Dirk Leibfried - Andreas Erb
Das Schweigen der Männer
Homosexualität im deutschen Fußball
VERLAG DIE WERKSTATT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Copyright © 2011 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
Covergestaltung: www.vogelsangdesign.de
ISBN 978-3-89533-816-8
Spielplan
Damit das Tabu kein Thema mehr ist
Ein Vorwort von Katrin Müller-Hohenstein
Anpfiff.
»Dieser Weg wird kein leichter sein«
Mit dem Arsch zur Wand!
Oder:
Wie aus Beutejägern Torjäger wurden
Die wahren Profis!
Oder:
Wie Amateure mit dem Thema Homosexualität umgehen
Sprachlos!
Oder:
Wie Proficlubs beim Thema Homosexualität mauern
Scheinwelt!
Oder:
Wie sich schwule Fußballer durch die Karriere quälen
Die Schwulencombo!
Oder:
Wie Journalisten zu Mitspielern werden
Fasten Your Seatbelt!
Oder:
Wie Sponsoren mit Homosexualität und Diversity jonglieren
Farbe bekennen!
Oder:
Wie der DFB an seine Grenzen stößt
Gegen das Schweigen!
Oder:
Wie der DFB-Präsident ein Tabu zum Thema macht
It goes, boys!
Oder:
Wieso Frauen doch nicht die besseren Schwulen sind
Abpfiff.
»Eier! Wir brauchen Eier!«
Nachspielzeit.
Outings – Oder:
Wie sich der Fußball selbst ein Bein stellt…
Die Autoren
Damit das Tabu kein Thema mehr ist
Ein Vorwort von
Katrin Müller-Hohenstein
Kennst du einen? Na, kennst du einen? Diese Frage ist mir oft gestellt worden. Und die Antwort lautete immer: Nein! Nein, ich kenne keinen homosexuellen Fußballer. Ich kenne viele, aber ich kenne keinen homosexuellen.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Richtig muss es heißen: Ich kenne keinen, von dem ich weiß, dass er homosexuell ist. Weil ich keinen kenne, der es mir persönlich erzählt hätte. Das ist der kleine, jedoch entscheidende Unterschied. Aber wahrscheinlich kenne ich einen – und Sie auch!
Wenn man eine Fußballmannschaft als Abbild der durchschnittlichen männlichen Bevölkerungsstruktur hernimmt, so kann man davon ausgehen, dass es im deutschen Profifußball homosexuelle Spieler gibt. Genauso wie es dunkelhaarige, blonde, große, kleine, selbstbewusste und auch eher schüchterne gibt – aber diese Attribute werden nur in ganz seltenen Fällen diskutiert.
Beim Thema Homosexualität ist das anders! Es ist tabu – und gerade deshalb wird hinter vorgehaltener Hand orakelt. Was ich in den letzten Jahren an abenteuerlichen Spekulationen über mögliche sexuelle Neigungen prominenter Fußballspieler gehört habe, ist in der Tat bemerkenswert. Da kennt also einer einen, bei dem ist er sich ganz sicher, weil der wurde in einschlägigen Etablissements mehrfach gesehen, der Nächste widerspricht dem vehement und bringt gleichzeitig drei neue Namen aufs Papier. Ein bisschen ist das wie Flüsterpost – am Ende steht der totale Unfug.
Was aber würde passieren, wenn sich die betroffenen Fußballer, die ihre Homosexualität bislang verschleiern, die sich regelrecht verstecken, die sich eine unwürdige Scheinwelt aufrechterhalten – was also würde passieren, wenn sich diese Fußballer offensiv outen würden? Ich mag es mir nicht vorstellen. Der mediale Bohei wäre erst der Anfang. Und es wäre vermutlich auch naiv zu glauben, dass sich dadurch mit einem Mal all die stereotypen Männlichkeitsbilder auflösen würden, die tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verwurzelt sind, dass dadurch mit einem Mal verstaubte Weltbilder aufbrechen. Leben und leben lassen, das sagen die Menschen in Bayern gern. Schön wär’s!
