Zudem: Im Juni 1942 war Merker angekommen. Die Sowjetunion befand sich in der schwersten Phase des Krieges, und die Komintern war am Reisen gehindert und nur eingeschränkt handlungsfähig. (Der Kriegsbeginn datiert auf den 22. Juni 1941. In den Monat Juni 1942 fällt der Beginn einer Offensive im Südabschnitt an der deutsch-sowjetischen Front, der Vorstoß in die sowjetischen Erdölgebiete, der Wolga und dem Kaukasus.)
Es gab sie faktisch nicht mehr. Im Namen der Komintern handeln aber durften die wichtigsten Führer der kommunistischen Bewegungen der westlichen Hemisphäre: Earl Browder für die Vereinigten Staaten von Amerika, Lafferte für Chile und Blas Roca für Kuba. Sich ihrer Zustimmung zu seiner Bewegung zu versichern, gelang der Beredsamkeit Merkers und seinen logischen Schlußfolgerungen offenbar auf Anhieb. Und sicherlich hatten noch andere Leute ihre Sonderentwürfe im Kopf, nicht eben das »los von Moskau,« aber die politische Selbständigkeit ihrer nationalen kommunistischen Bewegungen, etwas anderes als »Sozialfaschismus«.
Da trat ein Mann an Merkers Seite; der Präsident der »German American Emergency Conference«, einer wichtigen Organisation von Deutschamerikanern, Hitlergegner. Nun hatte dieser Präsident der »Notfallkonferenz« Doktor Rosenfeld einen Geburtsfehler, er litt an »Sozialdemokratismus«. Rosenfeld, Mitbegründer der SAP, »Sozialistische Arbeiterpartei«, war inzwischen längst naturalisierter Amerikaner und ohne eine entschiedene Parteibindung. Er brachte eine zwar zahlenmäßig nicht sehr starke Anhängerschaft mit in die Ehe, falls man sich überhaupt so nahe kam, aber Leute mit Umfeld. Offenbar stand für Paul Merker in dieser Periode die Sammlung aller möglichen Kräfte im Vordergrund. Nicht nur für ihn; nach 1945 schlug sich diese strategische Überlegung in der östlichen Blockbildung nieder, eine in der politischen Wirkung gar nicht hoch genug einzuschätzende, wenn auch vorübergehende Einrichtung, entband sie doch die Einheitspartei von einem kräftezehrenden Kampf mit bürgerlichen Gruppierungen, da sie diese unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Gelang es Merker zwar bei den peripheren Personen und Organisationen Hinterhalt zu finden, so scheiterte er an einem anderen Repräsentanten der Exilpolitik, den er übrigens aus der französischen Phase des Exils kannte oder kennen mußte.
Gerhart Eisler residierte als Leiter der KPD für die nordamerikanischen Exilanten in den USA, und er lehnte die Idee einer interamerikanischen eigenständigen Bewegung ab, die Merker vorschlug. Gegen die Person Heinrich Manns als Kopf der neuen Gruppierung, den sich Merker, der Heinrich Mann hoch verehrte, vorstellte, wie er sich umgekehrt der Wertschätzung des Schriftstellers erfreute, dürfte Eisler vielleicht weniger Vorbehalte gehabt haben, als gegen die Vorstellung Merkers selber. Die Gründe seiner Ablehnung erscheinen von heute aus besehen als durchaus logisch; eine deutsche Emigrantenorganisation quer über Amerika hinweg, und zwar mit einem mexikanischen Zentrum und einem dort erscheinenden Zentralorgan, kurz, einer eigenständigen Organisation mit Leitungsstrukturen, Delegierten und Konferenzen, das hielt Eisler für technisch nicht machbar, nicht unter Kriegsbedingungen. Soweit die formellen Einwände. Aber natürlich sah Eisler dahinter auch den politischen Konflikt mit Moskau heraufziehen, hielt es jedoch anscheinend für überflüssig, Merker darauf hinzuweisen. Daß dieser genügend Internkenntnisse besaß, um die Folgen seiner Gründung zu überblicken, konnte Eisler wohl voraussetzen. Das revolutionäre Zentrum der Welt lag für Eisler nach wie vor in Moskau. Ganz unwahrscheinlich ist es auch nicht, daß Merker den Feldzug der Deutschen Wehrmacht für beinahe abgeschlossen, und die UdSSR für besiegt hielt und vor der Kapitulation; in diesem Falle mußte sich der Schwerpunkt des Kampfes gegen Hitlerdeutschland in den westlichen Teil der Welt verlagern. Wie auch immer, zweifellos war die militärische Situation für die Sowjetunion außerordentlich kritisch, und ein kommunistisches Gegenzentrum zu Moskau mit einem variableren Bündnischarakter für einen Kominternkritiker immerhin erwägenswert. Daß sich Merker in einem unausgetragenen Konflikt mit der Komintern befand, beweist sich selbst aus dem Fortgang seiner Sache.
