Die skizzierten Punkte verdeutlichen, dass es in der Perspektive nicht um die Entwicklung des Außendienstes geht, sondern dass die grundsätzliche Kommunikations- und Interaktions-Strategie der Pharma-Industrie überdacht und neu ausgerichtet werden muss.
1.16 Trendscouting Pharma-Außendienst: Nur Pharma-Berater mit Zusatzqualifikationen haben eine Zukunftschance
Im Führungsmanagement pharmazeutischer Unternehmen ist das Szenario einer Marketingarbeit mit deutlich verringerter oder vollständig ohne Außendienstkapazität kein Tabu mehr. Das verwundert nicht, denn Untersuchungen zeigen, dass der Präparate-Besprechungsanteil am Gesamt-Gespräch über Alt-Produkte bei etablierten, langjährig bekannten Mitarbeitern durchschnittlich nur bei 51,7% liegt. Die übrige Gesprächszeit entfällt auf die Erörterung gesundheitspolitischer Themen, Unterhaltungen über die aktuelle Situation der besuchten Praxis und Allgemeines (“Small Talk”). Die durch die Gespräche ausgelöste Handlungsrelevanz in Bezug auf den Präparate-Einsatz wird von lediglich 29% der Ärzte als “aktivierend”, von 57% als “ohne Konsequenz” und von 14% als “deaktivierend” bezeichnet. Hinzu kommt: der Außendienst ist bei Allgemeinärzten, Praktikern und Hausärztlichen Internisten im Bereich „Information“ fast vollständig ersetzbar. Stärkste „Konkurrenten“ der Mitarbeiter sind die Internetauftritte ihrer eigenen Firmen. Im Aktionsbereich „Service“ führt aus Arztsicht lediglich bei Fortbildungen kein Weg an Außendienstmitarbeitern vorbei. Insgesamt ist die durch den Vertrieb erzeugte Customer Experience sehr niedrig, denn Pharma-Referenten erfüllen durchschnittlich nur 56% der Kundenanforderungen.
Damit stehen – vor allem für länger eingeführte Präparate – Kosten und Nutzen der Moments Of Truth des Außendienstes, die nur wenige Minuten pro Jahr ausmachen, in einem eklatanten Missverhältnis zueinander. Personalleiter und Managementverantwortliche gehen deshalb davon aus, dass mindestens ein Drittel der Außendienstkapazität abgebaut werden wird, da ein dauerhaftes Breitenmarketing über den Vertrieb nicht sinnvoll ist. Gelingt es den Outsourcing-Partnern der Industrie, die Qualität ihrer Leistungen noch besser zu belegen, wird die Reduktionsquote sogar wesentlich höher sein. Auch der Trend zur Unikats-Information unterstützt diese Reduktionsentwicklung: Ärzte möchten in zunehmendem Maß keine Informationen mehr, die ihnen zu unpassenden Terminen vermittelt werden und auf deren Art und Umfang sie keinen Einfluss haben. Gefragt sind Informationsoptionen, die zu arztbestimmten Zeiten individuelle Antworten liefern (z. B: Experten-Chats). Überdies beginnen immer mehr Marketingverantwortliche, ihre Arbeit konzentriert auf Key Opinion Leaders (KOL) und kleine, gewinnbringende Teilzielgruppen auszurichten.
Bislang antizipieren nur wenige Mitarbeiter im Außendienst diese Tendenzen. So liegen die privaten Ausgaben für persönliche Fortbildung lediglich bei durchschnittlich € 85,– pro Jahr. Grundsätzlich verlässt man sich auf die Ausbildungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die jedoch hauptsächlich auf eine Intensivierung des Produktwissens und eine Verbesserung der Verkaufsfähigkeiten ausgerichtet sind. Regionale Markt- und Kundenforschung, Customer Experience Management, regionale Kooperationsförderung und B2B-Arbeitskonzepte, aber auch patientenorientierte Ansätze und Social Media-Aktivitäten zählen nicht hierzu. Diese neuen Aktionsfelder bieten aber nicht nur Firmen eine Möglichkeit, einen nachhaltigen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen, sondern bieten vor allem Außendienstmitarbeitern die Chance einer – relativen – Zukunftssicherheit.
1.17 Pharma-Trendscouting: Außendienst-Microsites als Kontaktmultiplikatoren
Pharma-Referenten beklagen, dass es immer schwieriger wird, bei ihren Zielgruppen-Ärzten Termine zu bekommen und dass die ihnen zugebilligte Gesprächszeit sich ebenfalls zunehmend verkürzt. Einen Ausweg bietet ein Ansatz, der in anderen Branchen (z. B. Versicherungen) bereits erfolgreich eingesetzt wird: die Kommunikationsverstärkung durch Microsites. Das sind eigenständige, von einem Haupt-Internetauftritt unabhängige, aber inhaltlich verbundene Homepages. Entwickelt werden persönliche Mitarbeiter-Homepages, über die die Berater mit den von ihnen betreuten Ärzte kommunizieren. Und in der Tat fehlt dieses Bindeglied bislang in den Vertriebskonzeptionen. Die Microsite übernimmt die Brückenfunktion zwischen der von Ärzten als anonym empfundenen Unternehmens-Homepage und dem persönlichen Kontakt. Ziel ist, mit einfachen Mitteln engmaschige Kontaktstrecken aufzubauen. Mit wenigen Tools aus dem Web-Baukasten können hierbei höchst effiziente Kommunikationsplattformen mit folgenden Charakteristika eingerichtet werden:
- Exklusivität: Die Microsite ist ausschließlich für die Besuchszielgruppe über einen Passwort-Zugang nutzbar.
