1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 Baumes. Die Strukturen waren groß und dennoch zierlich, man konnte Wände
und Treppen ausmachen, die sich in den einzelnen Baumkronen und sogar
zwischen ihnen erstreckten. Kleine Balkone sprangen zwischen den Zweigen
hervor und bildeten Plattformen, die einen unvergleichlichen Ausblick boten.
Die Balkone, Treppen und Wege wurden von Geländern eingefasst, deren
Streben und Stützen sorgsam gedreht und verziert waren und deren Handläufe
derart fein gearbeitet und zudem im Verlauf unendlicher Jahre abgegriffen
waren, dass sie wie poliertes Steinholz wirkten. Die hölzernen Stege
bestanden aus verschiedensten Hölzern, die zu abwechslungsreichen Mustern
kombiniert waren. Zahlreiche Fenster waren aus der Nähe zu erkennen, mit
doppelten Flügeln und fein gefertigten Rahmen. Nur selten war Metall zu
sehen, und warme Farben beherrschten das Bild.
Das Volk der Elfen lebte im Einklang mit der Natur; es nutzte ihre
Schönheit, ohne sie zu schädigen, und die Natur schien sich dafür bei den
Elfen mit ihrer üppigen Vielfalt revanchieren zu wollen. Zu den Grüntönen
der Nadeln und Blätter gesellten sich lange Ranken und Lianen, die
verschlungene Muster zu bilden schienen, und das Grün setzte sich in dem
Moos und Gras auf dem Boden fort. Pilze und Blumen boten eine prachtvolle
Farbenvielfalt, angereichert durch summende Insekten und andere Tiere des
Waldes.
Die Tiere schienen ebenso wenig Scheu vor dem elfischen Volk zu
empfinden, wie die sie umgebende Natur, in der sie alle lebten. Es war, als
wüssten die Tiere, dass die Elfen ihnen nur deshalb Leid zufügten, damit sie
selbst überleben konnten. Fleisch gehörte zum Lebensunterhalt des elfischen
Volkes, doch machte es nur einen geringen Bestandteil aus, denn die
Pflanzenwelt und die nahe Küste boten genug Nahrung.
Die Elfen lebten in großen Gemeinschaften, die sie als Häuser
bezeichneten. Neben den Häusern des Waldes gab es die der See, die sich an
der Küste befanden. Jedes der Häuser beherbergte viele Angehörige des
Volkes und hatte ein eigenes Symbol.
Die Lilie war das Symbol des Hauses Elodarions, eines der ältesten
Elfenhäuser. Es war älter als die Bäume, die es beherbergten, und älter als die
Geschlechter der Menschen.
Der Elfenmann, der langsam über das Gras zwischen den Bäumen schritt,
war groß und schlank und äußerlich in den besten Jahren. Seine Gesichtszüge
waren glatt, und nur die Augen gaben einen Eindruck von der Weisheit, die er
in vielen Jahrtausenden erlangt hatte. Das Haar des Mannes war weißblond
und lang, wie es für Elfen typisch war, und die Haare fielen weit über den
Rücken, obwohl sie im Nacken von einer schimmernden Spange
zusammengehalten wurden. Die Spange hatte die Form einer Lilie, und auch
der schmale Stirnreif des Mannes wies dieses Zeichen auf. Der Elf war
barfüßig; er hatte seine Schuhe abgelegt, um das Gras an seinen Zehen spüren
zu können. Das seidig schimmernde, geschmeidige Gewand, das er trug,
schien seinen Körper zu umfließen, und seine Schultern waren von dem
typischen zartblauen Umhang der Elfen bedeckt.
Elodarion plagten sorgenvolle Gedanken, obwohl er sich eigentlich
glücklich schätzen konnte. Vor fünfhundert Jahren hatte seine Frau Eolyn
zwei Kindern das Leben geschenkt, eine ungewöhnliche Gnade für das
geburtenarme Volk, unter dessen Obhut die beiden Geschwister Lotaras und
Leoryn herangewachsen waren. Vor Jahren waren die beiden erstmals in
Kontakt mit menschlichen Wesen gekommen, und Elodarion hatte befürchtet,
dass ihr Wesen dadurch Schaden nehmen könnte, denn die Menschen
verweilten so schrecklich kurz auf der Erde, dass ihnen die Abgeklärtheit des
elfischen Volkes fehlte. Zudem waren die Geschwister dem Volk der
Pferdelords begegnet, dem für Elodarions Empfinden die ohnehin
raubeinigeren Menschenwesen angehörten. Als sei dies nicht genug gewesen,
waren seine zarten Kinder auch noch mitten in den Kampf zwischen dem
Menschenvolk und den Horden der Orks geraten.
