Beispiel gefällig? Nach einem hitzigen Wortgefecht wurde im August 2007 der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller vom DFB-Sportgericht mit einer Sperre von drei Spielen und einer Strafe von 10.000 Euro belegt. Er soll laut Presseberichten im Derby gegen Schalke den gegnerischen Stürmer Gerald Asamoah als »schwules Schwein«, alternativ auch »Schwabbelschwein«, beleidigt haben. Ursprünglich wurde Weidenfeller vorgeworfen, die Worte »schwarzes Schwein« benutzt zu haben – so die Darstellung des betroffenen Asamoah. In diesem Fall wäre eine Verurteilung wegen rassistischer Äußerung erfolgt, Anklage erhoben und eine deutliche längere Sperre – im Gespräch waren sechs Wochen – ausgesprochen worden. Auch der BVB hätte dann wohl einen Punktabzug hinnehmen müssen. Gerecht? Wohl kaum! Es blieb in der Öffentlichkeit der Eindruck, als sei eine homophobe Äußerung weit weniger strafwürdig als eine rassistische.
Fußball war und ist ein Hort archaischer Männlichkeit, in seiner mentalen Entwicklung irgendwo zwischen Mondlandung und Mauerfall stehengeblieben, die Ansichten teils vorsintflutlich und die vermeintliche Toleranz gegenüber Schwulen so fragwürdig wie das kokainbehaftete Haupthaar von Fußballtrainer Christoph Daum, der Homosexualität gerne auch mal mit Pädophilie in Verbindung bringt. Eine Parallel-Gesellschaft, in der im Sommer 2009 der Millionen-Euro-Transfer eines brasilianischen Fußballers in die Bundesliga auch an den Gerüchten über dessen angebliche Homosexualität scheiterte (wie der Grimme-prämierte Journalist Aljoscha Pause in einer TV-Dokumentation berichtet). Und wo es als hochrangiger Funktionär eines nationalen Fußballverbandes möglich ist, unbehelligt in die Welt hinauszuposaunen und erst neun Monate später mit einer Geldstrafe von lächerlichen 10.000 Euro von der UEFA belangt zu werden: »Solange ich Präsident bin, wird kein Homosexueller in der kroatischen Nationalmannschaft spielen.« Da klingt es fast schon liebevoll, wenn Schalkes früherer Manager Rudi Assauer jedem Schwulen im Fußball rät, sich einen anderen Job zu suchen.
Trotz der im Sommer 2010 im »Spiegel« erfolgten vollmundigen Ankündigung von Michael Becker, Berater von Ex-Nationalelf-Kapitän Michael Ballack, dass schon bald jemand die »Schwulencombo« – gemeint war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft – hochgehen lassen könne, zählen die Namen der homosexuellen Fußballprofis in Deutschland nach wie vor zu den bestgehüteten Geheimnissen. Hier eine Andeutung, dort ein Gerücht. Das war’s. Auch im Amateurfußball ist die Situation nicht viel besser. Kaum jemand wagt sich wirklich aus der Deckung, zu groß ist die Angst vor Ausgrenzung. Dabei jagen rund drei Millionen aktive Fußballer in Deutschland regelmäßig dem runden Leder hinterher. Heterosexuelle, Bisexuelle und Homosexuelle. Auf ein prominentes Coming-out (abgeleitet vom englischen Begriff »coming out of the closet«, wörtlich: »aus dem Kleiderschrank herauskommen«) wartet die Fußballgemeinde jedoch bislang vergebens. Übrigens: Becker wollte trotz mehrerer Telefonanfragen die »Spiegel«-Zitate nicht weiter kommentieren.
Immer wieder betonen wohlmeinende Fans, dass sich im Fußball niemand outen muss, weil sich schließlich auch niemand öffentlich zu seiner Heterosexualität bekennt. Aber genau solche Aussagen dokumentieren die weit verbreitete Scheinheiligkeit einer Gesellschaft, die einen sensiblen Umgang mit dem Thema nur sehr mühsam erlernt. Natürlich betont niemand ausdrücklich, dass er heterosexuell ist. Das wird im Fußball nämlich schlicht und einfach vorausgesetzt. Außerhalb jeglicher Diskussion. Die Frage muss also erlaubt sein, wieso sich dann kein Homosexueller outet, wenn die sexuelle Orientierung angeblich keine Rolle spielt und es niemanden zu interessieren hat, wer mit wem sein Bett teilt, weil das schließlich reine Privatsache sei. Auch dahinter steckt Methode.