- Vor-Ort-Kontaktanbindung: die - ebenfalls exklusiv - angebotenen Leistungen (beispielsweise Online-Seminare zur Abrechnung und Regress-Vermeidung, IGeL-Checklisten, Fragebogen-gestützte Praxisanalysen etc.) sind nur mittels Codes abrufbar, die der Mitarbeiter bei seinen Besuchen in Gutschein-Form mit in die Praxen bringt.
- Ganzheitliche Betreuung: Auf diesem Weg können auch Hilfen für die Medizinischen Fachangestellten angeboten werden, die so in die Betreuung einbeziehbar sind, ohne dass vor Ort mehr Zeit aufzuwenden ist.
- Zentrale Koordination: die Inhalte der Microsites werden firmenseitig zentral gepflegt und dezentral zur Verfügung gestellt, so bleibt der Arbeitsaufwand für die Außendienstmitarbeiter minimal.
- Individualität: Über ein Content-Managementsystem kann der Mitarbeiter interessante aktuelle, gebietsbezogene Informationen in seine Seite aufnehmen und vermitteln.
- Kundenbedarfs-Forschung: An den Zugriff auf Angebote gekoppelte Kurzbefragungen ermöglichen eine individuelle Ausrichtung der Inhalte und ein echtes Mikro-Marketing.
1.18 Das Berufsbild des Pharma-Außendienstmitarbeiters im Wandel: Ergebnisse des IFABS Trendscouting-Panels
Das Berufsbild des Außendienstmitarbeiters im pharmazeutischen Außendienst befindet sich in einem starken Wandel. Vertragliche Regelungen und die Möglichkeiten des Internets erübrigen partiell seinen Einsatz, Firmenzusammenschlüsse führen zu Reduktionen der Außendienst-Stabsgrößen. Hinzu kommen veränderte Anforderungen der Arzt-Kunden an die Informations- und Unterstützungsleistungen der pharmazeutischen Industrie. Und wie reagieren die Mitarbeiter in dieser Situation? Diese Frage untersucht in regelmäßigen Abständen das IFABS Trendscouting-Panel für den pharmazeutischen Außendienst. Seine Zielsetzung ist, mit Hilfe explorativer Interviews zukunftsorientierte Tendenzen und Arbeitsweisen dieser Berufsgruppe zu ermitteln. Bei der aktuell durchgeführten Befragung ergaben sich zwei zentrale Ansätze: zum einen beschrieben die Befragten eine intensivierte Beschäftigung mit dem Thema „Kundenzufriedenheit und Betreuungsqualität“. Hintergrund ist – so die Teilnehmer des Panels - die Erkenntnis, dass häufig aus den oberflächlich positiven Kundenreaktionen auf eine umfassende Zufriedenheit mit der Betreuung geschlossen würde, bei einer detaillierter Analyse sich aber durchaus Optimierungsmöglichkeiten ergäben. Diese Erkenntnis unterstützen Untersuchungen unseres Instituts, bei denen deutliche Eigenbild-Fremdbild-Diskrepanzen in der Einschätzung der Betreuungsqualität ermittelt werden konnten. Ein Panel-Mitglied, das die Zufriedenheit seiner Kunden näher analysiert hatte, berichtete beispielsweise, dass sein Ansatz, den Wirkmechanismus seines Haupt-Präparates in den Vordergrund der Gespräche zu stellen, entgegen seiner eigenen Einschätzung auf kein positives Echo stieß. „Penetrant“, „Theoretisch“, „Ermüdend“ waren nur einige der Kritiken. Andererseits wurde ihm eine hohe fachliche Kompetenz, sowohl medizinisch als auch gesundheitspolitisch, bescheinigt. “Die firmenseitigen Befragungen geben ja nur einen allgemeine Eindruck, meiner Arbeit hilft das nicht weiter.”, ergänzte ein anderer Teilnehmer. Der zweite Ansatz besteht in einer zunehmenden Unterstützung der Arzt-Kunden in ihrer Rolle als Unternehmer, denn – so die Beschreibung der Befragungsteilnehmer -: immer mehr niedergelassene Ärzte erkennen, dass sie sich intensiver als früher um die unternehmerische Seite ihrer Praxisführung kümmern müssen. Hierzu zählt nicht nur das Finanzmanagement, sondern auch Organisation, Marketing, IGeL-Verkauf, Führung und Kooperationsmanagement. Doch vielen Ärzten fehlen Grundkenntnisse und / oder die Zeit, sich im Praxisbetrieb hierum adäquat kümmern zu können. Ein Ausweg ist der Rückgriff auf externe Berater. Deren Hilfe ist jedoch teuer und die eingesetzten Spezialisten bieten oftmals nur Standardlösungen, da sie sich mit den Gegebenheiten der Praxisbetriebsführung nur unzureichend auskennen. Diese Situation hat inzwischen eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im pharmazeutischen Außendienst erkannt und eigenständig Hilfestellungen und Lösungsansätze entwickelt. "Ich bin im Wartezimmer auf die Idee gekommen. Dort erfährt man – einfach durch Hinschauen - so viel über Abläufe und Patientenreaktionen, dass ich mir gedacht habe: "Das erzähl` doch `mal Deinen Ärzten!", berichtete ein Panel-Teilnehmer. Ein anderer führte aus: "Mit Hilfe der Untersuchungen
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