Helmut H. Schulz - Der Springer

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Schauplatz dieses literarisch anspruchsvollen Romans von Helmut H. Schulz sind die Bohrstellen der DDR Ende der Sechzigerjahre. Ingenieur Gnievotta, Leiter einer Tiefbohranlage, arbeitet in seinem Kollektiv an einer bedeutenden technischen Verbesserung. Seine Berufung zu verantwortungsvollen Aufgaben isoliert ihn jedoch allmählich von seiner bisher gewohnten Arbeits- und Lebensweise.
Aus kritischer Distanz entwirft der Autor das Bild eines gar nicht so außergewöhnlichen Mannes, spürt er den Beweggründen nach, die diesen plötzlich zu großen Leistungen befähigen, ihn und seine Umwelt aber auch nicht vor tief greifenden Auseinandersetzungen mit fragwürdigen Lebensgewohnheiten in unserer Gesellschaft bewahren.
Leipziger Volkszeitung

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Helmut H. Schulz

Der Springer

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Inhaltsverzeichnis Titel Helmut H Schulz Der Springer Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Helmut H. Schulz Der Springer Dieses ebook wurde erstellt bei

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Von Helmut H. Schulz bei uns als eBook erschienen

Impressum neobooks

Erstes Kapitel

Jäger wollten ihn beobachtet haben. Er lenkte, so berichteten sie, seinen Wagen auf das Feld, stieg aber nicht sofort aus. Des Herbstnebels wegen wären sie, die Jäger, nicht zum Schuss gekommen, obschon ihre Hunde genügend Wild aufgespürt hätten. Wie ein Bauer oder Arbeiter habe der Fremde nicht ausgesehen, eher wie ein Angestellter in Stadtanzug und Krawatte. Zwar habe der Nebel alles grau gefärbt, das Bruch sei an diesem Tage wie der Ton einer Oboe gewesen, dumpf und klagend, dennoch habe sich der Fremde gut erkennen lassen. Barhäuptig lief er ein paar Schritte geradeaus und geriet, wie sie annahmen, in eines der Wasserlöcher. So habe sich seine Unkenntnis des Bruches erwiesen. Kurz darauf ging der Fremde zurück zum Wagen, und es geschah etwas Merkwürdiges. Er begann sich umzuziehen. Stück für Stück seines Stadtanzuges legte er ab, stand schließlich nur noch in Hemd und Unterhosen da. Aus seinem Wagen, einer Kombi-Limousine, habe er, wie sie mit dem Glas beobachtet hätten, Cordhosen und eine Strickjacke geholt, auch Gummistiefel. Zuletzt habe er einen langen Schafpelz angezogen und eine lederne Mütze aufgesetzt, eine Mütze von eigenartiger Form, wie sie früher vielleicht von Bergleuten getragen worden sei, wenn sie auch nicht wüssten, welche besonderen Mützen Bergleute tragen würden. Für einen Pelz sei es längst nicht kalt genug gewesen. Die Verwandlung des Fremden von einem Angestellten in einen Bauern oder Arbeiter vor ihren Augen, das sei ihnen doch seltsam vorgekommen.

Wie jemand, der einen Acker oder einen Schlag Wald in Besitz nimmt, sei der Fremde später hin und her gegangen, mit beiden Händen habe er Linien in den Nebel gezeichnet, so als arbeite er an einem Entwurf für die Veränderung des Bruches. Noch später habe der Fremde mit einem Handbeil Holz geschlagen und nicht ohne Mühe ein Feuer entfacht, durchaus sachgerecht, aus Zeitungspapier und trockener Birkenrinde. Erst habe das Feuer mehr gequalmt als gebrannt, bei der Nässe des Holzes nur zu begreiflich. Schließlich aber standen die Flammen orangerot in dem Grau, eine schrill klingende Flöte. Vor dem Feuer habe sich der Fremde niedergehockt, so die Jäger, um in Papieren zu blättern und darin zu schreiben. Das würde ihnen den Gedanken nahegelegt haben, er sei ein Feldvermesser. Mehrere Stunden lang hätten sie das Treiben des Fremden im Bruch beobachtet. Ohne das Feuer zu löschen, sei er wieder weggefahren.

Auf dem Rückweg ins Dorf hätten sie dann den Wagen vor dem Krug gesehen, dem Anschein nach ein neues Auto, aber schon mit Rostflecken, und tatsächlich habe der Fremde auch in der Gaststube am Tisch gesessen und zerstreut gegessen. Den Fremden schätzten sie zwischen vierzig und fünfzig, eher an fünfzig. Sein Haar sei schon grau gewesen. An seinen Händen wollten sie erkannt haben, dass er früher schwere Arbeit verrichtet habe. Wie Kupfer sei ihnen die Haut seines Gesichtes erschienen, die Wangen seien eingefallen und die Kinnpartie fest gewesen. Auch die Farbe seiner Augen sei ihnen aufgefallen, getriebenes Silber, so hell. Kurz gesagt, habe die Erscheinung des Fremden einen starken Eindruck hinterlassen, obschon keiner von ihnen mit ihm zu tun haben wollte, zumindest nicht im Bösen.

