1.3 Strategische Steuerung ohne Realitätsbezug
Die Resultate des Monitoring-Projektes „Sales Talk Insights“ (Außendienst-Kompass) zeigen aus Arztsicht, dass die zentrale Strategie der Pharma-Außendiensttätigkeit vor allem in der Schaffung einer Präsenzdichte besteht, generiert durch entsprechend ausgerichtete Besuchsfrequenzen. Dieses Vorgehen begründet sich zum einen Wettbewerbs-bezogen („Jeder Kontakt, den wir nicht machen, realisiert die Konkurrenz!“), zum anderen aus der unternehmensinternen Erfolgsrechnung. Rein quantitativ betrachtet ergibt sich dadurch ein positiver Deckungsbeitrag, berücksichtigt man jedoch auch die qualitative Komponente – was in den Kontakten tatsächlich geschieht -, so ist die Arbeit des Vertriebs in der Gesamtbetrachtung defizitär, denn der Pharma-Außendienst erfüllt die Kundenanforderungen zu lediglich 56%. Das bedeutet, dass in der Durchschnittsbetrachtung 44% der eingesetzten Ressourcen verschwendet werden. Und auch die Gesprächslänge ist nicht überzeugend, der Präparate-Besprechungsanteil am Gesamt-Gespräch über etablierte Alt-Produkte liegt im Mittel bei 51,7%. Die übrige Gesprächszeit entfällt auf die Erörterung allgemeiner gesundheitspolitischer Themen, auf Unterhaltungen über die aktuelle Situation der besuchten Praxis und Allgemeines (“Small Talk”). Damit bleibt für die Vermittlung und Verankerung von Inhalten kaum Zeit. Die Reaktion von Marketing- und Vertriebsverantwortlichen auf diese Darlegungen ist gleichförmig: „Bei unserem Außendienst ist das anders, das zeigen unsere Marktforschungsuntersuchungen!“ Das Problem ist jedoch, dass diese Analysen in Form von Stichproben durchgeführt werden. Da die Fähigkeiten der Mitarbeiter aber sehr unterschiedlich sind, leiten die Ergebnisse häufig in die Irre. Die tatsächliche Arzt-Zufriedenheit mit der Außendienst-Betreuungsqualität lässt sich ausschließlich bottom-up ermitteln, d. h. auf der Grundlage Regionaler Kundenzufriedenheitsanalysen, die dann stufenweise (Region, Stab) aggregiert werden können. Leider fehlen bis heute derartig individualisierte Mitarbeiter-Kunden-Beziehungsdaten in den meisten CRM-Systemen, so dass die rein zahlenbasierte Betrachtung nicht durch die Kundenrealität ergänzt werden kann.
1.4 Digitaler double trouble für den Pharma-Außendienst
Eine aktuell laufende Themenanalyse im Rahmen des Außendienst-Kompass-Projektes „Sales Talk Insights“ (Methode: Regionale Kundenzufriedenheitsanalysen) beschäftigt sich mit der Kompensation von Pharma-Außendienstbesuchen durch Informationen, die im Internet abrufbar sind. 49% der ersten befragten Ärzte sahen dabei für sich persönlich keine Möglichkeit, die Mitarbeiterkontakte durch unpersönliche Quellen zu ersetzen, 51% waren gegenteiliger Meinung. Diese Initial-Resultate entwickeln sich damit in die Richtung des Ergebnisses, das im Rahmen des Pharma-Quick-Checks „Wie gut ist mein Pharma-Referent?“ ermittelt werden konnte. Hier lag die Angabe der Ärzte bei einer durchschnittlichen Austauschrate von 79%. Gleiches erbrachte das Recherche-Projekt „Wie ersetzbar ist der pharmazeutische Außendienst aus der Sicht niedergelassener Ärzte?": die Exploration zeigt, dass der Außendienst bei Allgemeinärzten, Praktikern und Hausärztlichen Internisten im Bereich „Information“ fast vollständig austauschbar ist. Lediglich im Aktionsbereich „Service“ führt aus Arztsicht kein Weg an Außendienst-Beratern vorbei, das Verdrängungspotential ist umso geringer, je individueller und bedarfsgerechter die Außendienstangebote sind. Doch die Bedrohung verdoppelt sich noch: stärkste digitale Konkurrenten der Mitarbeiter sind die Internetauftritte ihrer eigenen Firmen.
