»Zwerge.« Kormund setzte den Helm wieder auf und zurrte den
Kinnriemen fest. Er blickte zu den anderen Reitern der Schar zurück. Die
Hufe der Pferde wirbelten den feinen Staub auf, der den Boden bedeckte, und
die beiden letzten Männer der Gruppe wirkten grau gepudert. Selbst die
blauen Rosshaarschweife ihrer Helme hatten an Farbkraft eingebüßt. »Sie
gehören sicher zum Reich der Sage, diese Zwerge.«
»Ja.« Dorkemunt lachte. »Genauso wie die Elfen.«
Die beiden erfahrenen Pferdelords grinsten einander an. Vor Jahren hatten
sie alle geglaubt, es gäbe keine Elfen, doch dann waren Lotaras und Leoryn in
die Hochmark gekommen. »Nun gut, es mag sie geben«, räumte Kormund
ein. »Irgendwo im Gebirge, mein Freund.« Er grinste breit. »Vielleicht reiten
wir gerade in diesem Augenblick über eine ihrer Städte hinweg? Wer vermag
das zu sagen?«
»Wir sind jetzt drei volle Tage unterwegs«, meinte einer der Reiter hinter
ihnen. »Was können wir hier noch finden? Wir sollten umkehren, Kormund.«
»Ah, Mortwin, du hast nur Angst, das Spiel zu versäumen«, sagte der
neben dem Mann reitende Pferdelord.
»Und selbst wenn.« Mortwin beugte sich im Sattel vor und spähte mit
theatralischer Geste um sich. »Hier draußen ist nichts. Nichts außer Steinen
und Staub.«
»Du brauchst dich nicht zu hetzen, Mortwin«, lachte sein Flankenreiter.
»Ihr vom Horngrundweiler werdet ohnehin verlieren.«
»Das ist nicht wahr«, ereiferte Mortwin sich. »Wir sind weitaus besser als
…«
»Haltet eure Zungen im Gehege eurer Zähne«, knurrte Kormund. »Ihr keift
wie alte Weiber. Da könnte sich ja eine ganze Legion von Orks anschleichen,
ohne dass wir etwas mitbekommen.« Er hob die Hand. »Wir rasten hier,
Männer. Sitzt ab, aber haltet Augen und Ohren offen. Wir werden danach
noch ein kurzes Stück reiten und dann wieder umkehren.«
Sie hätten gerne Schatten aufgesucht, aber zu dieser Tageszeit boten die
umliegenden Felsen keinen Schutz. Die Männer saßen ab, nahmen die Helme
vom Kopf und füllten etwas Wasser aus den Feldflaschen hinein, um den
Tieren davon zu saufen zu geben, dann ließen sie ihre Pferde frei laufen. Es
waren ausgebildete Pferde, die sich nicht weit von ihren Reitern entfernten.
Im Kampf stellten ihre Hufe und Gebisse tödliche Waffen dar, allerdings
dauerte es seine Zeit, ein Pferd auf diese Weise zu schulen, denn es musste an
Lärm und Blut und alle sonstigen Begleiterscheinungen eines Kampfes
gewöhnt werden. Allein der flatternde Wimpel eines Beritts konnte ein Pferd
dann noch nervös machen.
Kormund stöhnte, als er die Lanze mit dem Wimpel den spitzen
Bodendorn voran in den steinigen Untergrund rammte.
Dabei beobachtete Dorkemunt, wie der stämmige Mann eine Hand unter
seinen Brustpanzer schob und sich über die Brust rieb. »Schmerzt die
Narbe?«
Kormund stöhnte erneut. »Wie verrückt. Ich glaube, wir bekommen einen
Gewittersturm. Dann schmerzt sie nämlich immer höllisch.«
Kormund war beim Angriff der Orks auf die Burg Eternas durch einen
Pfeilschuss in die Brust getroffen worden, doch er hatte überlebt. Und obwohl
die Narbe ihn sichtlich behinderte, war der Scharführer nicht bereit, es sich
selbst oder anderen einzugestehen.
Dorkemunt spähte in den blauen Himmel und sog warme Luft durch die
Nase ein. »Es wird aber keinen Gewittersturm geben.«
Kormund spülte sich den staubigen Mund mit einem Schluck aus der
Wasserflasche und spuckte aus, bevor er begann, seinen Durst zu stillen. »Das
Wetter kann in den Bergen von einem Augenblick zum andern umschlagen,
guter Freund. Ah, ich sage dir, ein Gewittersturm in den Bergen ist gewaltig.