Den Wirt habe er nach der Größe des Dorfes, nach Fahrverbindungen und dergleichen gefragt, alles sehr laut, nach der Art von Freiluftarbeitern, und kurz angebunden. Seine Stimme habe geklungen wie Steine, die eine Halde herabrollen, genau so habe seine Stimme geklungen. Nach dem Essen und dem Gerede habe er Münzen aus einer abgegriffenen Geldbörse auf den Tisch gelegt. Zuletzt sei er weggefahren. Niemand habe etwas mit dem Fremden anzufangen gewusst.

Für Wochen hätte das Bruch dann wieder ihnen gehört, bis die Zeit der Treibjagden begonnen hätte. Nur der Jäger kenne dieses Gefühl des Gespannt seins, die Büchse halb im Anschlag, den Treibern folgend. Sicher gäbe es hunderte Arten von Spannung, aber den raschen Wechsel von Erfolg und Enttäuschung böte nur die Jagd.

Um diese Zeit sei der Fremde wieder aufgetaucht. Sie, die Jäger, hätten von der Forstverwaltung den Auftrag bekommen, eine ziemlich große Fläche freizuschlagen, gegen Lohn, den der Fremde gezahlt habe. Ihnen seien Hauarbeiter gefolgt, die Lagerräume und ein Maschinenhaus errichtet hätten. Abschließend sei mit den Wohnwagen dieses stählerne Ungetüm auf das Feld gestellt worden. In rollender Schicht hätten nun Maschinen gedröhnt. Mit der Jagd in ihrem Bruch sei es aus und vorbei gewesen.

Flüchtig hätten sie den Fremden später auch kennengelernt, einen grauhaarigen Fünfziger, ohne Spur von Humor oder Gemütlichkeit, ein Nichttrinker und Nichtraucher, scharf wie rostiges Eisen. Dieser Fremde scheine viele Wandlungen durchgemacht zu haben und doch immer derselbe geblieben zu sein.

Das gebe es. Auch der Jäger verändere sich oft. Zu Anfang würde er, vom Jagdfieber gepackt, ungenau schießen, Fehler machen. Dann würde er ruhiger werden. Ganz alte und erfahrene Jäger behielten sogar einen Schuss im Lauf, wenn sie irgendwas störe, das Verhalten des Wildes, das Wetter, das Licht. Solche Jäger verachteten unberechneten Erfolg, Geduld zeichne sie aus. Ein zutreffendes Urteil über den Fremden könnten sie, die Jäger, aber nicht abgeben, obwohl sie die Neugier plage, wer dieser Fremde nun eigentlich gewesen sei. Er reise seit vielen Jahren, stelle Bohrtürme auf, greife in den Schoß der Erde; mehr wüssten sie im Grunde genommen auch heute nicht von diesem Gnievotta ...

Die ihn kannten, beurteilten ihn meistens falsch. Er galt manchem als Draufgänger, riskierte mitunter viel, ungern, wie Katja, seine Frau, glaubte, er war kein Spider, nichts weniger als ein Spieler. Allerdings suchte er nach Gelegenheiten, Freunde zu gewinnen, und sei es am Spieltisch; jedoch rührte er wiederum wochenlang keine Karten an, setzte sich an kein Schachbrett, vergaß Würfel und Becher. Zugegeben, er trank, wenn es sich ergab. Eigentlich brauchte er keinen Anlass. Dennoch war er kein Trinker.

In der wärmeren Jahreszeit trug er stets das gleiche Zeug, buntgemustertes Hemd und erdbraune Cordhosen, eine abgetragene Anzugjacke, Gummizeug bei Regen und den weißen Helm, Vorschrift und Gewohnheit. Kam die Zeit niedriger Temperaturen, zog er eine Strickjacke unter das alte Jackett, in dessen oberer, für ein weißes Tuch bestimmter Tasche Zigaretten steckten. Dann trug er auch Filzstiefel. Er roch nach Schweiß, nach Tabak und Öl, den wilden unbestimmbaren Geruch mobiler Städte brachte er mit.

Urteile gab es viele über ihn, aber Katja war sicher, dass sie allesamt nicht zutrafen. Sie besaß Bilder von Gnievotta, Bilder, die sie leicht hervorrufen konnte: Gnievotta im Rund der Wagenstadt, Griff zur oberen Tasche nach Zigaretten und Lunte, Schnipsen mit dem Zeigefinger gegen die Schachtel, Aufflammen des Feuerzeuges. Gnievotta zur Baustelle gehend, rauchend, die Hände in den Taschen der Cordhose. Gnievotta bei gewöhnlichen Verrichtungen, die Art, wie er trinkt, Schnaps mit einem Ruck, Bier in langen Schlucken, die Art, wie er ein Buch aufschlägt, bedächtig, mit einem komisch anmutenden feierlichen Respekt für Gedrucktes, wie er die Lesebrille aufsetzt, die Bügel erst auf das eine, dann auf das andere Ohr schiebt, wie er Karten mischt, schnell und geübt, wie er Schachfiguren rückt, zögernd, seines Zuges nicht sicher.

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