1.5 Wie Firmen bei Gebiets-Besetzungswechseln die Kundenbindung gefährden
Dem Wechsel der Gebietsbesetzung wird in Pharma-Unternehmen eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt: der bisherige Mitarbeiter geht, ein neuer kommt und orientiert sich an den existierenden Verhältnissen. Doch eine falsche Gebietsbesetzung kann äußerst destruktiv für die Kundenbeziehung sein. Im Rahmen des Außendienst-Kompass-Projektes "Sales talk Insights" wurden hundert Gebietswechsel verschiedener Pharma-Unternehmen analysiert. Hierzu erfolgte eine Bestimmung der Betreuungsqualität sowohl des bisherigen als auch des neuen Pharma-Beraters (Customer Care Quality Scores (CQS), die Relation von Kundenanforderungen zu ihrer Erfüllung), ergänzt durch die Frage an die betreuten Ärzte nach ihrer Beurteilung des Wechsels (Skalierung von "-5" = "Äußerst negativ" bis "+5" = "Sehr positiv"):
- Folgt ein Mitarbeiter, dessen Betreuungsqualität spürbar geringer ausgeprägt ist als die seines Vorgängers, entsteht Enttäuschung ("Profound Disappointment"), die bis zu einem Abrücken vom Unternehmen und Empfangsverweigerung führen kann.
- Im umgekehrten Fall ("Attracting Attention") ist die Grundeinstellung zwar positiv, die besuchten Ärzte warten jedoch zunächst ab, ob die initial gut Betreuungsleistung des Neuen auch mittelfristig Bestand hat.
- Ist der Übergang unter dem Aspekt der Betreuungsqualität ausbalanciert"("Positive Balance"), bleibt die Zufriedenheit gewahrt und der neue Vertriebsmitarbeiter profitiert zudem von den Vorleistungen seines Vorgängers.
- Eine Schlecht-auf-Schlecht-Folge ("Mismanagement") führt zu Resignation und Betreuungs-Ablehung, zudem schädigt sie das Unternehmens-Image.
Betrachtet man, wie häufig die einzelnen Konstellationen auftraten, dominieren mit insgesamt 65% Situationen, in denen eine niedrige Betreuungsqualität fortgesetzt wurde oder folgte ("Mismanagement" und "Disappointment"), d. h. es wurden in der Hauptsache neue Mitarbeiter mit niedriger Betreuungsqualität ("Trading down") eingesetzt, eine Entwicklung, die sich eindeutig zu Lasten der Kundenbindung auswirkt.
1.6 Mittelmaß als Leistungs-Standard?
Gründe für die im Durchschnitt nur gering ausgeprägte Betreuungsqualität des Pharma-Außendienstes sind - wie die Ergebnisse des Projektes "Außendienst-Kompass / Sales Talk Insights" zeigen - eine zu geringe Kundenkenntnis sowie falsche Bearbeitungs-Strategien (Delving-Ansatz). Eine weitere Erklärung ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Kompass-Resultate mit den ersten Ergebnissen der aktuellen Exploration “Sales Support Quality Rating: Wie gut unterstützen Pharma-Unternehmen ihre Außendienst-Mitarbeiter?” (vgl. Abb.) : Vertriebs-Mitarbeiter empfinden die Hilfestellung seitens ihrer Unternehmen als unzureichend und fühlen sich in ihren Möglichkeiten der Kundenbetreuung eingeschränkt, z. B. durch überlange Bearbeitungszeiten von Anfragen oder geringe Flexibilität bei der Reaktion auf individuelle Arztanforderungen. Hinzu kommt das Gefühl, dass oftmals gar kein Verständnis für ihre Anliegen vorhanden ist. Eine Ursache hierfür ist - nach Einschätzung der Pharma-Referenten - die geringe Marktnähe des Managements. Und tatsächlich verbringt ein Produktmanager im Mittel nur knapp 10% seiner Arbeitszeit vor Ort in Arztpraxen. Aber auch die Mitarbeiter der Medizinisch-Wissenschaftlichen Abteilungen kennen zum großen Teil nur meinungsbildende und Studien-Ärzte, die Pragmatik des therapeutischen Alltags ist ihnen nur wenig vertraut. In Strategie-Papieren zur Unternehmensentwicklung finden sich häufig die Begriffe "Integration" und "Synergie", in der konkreten Arbeitsgestaltung zwischen Innen- und Außendienst werden sie - aus der Sicht des Vertriebs - jedoch nur selten mit Leben gefüllt. Die ebenfalls häufig in Konzepten angestrebte Total Customer Care-Orientierung benötigt deshalb - wie ein Mitarbeiter die Situation in deinem Unternehmen kommentierte - vor allem keine Aufteilung in Innen- und Außendienst, sondern einen Kundendienst.
1.7 Betreuungsqualität des Pharma-Außendienstes: Große Unterschiede zwischen den Unternehmen
Читать дальше