1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Martina hatte sich die Haare kurz schneiden und sogar ein wenig toupieren lassen dürfen. Sie trug ein mit weißen Satinröschen besetztes Haarband und gegen den kühlen Wind ein weißes Jäckchen aus Kaninchenfell.
An ihr eigenes Kleid konnte Luise sich ebenfalls noch gut erinnern, das hatte sie auch in Werther nähen lassen: es war ein Kostüm mit geschlitztem Rock und Dreiviertel-Ärmel-Jacke aus altrosa Tweed gewesen, dazu hatte sie eine cremefarbene, weich fallende Nylonbluse gekauft, in der sie auch ohne die Jacke zusammen mit dem Rock eine glänzende Figur gemacht hatte. Cremefarben waren auch ihre weichen Lederpumps gewesen und rosa der Rosenquarz in ihrem Silberring mit ovaler Fassung, den ihr Ludwig zum zwanzigsten Hochzeitstag geschenkt hatte. So elegant war sie gewesen, obwohl sie zuvor zwei Wochen lang das Haus von oben bis unten geputzt hatte und Freitag und Samstag nahezu durchgehend in der Küche zugebracht hatte mit Kuchen backen, braten einlegen, Kartoffeln schälen, Gemüse putzen...Sogar das Mittagsmenü hatte sie noch im Kopf: Hühnersuppe mit Blumenkohl und Eierstich, Rinderbraten und Schweinebraten mit Sauce, Kartoffeln, dazu Erbsen, Möhren und frischen Spargel mit holländischer Sauce. Als Nachtisch gab es Weinschaumcreme in rot und weiß, zum Essen einen leichten Moselwein und nach dem Essen Wacholder für die Herren, Eierlikör für die Damen, und wer es zu schätzen wusste, konnte auch einen Cognac bekommen. Die Anzahl der Gäste war einigermaßen überschaubar gewesen, denn sowohl Ludwigs Vater, als auch ihre Mutter waren bereits verstorben. Ihr Bruder Rudi mit Frau und Kind, ihre Schwester Marie mit ihrem Mann, ihr Vater und Ludwigs Mutter waren die ganze Verwandtschaft. Luises Bruder Georg war im Krieg gefallen, Ludwigs Bruder Heinz ebenfalls und sein Bruder Ewald hatte im Gegensatz zu Ludwig die russische Gefangenschaft nicht überlebt. So waren nur noch Martinas Paten mit ihren Ehepartnern zugegen gewesen und die insgesamt vierzehn Personen hatte sie in Wohn- und Esszimmer unterbringen und bewirten können. Ach und Martina hatte so schöne Wäsche für die Aussteuer bekommen: Tischtücher aus bestem, feinstem Damast, halbleinene Geschirrtücher, griffige Frotteehandtücher und auch viel gutes Geld. Am meisten hatte das Kind sich aber über den Plattenspieler gefreut, den ihr der Patenonkel geschenkt hatte.
Nach der Konfirmation hatte Martina begonnen, sich langsam dem Einfluss ihrer Mutter zu entziehen. Oft hatte sie in ihrem Zimmer auf dem Bett gelegen und Schallplatten angehört, statt wie behauptet an ihren Hausaufgaben zu arbeiten. Luise hatte ihr zwar nicht erlaubt, sich die Bravo zu kaufen, aber Martina hatte immer jemanden gefunden, der ihr das ausgelesene Jugendmagazin zur Verfügung stellte.
Schon bei der Konfirmation war Martinas Körper deutlicher gerundeter gewesen, als der der meisten anderen Mädchen, aber im folgenden Jahr legte sie mächtig an Gewicht zu und hatte mit massiven Hautproblemen zu kämpfen. Es war in dieser Zeit oft zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter gekommen, doch in den meisten Fällen hatte Luise sich durchgesetzt. Sie war froh und dankbar gewesen, dass ihre Tochter weder rauchte noch trank und auch nicht mit den Jungs um die Häuser zog wie so manches leichte Mädchen, was dann am Ende mit einer unehelichen Schwangerschaft dastand.
