„Kann sie gut küssen?“, fragte sie gefährlich leise.
Der Unterton in ihrer Stimme warnte Cedric. Er fühlte eine Gefahr und wusste plötzlich, dass er auf ganz dünnem Eis stand.
„Äh... küssen?“, stotterte er und überlegte verzweifelt, wie er das Thema wechseln könnte.
„Du willst mir jetzt doch nicht erzählen, dass du sie nicht geküsst hast!“
„Ja, äh, nein. Ich meine: Ja.“
„Dachte ich mir.“
Sie schwieg.
„Begleitest du mich heute Abend zu meinem älteren Bruder Simon?“, fragte er und hoffte, das Thema „Michelle“ und „Küsse“ verlassen zu haben.
„Was ist bei deinem Bruder?“
„Simon feiert seine Verlobung mit Nicole. Er veranstaltet ein Gartenfest mit Büffet und Tanz. Würdest du mit mir dort hingehen?“
„Du willst mich zu deiner Familie mitbringen?“
„Ja, ich würde mich sehr freuen.“
Der Puls von Laura raste, ihr Herz klopfte wild. Eine solche Einladung zur Verlobung seines Bruders bedeutete mehr als ein Diskobesuch. Er würde keine Frau seiner Familie vorstellen, die ihm nichts bedeutete.
Vielleicht mag er mich doch, überlegte sie aufgeregt.
„Warum nimmst du nicht Michelle mit?“
„Ich würde lieber mit dir dort hingehen.“
„Na gut“, antwortete sie. „Aber nur, weil ich etwas Wichtiges mit dir besprechen möchte.“
Vielleicht würde sie die Gelegenheit bekommen, mit ihm über den Traum zu reden.
„Darf ich dich heute Abend um sieben Uhr abholen?“
„Ja, gerne.“
Der Sonntag war ein Tag voller Erwartungen.
Laura versuchte sich ununterbrochen vorzustellen, wie der Abend werden würde. Cedric würde sie seiner Familie vorstellen!
Schon um sechs Uhr stand sie startbereit in der Küche. Ihre Mutter betrachtete sie mit einem verschmitzten Lächeln.
„Du siehst gut aus“, meinte sie. „Der Rock steht dir sehr gut. Die Bluse harmoniert mit der Farbe deiner Augen.“
„Danke, Mutti“, strahlte Laura, schließlich hatte sie einige Stunden dazu gebraucht, sich zu entscheiden, was sie anziehen sollte. Dann glaubte sie endlich, das Richtige gefunden zu haben. Einen blauen knielangen Glockenrock, ein enges weißes Langarmshirt und einen Blazer. Dazu trug sie hohe Pumps, die ihre schlanken Beine betonten.
Da saß sie nun, je näher die Zeiger der Uhr auf sieben vorrückten, desto nervöser wurde sie. Für einen Moment zweifelte sie daran, dass es richtig gewesen war, die Einladung von Cedric angenommen zu haben.
Aber was hatte sie zu verlieren? Nichts! Gar nichts!
Aus ihrer Handtasche kramte sie einen kleinen Spiegel hervor. Ein Blick hinein ließ sie zufrieden lächeln.
Sie sah wirklich gut aus. Ihre mittelbraunen Haare hatte sie solange gebürstet, bis sie glänzten. Zur Feier des Tages hatte sie sogar Make-up und Mascara aufgelegt.
Ein lautstarkes Hupen vor der Haustür ließ sie erschrocken hochspringen. Noch ein kurzer Blick in den kleinen Spiegel, ein Griff zu ihrem Blazer und los ging es.
„Viel Spaß, mein Schatz“, verabschiedete sich ihre Mutter. Schnell drückte sie ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange und machte, dass sie zum wartenden Taxi kam, dessen Tür bereits geöffnet war.
Während sie es sich verlegen auf der Rückbank bequem machte, spürte sie deutlich die Blicke von Cedric.
„Du siehst phantastisch aus“, sagte er.
Laura drehte den Kopf und lächelte. „Du auch“, erwiderte sie.
Er sah wirklich toll aus. Die obersten zwei Knöpfe seines weißen Hemdes waren geöffnet und ließen so seine gebräunte Brust erkennen. Über den Schultern lag ein grobgestrickter, hellblauer Pullover, der ausgezeichnet zu seiner blauen Hose passte.
Während der Taxifahrer den Motor anließ und den Gang einlegte, blickte sie betreten zu Boden.