Elodarion hatte sie ursprünglich als besondere Geste der Achtung an den
Hof des Königs der Menschenwesen schicken wollen. Der König hätte die
Bedeutung dieser Geste zu schätzen gewusst. Doch stattdessen hatten die
beiden Jugendlichen gegen Orks und Graue Zauberer kämpfen müssen, und
so waren ihnen statt sinnlicher Schönheit Blut und Tod begegnet. Aber sie
hatten sich gut bewährt und keinen dauerhaften Schaden genommen. Wenn
man von einer gewissen Zuneigung absah, die sie seitdem gegenüber dem
Volk der Pferdelords empfanden.
Elodarion wollte seinen Fuß gerade wieder auf das frische Gras senken, als
er einen dicken Käfer unter seine Sohle huschen sah. Er hielt inne und setzte
das Insekt behutsam auf eine freie Fläche.
Der Kontakt zu den Menschen war gefährlich, auch wenn man den
Menschenwesen im Kampf gegen die Legionen des Schwarzen Lords hatte
beistehen müssen. Aber wer wirkliche Zuneigung zu den Menschen fasste,
der musste auf leidvolle Weise erfahren, wie vergänglich menschliches Leben
war. Elodarion hätte seinen Kindern diese Erfahrung lieber erspart, aber das
Schicksal hatte es anders bestimmt.
Der Wald war erfüllt vom Summen der Insekten und den Rufen der Tiere,
aber von den fast eintausend Elfen, welche das Haus Elodarions umfasste,
war kaum ein Laut zu hören. Einige der Männer hielten als Späher Wache an
den Grenzen, andere waren auf der Jagd. Die meisten der elfischen Wesen
gingen jedoch schweigend ihren täglichen Verrichtungen nach: der
Zubereitung der Mahlzeiten und der Wäsche ihrer Kleidung, der
Ausbesserung ihres Heims und dem Studium der Natur. Die Meditation war
ein fester Bestandteil des elfischen Lebens und bereitete sie auf die Zeit der
Schröpfung vor, in der die unsterblichen Elfenwesen die Last der
angesammelten Erinnerungen von sich nahmen, indem sie diese zu Papier
brachten und dann vergaßen. Doch trotz ihrer stillen Art waren sie kein
ungeselliges Volk. Jeder besondere Anlass wurde gerne aufgegriffen, um sich
zusammenzufinden und neue Kompositionen oder Gedichte vorzutragen, zu
tanzen und zu lachen.
Elodarion vernahm einen tremolierenden Pfiff aus den Tiefen des Waldes.
Es war ein harmonischer Dreiklang, der aus drei Kehlen zu ertönen schien
und typisch für die Elfen war. Kein anderes Wesen vermochte diesen Klang
nachzuahmen, dessen Einzeltöne jeder Elf verschieden modulieren konnte.
Jedes der elfischen Häuser hatte einen eigenen Dreiklang, und Elodarion
erkannte sofort, das dieser Pfiff von seinem Sohn Lotaras stammte.
Wenig später sah er Lotaras zwischen den Bäumen hervortreten. Der junge
Elf hatte ein erlegtes Geweihtier über die Schultern gelegt. Er war ein guter
Bogenschütze, einer der besten des elfischen Volkes, das sich ohnehin auf
diese Fertigkeit verstand. Lotaras erkannte seinen Vater und winkte ihm mit
einer Hand zu. Er trat mit einer Leichtigkeit heran, die nicht verriet, welches
Gewicht auf seinen Schultern lastete.
»Es ging rasch, und er hat nicht gelitten«, sagte Lotaras lächelnd. »Ich
habe bereits seine unsterbliche Seele um Vergebung gebeten, so wird er heute
Abend unseren Tisch bereichern können.«
Elodarion seufzte leise. »Du solltest auch deine Mutter um Vergebung
bitten.« Als Lotaras fragend die Stirn runzelte, wies sein Vater auf das erlegte
Wild. »Das Blut tropft auf dein Gewand.«
»Oh.« Verlegen zog Lotaras den blauen Umhang enger um sich.
Elfische Umhänge waren etwas Besonderes. In begrenztem Umfang
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