Moskau hegte gleich aus mehreren Gründen aktuell nur noch wenig Sympathie für Mexiko. Seit 1918 gab es eine Mexikanische Kommunistische Partei; ihrem Exekutivkomitee gehörten sehr bekannte und einflußreiche Leute an, die Maler Siqueiros, Diego Rivera und Xavier Guerrero. Siqueiros hatte als Offizier mit der Waffe unter Carranza einst für die mexikanische Revolution gekämpft, er war ein Hitzkopf und in der Wahl seiner Mittel wenig bedenklich. Alle drei Exekutivfunktionäre erfreuten sich nicht nur in Mexiko eines hohen Ansehens; sie besaßen Weltgeltung, auch wenn beispielsweise von Guerrero heute kaum noch jemand etwas außerhalb Mexikos wissen dürfte, und sie waren darin einig, daß den Direktiven der Komintern unbedingt zu gehorchen sei. Für Diego änderte sich diese Liebe zur Sowjetunion nach seiner Bekanntschaft mit den Kunstpraktiken in Moskau, der Weltmetropole des Kommunismus, als er 1927 ein Gebäude der Roten Armee mit einem Bild schmücken sollte. Lunartscharski, als Kunstkommissar mit einem weiten Herzen ausgestattet, hatte Diego eingeladen und mit einem Wandbild beauftragt. Es kam, wie es kommen mußte; der kühne Stil des Mexikaners, die Mexikanität , mißfiel den Kunstdoktrinären, und das selbstbewußte, herrische Auftreten des Mannes Diego mißfiel ihnen noch mehr. So verließ der Maler das kommunistische El Dorado, mit einer Enttäuschung und tiefen Zweifeln im Herzen. Xavier Guerrero blieb zwar bei der Stange der Komintern, hörte dafür aber auf zu malen. Es erscheinen noch einige andere Namen auf der mexikanischen Bühne des Kommunismus, etwa Vidali, von dem noch zu reden sein wird. Als 1924 die theoretische Auseinandersetzung Trotzkis mit Stalin ihren Gipfel in der Frage erreichte, wie weiter mit der Weltrevolution, wobei Trotzki bekanntlich den Standpunkt verfochten hat, die Revolution dauere sozusagen ewig, existiere in Permanenz, sank der Stern des allgewaltigen Kriegskommissars sehr rasch; 1925 verlor er sein Amt, 1926 wurde er aus dem Politbüro, wenig später aus der Partei ausgeschlossen. Vorläufig war Trotzki bloß kaltgestellt. Nun trafen verschiedene Entwicklungen zusammen; sie seien kurz dargestellt, um zu erklären, weshalb Mexiko ein kritischer Posten in der Rechnung zu werden drohte.
In Nicaragua führte Sandino seine Peones und Indios in den Buschkrieg, hatte aber für diese Revolution nicht die Unterstützung der Internationale bekommen können. Kein Guerillakrieg in Lateinamerika, nicht jetzt, lautete die Stellungnahme der Komintern. Indessen war der Krieg schon in vollem Gange, und für die warmblütigen Rebellen Südamerikas gab es keinen ersichtlichen Grund, ihren Kampf einzustellen. Nur, Moskau hatte sich klug herausgehalten; der Aufstand Sandinos in Nicaragua brach schneller als gedacht zusammen, Sandino fiel im Kampf und wurde zum Mythos. Moskau hatte die Lage zutreffender analysiert, als die Pistoleros Lateinamerikas; eine revolutionäre Situation existierte in Nicaragua nicht, nicht einmal eine breitere Aktionsebene für die kommunistische Bewegung. Daß es unter den Landarmen und Agrarproleten, die in furchtbaren sozialen Verhältnissen lebten, gärte, war nichts Neues; daß sie leicht mit einem Gewehr in den Dschungel geschickt werden konnten, lag an ihrem Temperament, an ihrem Stolz und an ihrer Todesverachtung, und an dem Mangel an Übersicht in die politische Gesamtlage. Es existierten noch nicht einmal überall Parteien und Strukturen, auf denen aufzubauen gewesen wäre. Südamerika ging anders mit der Revolution um, als die Komintern empfahl. Genug, im Juni 1930 ging die Partei auf Kominternkurs. »El Machete«, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei in Mexiko, bezeichnete den Aufstand Sandinos als Verrat. Woran? An der Weltrevolution, an der kommunistischen Sache.
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