zustimmend. Herrik war ein wortkarger Mann mit bisweilen wenig
vornehmen Manieren, wie Lomorwin fand. Aber er verstand sich auf Pferde
und auch darauf, Lasten sorgsam zu stauen. Unter seinem aufmerksamen
Blick und seinen geschickten Händen war kaum je etwas zu Bruch gegangen,
und Lomorwin transportierte diesmal viele empfindliche Waren. Besonders
stolz war er auf die feinen Klarsteinarbeiten, die er in Alneris erworben hatte.
Sie würden in den Marken des Pferdevolkes gute Gewinne erbringen. Am
liebsten hätte er sie selber behalten, aber das entsprach nicht seinem
Verständnis von einem Händler. Nun, eine der kleinen Vasen würde er
vielleicht noch für sich zurücklegen, doch nichts weiter, sosehr es ihn auch
reizen mochte.
Nahe der großen Hafenstadt des Königreichs von Alnoa gab es einen
Strand mit unglaublich feinem weißem Sand. Dieser wurde mit Lastkähnen
auf dem Fluss Narquan in die Stadt Alneris gebracht, wo Handwerker dem
Sand ein Mineral beimischten, ihn dann schmolzen und aus der Masse den
Klarstein fertigten. Mit seinem durchsichtigen zarten Schimmer war er der
Stolz der Bürger von Alneris, die den Klarstein in kunstvolle Rahmen fügten
und damit ihre Fensteröffnungen bedeckten. Kein Wind und kein Schmutz
drangen mehr durch diese Fenster, und wenn man lüften wollte, konnte man
die Rahmen einfach aufklappen. Lomorwin war sich sicher, dass dieser
Klarstein bald die Fensterbespannungen aus Wolltierdarm oder -blase ersetzen
würde, die bei den Pferdelords gebräuchlich waren.
Leider war der Klarstein sehr zerbrechlich, und man musste sorgsam mit
ihm umgehen. Lomorwin kannte seine Pferdelords und würde, wenn seine
Lieferung in den Marken Anklang fand, in Alneris nachfragen, ob man den
Klarstein für die Fenster nicht ein wenig dicker fertigen könne. Vor allem die
Frauen würden Fenster mit Klarstein zu schätzen wissen, denn sie ließen
mehr Licht hindurch und waren leichter zu reinigen als die herkömmlichen
Bespannungen. Und die Frauen der Pferdelords, das wusste Lomorwin aus
Erfahrung, führten im Haushalt die Zügel, auch wenn manche Männer dies
bestreiten mochten. Doch die Klarsteinmacher von Alneris fertigten auch
Trinkgefäße und kunstvolle Blumenvasen. Insgesamt, so befand Lomorwin,
war der Klarstein ein Material, das Zukunft hatte.
Inzwischen waren die Wälder immer weiter zu den Seiten zurückgewichen
und hatten den Blick auf eine weite Ebene freigegeben, die von sanften
Hügeln und kleinen Wäldern unterbrochen wurde. In der Ferne sah man
Rudel von Geweihtieren und Wildläufern ziehen, und einmal erkannten sie
am Horizont einen streunenden Pelzbeißer. Langsam näherten sie sich der
Nordgrenze des Reiches Alnoa und damit der Südgrenze des Landes der
Pferdelords. In der Südmark würden sie sich nach Westen wenden und der
dortigen Handelsstraße durch die Königsmark folgen, bis sie die Furten des
Flusses Eisen überqueren und das Nordgebirge erreichen würden.
»Warum die Hochmark, guter Herr Lomorwin«, hatte Ildorenim gefragt,
als sein Herr ihm die Reiseroute bekannt gegeben hatte. »Wir könnten die
Waren sicherlich schon viel früher loswerden.«
»Ja, das könnten wir«, hatte ihm Lomorwin lachend entgegnet. »Offen
gesagt, guter Ildorenim, habe ich Garodem, den Pferdefürsten der Hochmark,
bislang nicht kennengelernt. Seine Mark steht dem Handel erst seit wenigen
Jahren offen, und es wird Zeit, dass unser Weg uns dorthin führt.«
»Es ist ein beschwerlicher Weg, guter Herr«, hatte sich Herrik zu Wort
gemeldet. »Steiniger und unebener Boden.«
»Fürchtest du um deine Füße, guter Herrik?«
Der Gefragte hatte aufgelacht. »Nicht um meine Füße, guter Herr. Die
Klarsteine sind es, um die ich mich sorge.« Der Führer der Treiber hatte
daraufhin ungeniert etwas Schmutz aus seiner Nase befördert und den Finger
an seiner Hose abgewischt. »Ihr wisst, guter Herr, der Klarstein ist recht
empfindlich.«
»Natürlich weiß ich das«, hatte Lomorwin erwidert. »Aber ich vertraue auf
deine Fähigkeiten, Herrik. Die haben mich noch nie enttäuscht.«
»Ich wollte es auch nur erwähnt haben, guter Herr«, hatte Herrik mit einem
erfreuten Grinsen geantwortet.