Als Martina die zehnte Klasse besuchte, machte Luise sich große Sorgen. Die Fünfzehnjährige hatte zu gar nichts mehr Lust außer Musik hören, Fernsehen, stricken und häkeln. Höchst selten traf sie sich mit Freundinnen, und in der Schule strengte sie sich nicht mehr an als unbedingt nötig. Sie konnte sich nicht einmal aufraffen, Bewerbungen auf eine Lehrstelle zu schreiben. Bei jedem Beruf, den die Eltern ihr vorschlugen, fielen ihr Argumente ein, warum sie ihn unmöglich ausüben könne. Luise hätte ihre Tochter am liebsten als Chefsekretärin in einem angesehenen Betrieb gesehen, aber Martina hatte mit ihrem plumpen, reizlosen Äußeren und ihrem ungeschickten Auftreten nicht den Hauch einer Chance gehabt. Luise schüttete dem damaligen Pfarrer, der in der noch immer währenden Vakanz den Pfarrbezirk Häger mitbetreute, ihr Herz aus, und der hatte eine Idee: „Wenn die Martina so häuslich ist, wäre der Beruf der Erzieherin doch sicher für sie geeignet. Wer gern strickt, der bastelt auch gern, und den richtigen Umgang mit den Kindern lernt sie sicher schnell. Zum Sommer nächsten Jahres wird in Häger der Kindergarten eröffnet, da bietet es es sich doch geradezu an, einen Lehrling aus dem Dorf einzustellen. Sie soll mal einfach eine Bewerbung an die Gemeinde schicken und sich auch bei der Fachoberschule bewerben. Ich werde mich auf jeden Fall für sie einsetzen.“
Luise hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt und ihre Tochter angetrieben, bis sie die Bewerbungen geschrieben und abgeschickt hatte. Sie hatte genauestens kontrolliert, ob sie auch angemessen gekleidet und gepflegt zum Vorstellungsgespräch erschienen war und hatte erst wieder ruhig schlafen können, als Martina die Zusage für die Lehrstelle in der Tasche hatte. Und mit diesem uralten Gefühl einer tiefen Erleichterung glitt Luise nun in den ersehnten Mittagsschlaf.
Dorfladen Häger – Mittwoch, 14. September 2016
Es war der letzte Spätsommernachmittag, an dem der Laden geöffnet war und die Sonne gab noch einmal alles. Kinder saßen auf den Treppenstufen, schleckten ein Eis und blinzelten in die Sonne. Dietmar, der heute hinter der Theke stand, hatte direkt noch einmal Kuchen nachbestellt, denn das Café war überfüllt. Interessanterweise schoss der Anteil an alten Männern Mittwoch nachmittags immer eklatant in die Höhe, weil ihre Gattinnen die Kaffeemahlzeit im Gemeindehaus bei der Frauenhilfe einnahmen. Sie beklagten, dass der Laden weder Schnaps noch Bier ausschenkte, aber dafür war schließlich der Gasthof da.
Sie sahen Bernhard Maas vorbei gehen, der in der Siedlung gebaut hatte, in der seit den Siebzigerjahren nur Zugezogene lebten, obwohl er auf einem traditionellen Hof dicht an der Grenze zu Häger aufgewachsen war, genauso wie seine mittlerweile verstorbene Frau, die vom Hof der Familie Niediek in Häger stammte. Das hatte schon damals für Gerede gesorgt, und die Verachtung, die er dafür erntete, hatte sich bis heute gehalten.
„Jetzt geht er wieder und terrorisiert seine Mieter.“, sagte Karl-Heinz Wehking und rümpfte verächtlich die Nase.
„Das weißt du doch gar nicht.“, erwiderte Christian Grankemeier. „Vielleicht will er auch Sickendieks Luise besuchen.
„Das würde ja bedeuten, dass er Anstand hat“, erwiderte Karl-Heinz, „und ein Herz. Aber der Kerl hatte immer nur seinen persönlichen Vorteil im Kopf. Hat mich richtiggehend gefreut, dass er letztes Jahr die widerlichen Mietnomaden da oben drin hatte.“
„Hat er das Geld eigentlich mittlerweile eingetrieben?“, fragte Christian.
„Das weiß ich nicht.“, antwortete Karl-Heinz. „Und wenn nicht, bringt ihn das auch nicht an den Bettelstab. Aber statt sich zu freuen, dass er jetzt zahlungskräftige, anständige Mieter hat, geht er denen nur auf die Nerven.“
„Ja, stimmt.“, gab Christian ihm Recht. „Irmtraut erzählt auch, dass man immer alles so lassen muss, wie er es sich mal ausgedacht hat. Und wenn was kaputt geht, will er immer den Mietern die Schuld dafür in die Schuhe schieben, damit er es nicht bezahlen muss.“
„Ich weiß noch, als die Familie von dem Landschaftsgärtner wieder auszog.“, fiel Karl-Heinz ein. „Als der im Garten alles schön angelegt hat und Bernie keinen Cent dazu bezahlen musste, hat er das so selbstverständlich mitgenommen, als wenn er Anspruch darauf hätte. Und zur Wohnungsabnahme hat er dann 'nen Makler mitgebracht und alles in Rechnung gestellt, was irgendwie nicht mehr ganz taufrisch war: hier 'ne winzige Macke im Heizkörperlack unten in der Ecke, da ein Kratzer am Waschbecken, Urinstein in der Toilette, ein fast unsichtbarer Blumentopf-Rand auf dem Parkett und so weiter. Die haben am Ende nicht einen Cent von der Kaution zurück gekriegt. Und Bernie hat auch noch gesagt, da müssten sie sich nicht wundern, wenn sie zu viert mit kleinen Kindern in so eine schöne neue Wohnung ziehen würden, dass die Kinder am Ende alles verwohnt hätten.“
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