Die Atmosphäre war geprägt von Unsicherheit und Scheu. Sie schienen beide erregt und voller Erwartung zu sein, was der Abend bringen würde. Keiner sagte ein Wort, bis das Taxi beim Haus von Cedrics Bruder eintraf.
Er hielt Laura zurück, als sie die Türe öffnen und aussteigen wollte.
„Warte einen Moment.“
Er stieg aus dem Auto aus. Fragend blickte Laura ihm nach. Plötzlich wurde die Tür an ihrer Seite geöffnet. Mit einer tiefen Verbeugung rief er: „Darf ich Ihnen helfen, Fräulein Bertani?“
Das entschärfte die Situation und sie fiel in sein helles Lachen ein.
„Sehr gerne, Herr Vogt!“
Umständlich ergriff sie seine ausgestreckte Hand und ließ sich hoheitsvoll aus dem Taxi gleiten.
„Madame, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der rote Teppich in der Reinigung ist.“
Sie lachten gemeinsam und liefen dann übermütig in den Garten seines Bruders, in dessen hinterem Bereich ein riesiges Zelt aufgestellt war. Überall hingen Girlanden, die sich leicht im Abendwind bewegten. Durch die Bäume waren bunte Glühbirnen an langen Kabeln gezogen worden, was allem einen lustigen und lockeren Anstrich gab.
Sie betraten das Zelt und waren für einen Moment von der Helligkeit, die von sehr vielen Kerzen erzeugt wurde, wie geblendet. Menschen aller Altersstufen saßen an den wunderschön gedeckten Tischen.
In einer Ecke des Zeltes stand ein Podest, auf dem drei junge Männer auf Hockern saßen und ein Bier tranken. Neben ihnen befanden sich Musikinstrumente. Die Band. Wahrscheinlich machten sie gerade eine Pause.
Die Anwesenden wirkten gut gelaunt und gelöst. Jeder schien heiter und übermütig, denn Laura konnte niemanden entdecken, der nicht ein amüsiertes Lächeln auf dem Gesicht hatte.
Cedric führte sie von einem Tisch zum nächsten. Es folgte fröhliches Winken und Händeschütteln. Laura wurde hin- und hergereicht und allen möglichen Menschen vorgestellt. Endlich legte er seinen Arm um ihre Schulter und zog sie sanft mit sich fort.
„Komm, wir holen uns etwas zu essen und gehen nach draußen. Dort stehen freie Tische und Bänke, an die wir uns setzen können.“
Laura folgte ihm wortlos. Cedric packte ihren Teller mit einer Auswahl der Delikatessen voll. Dann begaben sie sich nach draußen, was nicht einfach war, da immer neue Gäste erschienen und immer wieder andere Menschen auf Cedric zukamen, um mit ihm ein paar Worte zu wechseln.
Es gelang ihnen dann, einigermaßen ungestört zu einem freien Tisch zu gelangen. Während sie sich mit ihrem Essen befassten, sprachen sie kein Wort. Laura hatte das Gefühl, dass jedes Wort, das nun unbedacht gesagt würde, alles zerstören könnte. Cedric schien ebenfalls so zu denken. Er aß und starrte auf den Teller. Von Zeit zu Zeit hob Laura den Kopf und sah Cedric kurz an. Jedes Mal begegneten sich ihre Blicke, sodass sie fast gleichzeitig schnell den Kopf senkten und sich wieder auf ihre Teller konzentrierten, als hätten sie sich gegenseitig bei etwas Unerlaubtem ertappt.
In der Luft lag ein Knistern. Laura spürte fast körperlich, dass jeden Moment etwas passieren würde, das sie sich wünschte, wovor sie aber auch Angst hatte. In ihrem Innern herrschte Chaos, ein Zwiespalt, der sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Gedankenverloren stocherte sie auf ihrem Teller herum. Fast gleichzeitig schoben sie ihre geleerten Teller zur Seite.
„Cedric“, begann sie leise, „ich möchte dir etwas erzählen.“
Der Augenblick war ideal, um von ihrem Traum zu berichten!
Sie kam aber nicht dazu, denn im Zelt begann die Band zu spielen. Es war ein ruhiges und romantisches Stück.
„Komm, lass uns tanzen“, murmelte er, legte seinen Arm um ihre Schulter und führte sie zum Zelt.
Laura vergaß durch seine Berührung und Nähe den Traum.
Wie in Trance ließ sie sich von ihm in das Zelt führen, zu dem kleinen freien Platz, der als Tanzfläche gedacht war und wo sich schon einige Paare befanden. Laura sah nichts von den anderen Anwesenden, sondern hörte nur die leise, zärtliche Musik.
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