Gegen Mittag schließlich tauchte vor ihnen der Grenzturm auf. Er war
einer von vielen an den Grenzen des Königreichs Alnoa, und wie all diese
Türme war er sehr alt. Er erhob sich über einem kleinen Hügel, der dicht mit
Gras bewachsen war, und ein mit Steinplatten bedeckter Weg führte zum
Gebäude hinauf.
Das Untergeschoss des Turms war viereckig und an seinen Ecken mit
großen Steinstatuen der alten Könige verziert. Darüber erhoben sich vier
weitere Ebenen, die nach oben hin immer niedriger wurden. Das Mauerwerk
war von zahlreichen schmalen Öffnungen durchbrochen, deren typische
Spitzbogen die alte Bauweise verrieten. An den mächtigen Felsquadern, aus
denen der Turm errichtet worden war, hatten Zeit und Witterung ihre Spuren
hinterlassen, aber er stand noch immer fest. Über der obersten Plattform
wehte das graue Banner mit den drei weißen Bäumen des Königreichs in dem
schwachen Wind, der über die Ebene strich, und signalisierte, dass die Garde
den Posten hielt.
Lomorwins Tross aus sieben Männern, zwei Reittieren und neun
Packpferden hielt am Fuß des Weges, der zum Turm hinaufführte. Auf der
obersten Plattform beugte sich ein Mann vor. »Im Namen des Königs, wer
seid ihr?«, rief er zu ihnen hinunter.
»Guter Herr Gardist, mögen die Götter Eure Augen mit dem scharfen
Blick eines Raubvogels segnen, erkennt Ihr denn den guten Herrn Lomorwin
nicht wieder?«
»Ihr seid unverwechselbar, guter Herr Händler«, rief der Mann aus. »Doch
Ihr kennt das Geheiß des Königs. Ein jeder muss …«
»Nehmt es mir nicht übel«, unterbrach Lomorwin ihn schnell, und sein
breites Lächeln nahm seinen Worten jede Schärfe, »doch die Füße meiner
Treiber sind sehr müde und brauchen eine kurze Rast.«
Der Wachhabende lachte auf, wandte sich ins Innere des Turms und rief
etwas nach unten. Im nächsten Moment öffneten sich die beiden massiven
Eisenflügel des Tores. Die Lautlosigkeit, mit der dies geschah, ließ darauf
schließen, wie sehr die Anlage gepflegt wurde. Auch wenn man keinen Feind
fürchtete, so hielten die Soldaten des Reiches der weißen Bäume stets ihre
Augen offen und die Waffen bereit. Nie wieder würden sie sich, wie vor
wenigen Jahren geschehen, von der Streitmacht der Orks überraschen lassen.
Die Truppen Alnoas hatten damals schwer gelitten, und es würde noch
lange dauern, bis sie ihre alte Stärke wieder erreicht hatten. Aber nicht aus
diesem Grund war der Turm nur mit wenigen Männern besetzt. Vielmehr
diente der Wachtposten als Glied der Signalfeuerkette. Auf seiner obersten
Plattform lag das geschichtete Brennmaterial bereit, um eine drohende Gefahr
mit lodernden Flammen kundzutun.
Lomorwin und seine Gruppe betraten das Innere des Gebäudes. Das
Erdgeschoss war derart geräumig, dass es einer großen Halle glich. An den
Wänden waren die zahlreichen Öffnungen für die Bogenschützen zu
erkennen, durch die schwach das Tageslicht hereinfiel. Die Stockwerke waren
durch eine einzelne schmale Treppe verbunden, die für einen Angreifer wohl
nur schwer zu erstürmen war.
Die Gardisten des Königreichs trugen im Gegensatz zu den Pferdelords
eine einheitliche Rüstung aus silbergrauem Metall, die Unterleib und
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