Nur Mortwin stieß jedes Mal ein unwilliges Brummen aus, wenn er absitzen
musste.
Schließlich riss Kormund den Arm mit der Lanze in die Luft, und die
Schar hielt an. »Wir sind weit genug geritten.« Er wollte sein Pferd gerade
herumziehen, als er stutzte. Dorkemunt konnte erkennen, wie sich die Augen
des Scharführers verengten, bevor er sie mit der freien Hand beschattete. »Sag
einmal, Dorkemunt, mein Freund, habe ich dir schon erzählt, wie wir vor
Jahren den getöteten Boten des Königs am Südpass gefunden haben?«
»Ja, mein Freund«, bestätigte der kleinwüchsige Reiter, und sein Blick
wurde forschend. »Das hast du getan«, fügte er dann mit tonloser Stimme
hinzu, denn nun hatte auch er gesehen, was seinen Freund stutzig gemacht
hatte. »Und du hast auch erzählt, dass schon bald darauf die Orks in der
Hochmark auftauchten.«
»Sie haben immer noch nicht gelernt, ordentliche Pfeile herzustellen«,
sagte Kormund leise und hob die Wimpellanze erneut in die Höhe, diesmal
quer über seinen Kopf.
Die vier anderen Pferdelords merkten nun, dass etwas vor sich ging, und
folgten dem Signal des Scharführers. Sie trieben ihre Pferde rechts und links
neben Dorkemunt und Kormund und nahmen die klassische Schwarmreihe
ein. Dabei vergewisserten sie sich, dass die Schwerter griffbereit waren.
»Nein, keine ordentliche Befiederung«, erwiderte Dorkemunt. »Aber es
reicht, um zu töten.«
Ein Stück weiter die staubige Straße entlang lag am Wegrand ein
Gegenstand, der sich deutlich von den umgebenden Felsen abhob. Er zeigte
weder die typische Maserung des Gesteins noch das sanfte Grün der
Moosflechten. Stattdessen leuchtete ein kräftiges Braun unter dem staubigen
Grau hervor. Aus dem braunen Bündel ragte der dünne Schaft eines Pfeils
heraus, dessen struppige schwarze Befiederung den Männern verriet, dass es
sich um den Pfeil eines orkischen Spitzohrs handelte.
Kormund richtete die Wimpellanze nun parallel zum Weg aus und hielt
deren Spitze schräg nach unten, womit er seinen Begleitern bedeutete,
langsam vorwärtszureiten. Hätte er sie waagerecht nach vorn gehalten, so
wäre der Beritt augenblicklich in Galopp verfallen. Aber noch war kein Feind
zu sehen, nur der Gegenstand, aus dem der Pfeil emporragte.
Die schmale Reihe der Pferdelords ritt vorsichtig auf das Bündel zu.
Kormund wusste, dass er sich auf seine Männer verlassen konnte. Die beiden
äußeren Reiter würden ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Felswände
an den Seiten der alten Straße richten, während die restlichen Gefährten diese
selbst im Blick haben würden.
Ein Stück weiter die Schlucht entlang war ein leises Poltern zu hören, und
keiner der Pferdelords ging davon aus, dass die Erosion diesen Stein gelöst
hatte.
»Dorkemunt«, knurrte Kormund, »dein Pferd ist noch am frischesten, und
du bist der leichteste Reiter. Sollten wir in Schwierigkeiten geraten, wirst du
wie ein Elf reiten und die Hochmark warnen. Lass dich hinter die Linie
zurückfallen.«
»Vergiss es, mein Freund«, erwiderte Dorkemunt. »Den Bissen werden wir
uns teilen.«
Die Szenerie vor ihnen war nun in Bewegung geraten.
Zuerst war es nur ein einzelnes Spitzohr, das sichtlich überrascht war, als
es die Reiter in den grünen Umhängen vor sich erblickte, und der Kopf mit
den spitzen Ohren schien nervös zu zucken. Dann tauchten weitere Orks auf,
Spitzohren im ledernen Harnisch und Rundohren in ihren metallenen
Rüstungen.
»Verdammte Brut«, fluchte Kormund. »Das ist ein ziemlich großer Bissen.
Lasst uns zuschlagen, bevor er zu groß wird. Schneller Ritt …«, gab er die
Losung der Pferdelords.
»… und scharfer Tod«, ergänzten die Männer.