Seine Blitze können selbst Felsen spalten.« Kormund nahm erneut einen
langen Schluck. »Mein Vater, ein guter Kämpfer, sagte immer, es sei der
Zorn toter Pferdelords, die nicht den Weg in die Goldenen Wolken gefunden
hätten. Sie seien nicht ehrenhaft gestorben und dazu verurteilt, auf ewig in
dunklem Zorn zu grollen. Er meinte, es sei das Funkeln ihrer Waffen, das die
gleißenden Blitze entsende. Vielleicht wollte er mich damit anspornen, tapfer
zu sein und als wahrer Pferdelord zu den Goldenen Wolken zu reiten.« Er rieb
sich erneut die Brust. »Ich sage dir, Dorkemunt, mein Freund, es wird einen
gewaltigen Gewittersturm geben.«
Dorkemunt blähte schniefend die Nüstern und schüttelte den Kopf. »Es
wird keinen geben. Glaube mir, ich habe ein oder zwei Monde mehr als du
auf dem Buckel, Kormund, mein Freund, und ich garantiere dir, es gibt
keinen Sturm.«
»Nur Felsen, Stein und Staub«, brummte Kormund. »Seit drei Tagen nichts
anderes. Es wird Zeit, dass wir in die grüne Ebene von Eternas zurückkehren.
»Shib!«, fluchte er und rieb sich wieder die Brust. »Ich garantiere dir,
Dorkemunt, es gibt einen Gewittersturm.« Er grinste plötzlich. »Oder hier
schleichen Orks herum, auch dann schmerzt meine Brust.«
Dorkemunt erwiderte den Blick des Scharführers, und sie verstanden
einander. »Ich spüre schon seit Tagen etwas. Ich kann es nicht in Worte
fassen, Kormund, mein Freund, aber ich spüre, dass etwas vor sich geht.«
Kormund sah den alten Reiter forschend an. »Der Instinkt eines alten
Pferdelords?«
Dorkemunt nickte. »Ja, der Instinkt eines alten Pferdelords.«
Kormund stieß ein grimmiges Knurren aus. »Ich bin zu alt, um deine
Vorahnungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich kann mich noch gut
daran erinnern, wie es damals vor über drei Jahreswenden war. Habe ich dir
einmal erzählt, wie wir den getöteten Boten des Königs am Pass fanden und
dann plötzlich die Orks auftauchten?«
»Du hast es erzählt, mein Freund«, sagte Dorkemunt und reckte sich
ausgiebig.
Sie aßen etwas Brot und Käse und spülten es mit Wasser hinunter.
Kormund schüttelte nachdenklich seine Feldflasche. »Wenn wir sparsam sind,
reicht es gerade noch bis zu dem kleinen Gebirgsbach, an dem wir gestern
vorbeigekommen sind.«
Dort, an der kleinen Quelle, hatten sie eine Raubkralle entdeckt, die hastig
vor ihnen in die Schatten der Felsen geflüchtet war. Aber die Raubkralle war
weit weg von Eternas und stellte keine Gefahr für die dortigen Wolltiere dar.
Zudem war sie so klein gewesen, dass ihr Fell dem Jäger keine Ehre
eingebracht hätte, also hatten sie den verschreckten Räuber laufen lassen.
Kormund zog die Wimpellanze aus dem Boden, gab das Zeichen zum
Aufbruch, und die sechs Männer saßen auf. Langsam ritten sie weiter nach
Norden, und ihre Blicke suchten die alte Straße und die steil aufsteigenden
Felswände ab. Nur Mortwin schlief im Sattel ein und schnarchte leise, bis
sein Flankenreiter ihn anstieß. Das Pochen der beschlagenen Hufe schien
unnatürlich laut von den hoch aufragenden Felswänden widerzuhallen. Die
Schatten begannen allmählich länger zu werden, doch es reichte noch nicht
aus, den Männern und Pferden eine lindernde Kühle zu verschaffen.
»Nur Felsen, Staub und Stein«, sagte Kormund leise. »Und nicht der
geringste Windhauch.«
»Wir könnten ein wenig galoppieren«, meldete sich Mortwin. »Dann bliese
uns der Reitwind ins Gesicht.«
»Wenn du Wind willst, dann steig ab und laufe«, knurrte Kormund. »Die
Pferde werden jedenfalls geschont.«
Alle zwei Zehnteltage saßen sie ab, um die Pferde zu führen. Selbst wenn
sich keine Gefahr zeigte, schonten die Pferdelords so ihre Rosse für den Fall,
dass eine schnelle Attacke oder ein plötzlicher Rückzug erforderlich würde.
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