Denn Totschweigen und Verdrängen gehören zum Business: Schwule im Fußball sind allein schon deshalb äußerst seltene Exemplare, weil die meisten durch die Art und Struktur des Fußballs selektiert und ausgesiebt werden. Sie halten dem Druck und der befürchteten Diskriminierung einfach nicht stand. Schwule sind nicht systemkompatibel – und die Abneigung gegenüber anderen sexuellen Orientierungen sortiert sie von vornherein aus. Gut möglich, dass dem wirklich so ist – und dadurch die Zahl der Homosexuellen im verklemmten Fußball tatsächlich geringer ist als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Eben weil einige an der Doppelbelastung verzweifeln, einerseits sportliche Höchstleistungen zu erbringen und andererseits ihre Homosexualität verheimlichen zu müssen. Früher oder später kehren sie daher dem Sport deprimiert den Rücken.
Die, die dabeibleiben, verstecken sich. Noch. Das Fußballmagazin »Rund« stellte 2006 einige von ihnen vor. Dass in der Geschichte keine Namen genannt wurden, erklärt sich, wenn man die Schicksale kennt: Einer ist verheiratet, ohne dass seine Frau etwas von seiner Homosexualität weiß – und sein Freund lebt in einer anderen Stadt. Ein anderer hält sich zum Schein eine gute Freundin, die in der Öffentlichkeit als Spielerfrau durchgeht. Nur aus dem Kleiderschrank traut sich dagegen (noch) niemand.
Von diesen Erfahrungen sprechen alle, die Kontakt zu schwulen Fußballern haben und hatten. Zum Beispiel der ehemalige holländische FIFA-Schiedsrichter John Blankenstein, der nie ein Geheimnis aus seiner Homosexualität gemacht hatte. In einem seiner letzten Interviews vor seinem Tod im August 2006 behauptet Blankenstein im Fußballmagazin »Rund«: »Ich kenne einige schwule Profis, sogar in der holländischen Nationalmannschaft.« In einem Interview mit der »Welt« bricht der ehemalige Präsident des FC St. Pauli, Corny Littmann, bereits 2006 öffentlich ein Tabu: »Es gibt Homosexuelle in allen Bundesligaclubs und nach meiner Kenntnis auch in der Nationalmannschaft.« Mittlerweile sei sogar ein Netzwerk entstanden: »Etliche kennen sich und wissen voneinander.«
Die »heile Welt« bröckelt, der Kosmos Männerfußball kann sich nicht länger von der gesellschaftlichen Entwicklung abkoppeln. So wie Nationalspieler mit Migrationshintergrund längst zur Normalität gehören, werden früher oder später auch Homosexuelle wie selbstverständlich in den deutschen Proficlubs ihrem Job nachgehen. Und irgendwie hat man das Gefühl, als habe der Sänger Xavier Naidoo mit der inoffiziellen WM-Hymne 2006 (»Dieser Weg«) bereits eine leise Vorahnung davon gehabt:
»Dieser Weg wird kein leichter sein.
Dieser Weg wird steinig und schwer.
Nicht mit vielen wirst du dir einig sein,
doch dieses Leben bietet so viel mehr.«
Gerüchte um die Nationalelf
Doch was meinte Ballack-Berater Becker wirklich, als er von der »Schwulencombo« Nationalmannschaft sprach? Ein Versprecher? Haltloses Geschwätz? Oder doch Kalkül? Sollte hier etwa der Eindruck vermittelt werden: »Hört, ich weiß etwas – und wenn ich will, lasse ich die Bombe einfach platzen«? Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte sich anfangs nicht auf das Niveau Beckers begeben, forderte ihn aber trotzdem kurze Zeit später auf, seine Äußerungen zu konkretisieren. Bis heute haben weder Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff noch Bundestrainer Joachim Löw öffentlich ihr Team gegen Beckers Tiraden verteidigt, wabernde Gerüchte aus der Welt geräumt oder den Ballack-Berater juristisch belangt. Angesichts der medialen Diskussionen um Ballacks Zukunft in der Nationalelf waren die diversen Äußerungen oder Auslassungen möglicherweise auch taktisch bedingt. Löw hat sich im Dezember 2010 nach langem Hin und Her öffentlich zu seinem Nationalmannschaftskapitän Ballack bekannt. In einem Interview mit der »Welt am Sonntag« stellt er klar: »Er ist Kapitän, wenn er wieder dabei ist.« Vermutlich aber wusste Löw bereits zu diesem Zeitpunkt, dass er Ballack – außer vielleicht zu dessen Abschiedsspiel – nie mehr berufen wird. Die endgültige Bestätigung dafür reichte der Nationaltrainer im Juni 2011 dann auch offiziell nach.
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