Sie trieben ihre Rosse aus dem Stand in einen schnellen Galopp, und die
Tiere reagierten so spontan auf den Schlachtruf der Pferdelords wie die
Männer selbst. Der Hufschlag hallte von den Felswänden wider, und die
Gruppe der Orks begann ihre Kampfformation einzunehmen. Die Rundohren
schwärmten zu einer schmalen Linie aus, welche die gesamte Breite der
Schlucht einnahm. Dabei schwangen sie ihre groben Schlagschwerter und
brüllten angriffslustig dem Feind entgegen. Hinter den Rundohren hatten die
kleineren Spitzohren eine zweite Linie gebildet und legten nun die Pfeile an
die Sehnen ihrer Bogen.
Schon begannen vereinzelt Pfeile zu zischen, doch die heranstürmenden
Pferdelords ließen sich durch die Geschosse nicht beirren. Sie alle führten die
Rundschilde des Reitervolkes links am Sattel, doch diese Schilde wurden nur
zum Kampf am Boden genutzt. Wer vom Pferderücken aus kämpfte, brauchte
Bewegungsfreiheit, und die Schilde engten diese nur ein. So mussten sie die
Pfeile der Orks hinnehmen, doch sie wussten, dass den Spitzohren nur wenig
Zeit blieb, ihre Bogen einzusetzen.
Dorkemunt hatte seine große Streitaxt zum Hieb bereit an die Schulter
gelegt und fühlte den Schlag, mit dem sich ein Pfeil in den Schaft der Waffe
bohrte. Ein anderer Pfeil durchschlug die am Sattel hängende Wasserflasche,
deren ausfließendes Wasser die Flanke des Pferdes nässte. Dorkemunt liebte
seinen starken Wallach, der sich nicht mehr um rossige Stuten bemühte und
sich schon gar nicht an orkischen Pfeilen störte. Das Tier hatte seinen Kopf
weit vorgereckt und bleckte das Gebiss, begierig darauf, seine Zähne in den
Leib eines Orks zu schlagen.
Der Berittwimpel an Kormunds Lanze knatterte im Wind. In seinem
Rücken hörte der Scharführer einen grimmigen Fluch und wusste, dass einer
seiner Männer getroffen war. Aber er blickte nicht zurück, sondern suchte mit
den Augen sein erstes Ziel, denn die Pferdelords schienen der Gruppe der
Orks förmlich entgegenzufliegen.
Die Orks waren anfangs nur eine knappe Hundertlänge von den
Pferdelords entfernt gewesen, und als die Gruppen aufeinanderprallten, hatten
es die Bogenschützen gerade einmal geschafft, drei bis vier Pfeile je Bogen zu
lösen.
Kormunds Wimpellanze durchdrang mit metallischem Schlag die Rüstung
eines Rundohrs und warf das brüllende Wesen nach hinten, während das
Reittier des Scharführers nach einem quiekenden Spitzohr schnappte, das
vergeblich den gelblichen Zähnen auszuweichen versuchte. Kormund überritt
derweil das sterbende Rundohr, machte eine Drehbewegung mit der Lanze
und löste sie so aus dem Körper des Orks. Der neben ihm reitende Dorkemunt
ignorierte das zur Abwehr erhobene Schlagschwert einer anderen Bestie und
ließ seine Axt durch den Helm des Rundohrs in dessen Schädel sausen.
Auch die anderen Pferdelords brachen kraftvoll in die Linien der Orks ein,
und der Rausch des Kampfes erfasste Menschen, Pferde und Orks
gleichermaßen. Staub wirbelte auf, als die Reiter sich in blutige Zweikämpfe
verwickelten. Auch wenn die Gruppe der Orks klein war, standen doch
wenigstens fünf von ihnen gegen jeden der Menschen. Aber diese Menschen
waren Pferdelords und erfahren im Kampf. Einer der Reiter krümmte sich
aufschreiend im Sattel, während über seinen gebeugten Rücken hinweg die
Lanze eines anderen Pferdelords in das aufgerissene Maul eines Rundohrs
stach. Einer der Reiter schleuderte seine Lanze in die Brust eines Angreifers,
dann zog er mit einer gleitenden Bewegung sein Schwert aus der Scheide und
stieß einen triumphierenden Schrei aus. Blut bespritzte die Kämpfer, und
meist war es das schwarze Blut der Bestien.
Von der Flanke her sprangen drei Orks einen der Reiter an und zerrten ihn
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