in der großen Schlacht vor der weißen Stadt des Königs von Alnoa zum Sieg
gegen die Horden des Schwarzen Lords geführt. Zur gleichen Zeit hatte auch
die Hochmark um ihr Überleben gekämpft, und die Spuren dieses Ringens
waren noch an vielen Stellen zu sehen. Nun war Garodem, der Pferdefürst der
Hochmark, in die Stadt des Königs der Pferdelords gereist, denn Reyodem,
der König und zugleich der Sohn von Garodems in der Schlacht gefallenem
Bruder, hatte den Rat der Pferdefürsten einberufen.
Larwyn blickte auf ihren Sohn und die Rüstung ihres Mannes, und ihre
Gedanken schweiften einen Moment in die Vergangenheit.
Vor vielen Jahren war das Volk der Pferdelords von den Barbaren im
Westen aus seinen angestammten Gebieten vertrieben worden und hatte in der
großen Ebene eine neue Heimat gefunden. Das Volk hatte sich entwickelt,
sich vermehrt und Marken gegründet, die von den Pferdefürsten im Auftrag
des Königs geführt wurden. Die Pferdelords waren ein Volk von Hornvieh- und
Wolltierzüchtern, deren ganzer Stolz die kräftigen Pferde waren, auf denen sie in
die Schlacht ritten. Garodem, Larwyns Gemahl, war einer von zwei Söhnen
des Königs der Pferdelords gewesen, und es lag nun schon über dreißig Jahre
zurück, dass er sich mit seinem Bruder wegen eines von beiden begehrten
Weibes entzweit hatte. Garodem war seinem Bruder nicht mehr begegnet,
bevor dieser bei einem Angriff der Orks vor der weißen Stadt gefallen war,
und Larwyn wusste, dass dies ihrem Gemahl ein heimlicher Kummer war.
Larwyn strich sich eine Strähne ihrer blonden Locken aus dem Gesicht und
blickte zu der großen Landkarte, die an einer Wand des Raumes hing. Sie
zeigte die Marken der Pferdelords und die anderen ihnen bekannten Länder.
Doch waren darauf auch Gegenden dargestellt, die noch kein Pferdelord
jemals gesehen hatte, denn es war eine elfische Karte. Sie wurde Garodem
von den beiden Elfen Lotaras und Leoryn zum Geschenk gemacht, die damals
der Hochmark im Kampf gegen die Legionen der Orks beigestanden hatten
und inzwischen zu ihrem elfischen Volk zurückgekehrt waren.
Die Karte erschien Larwyn als ein Symbol für das neue Bündnis zwischen
den Menschenwesen und dem Volk der Elfen. Sie war aus einem glatten und
sehr weichen Stoff gewirkt und fein bemalt. Aber dieser Stoff war etwas
Besonderes, denn die Karte konnte zusammengerollt oder gefaltet werden,
aber wenn man sie an zwei Ecken anfasste, entrollte sie sich und wurde steif
wie die Rüstung eines Schwertmannes. Die Karte zeigte die Städte und
Weiler, die Furten und Wasserstellen, die Befestigungen und Grenzen der
Marken der Pferdelords und die grenznahen Bereiche der benachbarten
Länder.
Im Norden der Hochmark waren die Gebirge eingezeichnet, in denen das
Volk der Zwerge leben sollte, und dahinter erkannte man das Land der
und Ebenen zogen sich bis zur Küste hin. Im Westen erstreckte sich das
Dünenland mit den Sandbarbaren und den Reitriesen, aus dem die Pferdelords
einst vertrieben worden waren. Im Osten fanden sich die versteinerten
Wälder, an die sich die Weißen Sümpfe anschlossen, hinter denen der Dunkle
Turm des Schwarzen Lords aufragen sollte. Im Süden lag das Reich Alnoa,
auch das Reich der weißen Bäume genannt, da die Gebiete reich an Bäumen
mit weißer Rinde waren. Noch weiter im Süden schloss sich das alte Reich
an, das »Erste Reich der alten Könige”. Die Karte zeigte auch die Kette der
Signalfeuer, welche die Marken der Pferdelords miteinander verband und bis
in die weiße Stadt des Königs von Alnoa führte. Jene Signalfeuer, welche die
Menschen bei Gefahr zu den Waffen rufen sollten.
