, der doch einiges für seine Sicherheit aufbot, und der sehr wohl wußte, daß er zu den am meisten gefährdeten Gegnern Stalins gehörte, ahnte von dem Komplott, welches sich gegen seine Person anspann, nichts. Noch hatte Mercader das Haus Trotzkis nicht betreten; er wartete stets geduldig am Tor, bis seine Geliebte ihren Geschwisterbesuch beendigt hatte und wieder herauskam. Die Wächter Trotzkis gewöhnten sich an die Existenz dieses jungen Menschen, eines diskreten Kaufmannes, der politisch völlig uninteressiert war. Wahrscheinlich hätte Mercader das befestigte Haus Trotzkis zusammen mit seiner Geliebten nun sogar betreten dürfen, falls er es gewollt hätte. Aber er blieb bei seinem umsichtig aufgebauten Plan und wartete auf den absolut sicheren Moment, wo er es mit Trotzki allein zu tun hatte. Verdacht fiel auch dann nicht auf ihn, als die Schwester der Agelof warnend davon unterrichtet wurde, daß Stachel und eine zweiter Spezialagent in Marsch gesetzt worden seien, daß sich irgendwas Gefährliches tat, und daß sich zu allem entschlossene Leute bereits in Mexiko aufhalten würden. Die Sicherungen wurden nicht verschärft, die Kontrollen nicht ernster als sonst genommen. Das Drama endete mit dem heimtückischen Mord am 20. August 1940. (Mit eingeschlagenem Schädel und obwohl ihm das Blut die Augen verklebt, stürzt sich Trotzki auf ihn und beißt mit aller Kraft in die Hand, die ihn getroffen hat. Die bewaffneten Sekretäre laufen herbei und stellen Mercader, der entsetzt von dem ist, was sich für ihn als eine Art Unverwundbarkeit darstellen muss: Der alte Kämpfer und Bolschewik hält sich noch aufrecht, presst sich ein Taschentuch auf die klaffende Wunde, um die Blutung zu stillen, und von seiner Frau unterstützt, bewahrt er so viel Ruhe, daß er ihnen den Tathergang schildern und sich auf Englisch mit dem Rat an Charles Cornell wenden kann, »Jackson« nicht zu töten. »Wir müssen ihn zum Reden bringen, wir müssen erfahren, wer er wirklich ist...« Dann beruhigt er Natalia Sedowa mit der Versicherung, daß es ihm schon besser gehe. Doch wieder auf Englisch, damit seine Frau ihn nicht versteht, vertraut er Cornell leise an: »Ich fühle, daß es wirklich zu Ende geht. Diesmal haben sie es geschafft...« Noch immer bei vollem Bewusstsein, wird er ins Krankenhaus gebracht. Er stirbt am darauffolgenden Tag, nachdem er sich vergeblich bemüht hat, etwas mitzuteilen, was durch seine fortschreitende Lähmung nicht mehr zu verstehen ist. Zitiert nach: Pino Cacucci. Tina. Das abenteuerliche Leben der Tina Modotti. Diogenes. Zürich. 1995 Seite 291).
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