Nein, ich würde keinem Fußballprofi raten, sich zu outen. Ich kann schon deshalb mit »Outing« nichts anfangen, weil es suggeriert, dass hier ein Mensch etwas »beichten« muss, was nicht normal ist. Normalität? Normalität ist relativ. Stellen Sie sich vor, eine komplette Mannschaft wäre schwul – und keinen interessiert’s. Stellen Sie sich vor, diese Mannschaft holt im Jahr 2014 den Weltpokal. Mit aller Selbstverständlichkeit. Okay, ich phantasiere…
Zugegeben, es wird noch lange dauern, bis das Thema Homosexualität im Fußball zu eben dem geworden ist, was es sein sollte: nämlich keines mehr!
Auf dem Weg dorthin sei Ihnen dieses Buch empfohlen.
Katrin Müller-Hohenstein
Ihre journalistische Karriere begann Katrin Müller-Hohenstein bei einem lokalen Radiosender. Seit 2006 moderiert die renommierte Journalistin die Sportsendung »Das aktuelle Sportstudio« im ZDF. 2008 wurde ihr der Bayerische Sportpreis in der Kategorie »Herausragende Präsentation des Sports« verliehen. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika begleitete sie als Studio-Moderatorin für das ZDF im Expertengespräch mit Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn. In ihrer journalistischen Arbeit setzte sie sich im Herbst 2010 in einer Sendung des »Aktuellen Sportstudios« mit Tabuthemen auseinander – dabei wurde auch die Frage nach Homosexualität im deutschen Fußball erörtert.
Anpfiff.
»Dieser Weg wird kein leichter sein«
Fußball. Männersport. Unzerstörbare Bastion echter Kerle. Sie prahlen in der Kabine mit ihrer Potenz und brüsten sich mit den zahlreichen Weibern, die sie mal wieder flachgelegt haben. Das Testosteron schwappt über. Sie polieren dem Gegner das Schienbein und fressen Gras, auf das sie vorher gerotzt haben, weil das so ungemein männlich wirkt. Und von den Rängen, wo das bildungsferne Milieu den Gladiatorenkämpfen beiwohnt, wird der gegnerische Torwart beim Abstoß mal gepflegt als »Arschloch, Wichser, Hurensohn« begrüßt, ohne dass sich darüber auch nur im Entferntesten irgendjemand aufregt. Fußball. Männersport. Machowelt. Die letzte Domäne harter Jungs. Hier ist kein Platz für zartbesaitete Weicheier, Warmduscher und Fummeltrinen. Homosexuelle? Schwuchteln? Hinterlader? Schwule Säue? Gibt es nicht. Kann es nicht geben. Weil es sie nicht geben darf.
Der Fußball eine Spielwiese für Proleten? Oder hat vielleicht doch der renommierte Journalist Alexander Osang recht, der in einem Beitrag für den »Spiegel« von den neuen deutschen Männern gesprochen hat, die das Land bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika mit etwas Schönem, Leichtem, gar Tänzerischem vertreten haben? Und der die Nationalmannschaft als weltoffene, tolerante und integrative Gemeinschaft rühmt, die mit einer neuen Art des Fußballs die Menschheit – knallharte Fans gleichermaßen wie die Bildungselite – verzaubert. Alles nur eine romantische Verklärung?
Rund tausend Fußballprofis stehen aktuell bei den 36 Erst- und Zweitligaclubs in Deutschland unter Vertrag. Wenn man davon ausgeht, dass zwischen fünf und zehn Prozent aller Deutschen homosexuell sind, muss es – zumindest statistisch gesehen – mindestens 50 schwule Fußballprofis geben. Seit Jahren wird deshalb außerhalb des von Medien überwachten Männerbundes eifrig spekuliert, um wen es sich dabei handeln könnte. Vor allem in schwulen Chatforen kennt jeder mindestens einen Profi, den er oder ein Bekannter irgendwann einmal in irgendeiner Schwulen-Disko oder -Sauna gesehen haben will und der deshalb ganz sicher auch schwul sein muss.
Dass es schwule Fußballer gibt, ist unstrittig, allein im Kader und Umfeld der Nationalmannschaft sind mindestens zwei Homosexuelle »aktenkundig«. Dabei könnte man auf den verstaubten Dorfplätzen der Republik den Eindruck gewinnen, dass der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches, der einst sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, noch immer fest im deutschen Rechtssystem verankert ist. Denn speziell der Fußball und seine Ordnungsbehörden tun sich nach wie vor schwer mit dem Thema.
Читать дальше