Larwyn strich erneut eine Strähne aus ihrem Gesicht und berührte dabei
lächelnd den goldenen Stirnreif, den sie im Haar trug. Er zeigte das Symbol
der Pferdelords, zwei einander abgewandte Pferdeköpfe. Sie war stolz darauf,
dass Garodem sich schließlich überwunden hatte, denn dieses einigende
Symbol, das man überall in den Marken der Pferdelords fand, ersetzte nun
auch in der Hochmark zunehmend deren eigenes Zeichen, das Garodem aus
Bitterkeit und falschem Stolz eingeführt hatte. Noch zeigten viele Rüstungen
und Waffen gleichermaßen die beiden Pferdeköpfe der Pferdelords sowie den
doppelten Pferdekopf mit Schmiedehammer der Hochmark, doch das Emblem
Garodems würde zunehmend dem alten Zeichen der Zusammengehörigkeit
weichen.
Tasmund räusperte sich und schreckte Larwyn aus ihren Gedanken.
»Verzeiht, Hohe Dame, aber die gute Frau Meowyn wünscht Euch zu
sprechen.«
»Meowyn?« Larwyns versonnenes Lächeln vertiefte sich. »Lasst sie ein,
guter Herr Tasmund.«
Meowyn hatte, wie so viele Menschen der Hochmark, unter dem Ansturm
der Orks gelitten. Ihr Mann Balwin war erschlagen und sie durch den Bolzen
eines Orks verwundet worden. Nur der Hilfe ihres Sohnes Nedeam hatte die
blonde Frau es zu verdanken, dass sie die Stadt und schließlich die Burg
Eternas erreicht hatte. Die Heilkräfte der Elfenfrau Leoryn hatten das Ihrige
dazu beigetragen, dass Meowyn bald wieder genas, und sie hatte von der
Elfenheilerin begierig gelernt. Meowyn hatte die Betreuung ihres kleinen
Hofes, den sie mit Balwin unterhalten hatte, Nedeam übertragen und sich als
Heilerin in Eternas niedergelassen. Und sie war eine gute Heilerin, wie man
allgemein anerkannte.
Die beiden Frauen nickten einander zu, und Meowyn schenkte Tasmund
ein freundliches Lächeln, das im Gesicht des Ersten Schwertmannes eine
ungewohnt freudige Veränderung hervorrief. Larwyn spürte, dass der treue
Kampfgefährte ihres Mannes in seinem Herzen ein tiefes Gefühl für Meowyn
verbarg. Tasmund zeigte nur selten solche Gefühle, denn all sein Streben
schien einzig der Sicherheit der Hochmark und den Fähigkeiten seiner
Schwertmänner zu gelten. Es war an der Zeit, dass der brave Tasmund auch
andere Seiten des Lebens kennenlernte. Larwyn konnte sich nicht entsinnen,
dass Tasmund sich je einem Weibe zugewandt hätte. Aber ein Mann, dessen
Berufung das Töten war, und eine Frau, die sich der Rettung des Lebens
verschrieben hatte, konnte das zusammenpassen? Eigentlich passten die
beiden sogar sehr gut zusammen, befand Larwyn und lächelte unmerklich,
aber Meowyn schien den Tod ihres Mannes noch immer nicht ganz
verwunden zu haben und noch nicht bereit zu sein, ihr Herz erneut einem
Mann zu öffnen.
»Verzeiht, Hohe Dame Larwyn, wenn ich Euch störe, aber es gibt
Uneinigkeiten bei den Bauarbeiten in der Stadt.«
»Sprecht, gute Frau Meowyn.« Larwyn bemerkte, dass Garwin sich
anschickte, den gepanzerten Schuh der Rüstung in den Mund zu nehmen, und
zog ihren Sprössling seufzend an sich. Garwin brummte missbilligend, bis sie
ihn auf den Schoß nahm. »Was bereitet Euch Sorgen? Ich dachte, es geht gut
voran.«
Die beiden Frauen fühlten einander inzwischen eng verbunden, und unter
vier Augen ließen sie die höfische Etikette häufig fallen, doch in Gegenwart
eines Dritten wahrten sie noch immer die traditionelle Form. Die Heilerin trat
an das Fenster heran und blickte über den Hof der Burg und die südliche
Wehranlage hinweg zur Stadt hinüber.
»Es geht gut voran, Hohe Dame Larwyn. Vielleicht ein wenig zu gut. Die
meisten Schäden an den Bauwerken sind längst beseitigt, und die Stadt
wächst. Genau darin liegt offensichtlich das Problem, Herrin. Eternas
beherbergt inzwischen mehr Menschen als vor dem Angriff der Orks.«
»Gibt es Probleme mit der Ernährung?«, fragte Larwyn verwundert. »Ich
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